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Geschlecht und Sprachgebrauch

Unter den neueren Kultursprachen hat, wie gesagt, das Englische die Geschlechter bis auf wenige Reste hinausgeworfen. Das Französische hat wenigstens das dritte Gechlecht entfernt. Wir Deutsche aber quälen nicht nur fremde Völker, die unsere Sprache erlernen wollen, mit unseren drei Geschlechtern, sondern auch uns selbst. Man kann zuverlässig behaupten, dass es keinen Deutschen gibt, der von jedem deutschen Substantiv mit Sicherheit anzugeben wüßte, welchen Geschlechtes es sei. Das gilt nicht nur für Fremdwörter, wo der und das Zölibat, der Magistrat, das Rektorat, der Hexameter, das Barometer, der Liqueur, die Couleur, das Douceur gesagt wird. Auch bei deutschen Worten schwanken die Gelehrten und die besten Schriftsteller ebenso wie das Volk. Selbst Jakob Grimm weiß nicht, ob man der Euter oder das Euter sagen solle. In solchen Fällen ist auch auf Goethe, Lessing und andere kein Verlaß, weil der Sprachgebrauch sich verändert hat (mitunter auf die Autorität eines Wörterbuches hin) und z. B. der Ungestüm verlangt, wo Schiller noch das Ungestüm schrieb. Ganz willkürlich hat der Sprachgebrauch dann mitunter die Geschlechtsbezeichnung zu einer Änderung der Bedeutung benützt wie bei der Band und das Band, der Verdienst und das Verdienst. Wieder in anderen Fällen gilt das eine Geschlecht für poetischer als das andere; der Quell ist poetischer als die Quelle, aber in der bildlichen Darstellung ist die Gottheit des poetischen Quells wieder ein Frauenzimmer, in Anlehnung an die Antike. Doch auch hier ist die Phantasie nicht konsequent. Die Donau ist ein Weibchen, der Rhein ist ein alter Herr, trotzdem beide Flüsse im Lateinischen männlich waren. Es ist überflüssig, die Beispiele zu häufen; man kann sie bei Andresen (Sprachgebrauch, S. 40 und folgende) hübsch beieinander finden. Wie sehr aber unsere Phantasie von der Geschlechtsmythologie unserer Sprache abhängt, das erfahren wir aus der Schwierigkeit, die uns das veränderte Geschlecht anderer Sprachen macht, und aus unserem albernen Lachen, wenn ein Ausländer gegen die Genusregeln unserer Sprache sündigt. Wir sind in diesem mythologischen Punkte, wie immer in Religionssachen, empfindlicher als sonst.

Für Kinder ist der Unterschied des Geschlechts nur eine Schwierigkeit; ein Bild können Kinder auch mit den sinnvollsten und natürlichsten Geschlechtsbezeichnungen nicht verbinden. "Hahn" ist darum noch nicht weiblich, weil er keine Eier legt. Er ist nur eine faule Henne. Hans, der nur unter Frauen aufwuchs, sagte einmal, als er mit einer Puppe spielen sollte: "Das ist für Mädchen; ich bin keine Freundin davon." Sein Geschlecht regte sich also, aber nicht in der Sprache.

Wenn wir nicht die besitzenden Sklaven einer solchen geschlechtsfrohen Kultursprache wären, wenn wir außerhalb stünden und nun hören würden, dass unsere Geschlechtsklassifikation eine Ausnahme bilde unter den Sprachen der Erde, dass die meisten Sprachen das Geschlecht gar nicht kennen, dass z. B. die Eskimo die Dingwörter in belebte und unbelebte einteilen: so müßten wir wohl unbefangen die Sprachphantasie der Eskimo bewundern und unsere eigene Geschlechtsphantasie barbarisch finden.