Geistiges Koordinatensystem
Alle Bewegung bezeichnet Ortsverhältnisse, Beziehungen zu verschiedenen Orten im Raum. Alle Verhältnisse im Raum müssen, das bedarf keines Beweises, relativ sein; sie beziehen sich aufeinander und beziehen sich alle zuletzt auf das Koordinatensystem, welches durch den Standpunkt des Sprechenden geht. Man braucht nie etwas von einem Koordinatensystem gehört zu haben und arbeitet dennoch unbewußt mit diesem Hilfsmittel; der "Körper a", mit dessen Annahme der neueste Relativismus sich in der Unendlichkeit orientieren möchte, setzt nur ein imaginiertes Koordinatensystem an Stelle des naiven. Die Erde ist der Mittelpunkt des Koordinatensystems, nach welchem Fixsterne und alles Andere am Himmel bestimmt wird, und das hat sich auch durch Kopernikus nicht geändert; das Menschenindividuum ist der Mittelpunkt des Koordinatensystems, von welchem aus der Himmel und die Sterne, aber auch Haus und Dorf und Land, Sitte und Gesetz, Glück und Unglück des Individuums gerechnet wird. Ich brauche nicht erst zu sagen, dass dieser Mittelpunkt des Koordinatensystems für die verschiedenen Menschenindividuen der gleiche ist, sobald es sich um Fixsternentfernungen handelt, dass dieser Mittelpunkt langsam unterscheidbar wird, je geringer die Entfernungen werden. Für Glück und Unglück, für gut und böse ist der Standpunkt recht individuell. Für ethische und ästhetische Begriffe ist der Standpunkt bei größeren Menschengruppen, die sich Völker nennen, individuell, für Fragen der menschlichen Erkenntnis ist der Ort auf Erden fast so gleichgültig wie für die äußersten Größen der Astronomie. Wenigstens haben die guten Menschen nach erkenntnistheoretischen Parallaxen noch nicht gefragt. Darum ist der Ausdruck des individuellen Standpunktes oder die Sprache für ethische und ästhetische Fragen so verschieden bei verschiedenen Völkern; darum zeigen die Sprachen so große Übereinstimmung, wo es sich um die Erkenntnis der Wirklichkeit handelt. Überall finden wir den Versuch der Sprache, sich über die Beziehungen der wirklichen Dinge durch räumliche Beziehungen zu orientieren.
Halten wir das Bild vom Koordinatensystem fest, in dessen Kreuzungspunkte der Sprechende steht, so kann er nie etwas Anderes aussprechen als entweder das Raumverhältnis eines Dings zu ihm selbst oder das Raumverhältnis eines Dings zu einem anderen; offenbar ist der letzte Fall nur eine Komplikation des ersten, weil dann beide Dinge in ein Verhältnis zu dem Sprechenden gebracht werden müssen. Auf seinen Standpunkt kommt es immer an. Nur die höhere Komplikation hat zur Folge, dass im allgemeinen das Raumverhältnis eines Dings zum Sprechenden durch alte formelhaft gewordene Adverbien, dass das Raumverhältnis der Dinge untereinander durch andere Hilfsmittel der Sprache ausgedrückt wird. Ich brauche nicht erst hervorzuheben, dass der Sprechende seinen eigenen Standpunkt in unzähligen Fällen metaphorisch auf einen anderen Menschen oder auf irgend ein Ding überträgt. Dass ferner jeder Richtung im Raum eine entgegengesetzte Richtung entspricht, dass darum die Adverbien des Raumes gern paarweise auftreten als rechts links, oben unten, vorn hinten; das liegt so sehr im Wesen der Raumerscheinung, dass kein Mensch völlig ohne diese analytische Geometrie lebt. Geistig wie körperlich fühlte sich der Mensch einst mehr denn jetzt mit seiner Erde als Mittelpunkt der Welt; geistig und körperlich fühlt sich das zum Bewußtsein erwachende Kind als Mittelpunkt seiner Welt. Es ist "da", das heißt im Kreuzungspunkte seines Koordinatensystems.