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"schon" und "erst"

Komplizierter ist der Bedeutungswandel in den beiden Adverbien, welche in einer bestimmten Richtung den Gegensatz zu einer frühern und einer spätern Zeit ausdrücken, in den Adverbien "schon" und "erst". "Schon" im Sinne von "nicht später" und "erst" im Sinne von "nicht früher" scheinen uns sehr notwendige Zeitpartikeln zu sein und sind doch neuere Schöpfungen der Sprache. "Schon" ist nachweisbar nichts Anderes als das Adverbium von "schön" und hat noch im Mittelhochdeutschen nicht die Bedeutung einer Zeitpartikel: es heißt vielmehr so viel wie "auf schöne, ordentliche, richtige Weise"; es ließe sich oft mit "richtig" oder "vollständig" übersetzen. Konventionell wurde dann das Wort ebenso wie "auch' in den Verbindungen "ob schon", "wenn schon" gebraucht, aber erst etwa seit Luther. Einen zeitlichen Charakter erhält "schon" in Sätzen wie "er wird schon kommen", "es wird schon reichen"; wobei jedoch die beruhigende Versicherung, dass alles in schönster Ordnung sein werde, noch mitverstanden wird. Erst wenn dieses "schon" auf eine vergangene Tatsache angewandt wird, ergibt sich die neuere Bedeutung von "nicht später"; "er ist schon gekommen" hat also immer noch den Nebensinn: er ist gekommen, wie es sich gehörte, ordentlich, zur richtigen Zeit. Etwas von der Urbedeutung "schön" steckt auch noch in der leise ironischen Verwendung des Wortes; "wir zahlen schon genug Steuern" erinnert zunächst daran, dass die schon vorhandenen auch ohne die künftig noch drohenden genügen, aber es werden daneben die nach der Meinung des Sprechers übermäßig hohen Steuern ironisch "rechte" Steuern genannt, so dass man in demselben Sinne sagen könnte: "Wir zahlen schön Steuern, wir zahlen ordentlich Steuern". Bei diesem Bedeutungswandel hat das Adverbium von "schön", welches ursprünglich einen ordentlichen Zustand der Ruhe oder der Beruhigung ausdrückte, allmählich die Stimmung der Ungeduld bekommen, welche der Bedeutung "nicht später" zugrunde liegt. "Wie heißt er doch schon?" ebenso im französischen: comment donc s'appelle-t-il dejà? (di già, jam). Einen Akzent der Ungeduld oder der Beschwichtigung einer Ungeduld, je nachdem es Frage oder Antwort ist, wird man auch häufig in der so schlichten Verwendung "schon gestern" finden. "Warum ist er nicht schon gestern gekommen?" — "Er ist schon gestern gekommen."

Parallel dazu geht der Gebrauch von "erst morgen", das heißt nicht früher als morgen. Und dieses Adverbium "erst", welches uns jetzt so unzweifelhaft den vergleichenden Begriff "nicht früher" ins Bewußtsein bringt, bedeutete "zuerst" genau das Gegenteil, nämlich "früher". Es ist der Superlativ zu einem Worte, welches vielleicht einst die frühe Tageszeit bedeutete wie "Morgen", welches im Komparativ "eher" noch heute so viel wie "früher" heißt, welches dann im Superlativ zunächst wirklich steigernd den ersten, frühesten, vordersten Zeitmoment oder Gegenstand angab ("erst komme ich"), dann aber am häufigsten ein Ereignis bezeichnete, welches früher geschehen mußte als das Hauptereignis. "Erst Kinder und dann Brot für sie zu schaffen." Womöglich noch sinnfälliger wird die Bedeutung "früher" in Sätzen wie: "Erst war er pünktlich, bald aber kam er ins Bummeln." Aus diesem "früher" wurde nun in neuerer Zeit ein ebenso entschiedenes "nicht früher". Der Gegensatz kann nicht stärker sein. "Er kann erst morgen kommen." Diese Umkehrung des Sprachgebrauchs läßt tief in das Wesen der Sprache blicken. Wir erfahren es erst aus unserer kritischen Logik, dass nicht der Gedanke durch das Wort deutlich gemacht wird, sondern das immer schwankende Wort durch den mitunter klaren Gedanken. Bei "erst" liegt die Negation in der Vorstellung des Sprechers, dass der angenommene Zeitmoment früher eingetreten sein müsse als das Ereignis, auf welches der Akzent gelegt wird, dass der morgende Tag da sein müsse, bevor er kommt, dass er nicht früher kommen kann. Wie sehr unsere beiden Adverbien "schon" und "erst" nach der Stimmung des Sprechers gewählt werden, kann man daraus ersehen, dass ihr Wert nur aus dem Zustande der Erwartung zu erklären ist, wenn z. B. ein Verliebter seine Geliebte erwartet, auf die Uhr sieht und je nach der Zeit der Verabredung entweder ungeduldig sagt "es ist schon ein Uhr" oder sich selbst beschwichtigend "es ist erst ein Uhr". Er hätte ebenso gut mit geänderter Betonung sprechen oder mit geändertem Gefühle denken können "es ist ein Uhr". Was den Ausschlag gibt, ist die Stunde der Verabredung. Die Stimmung der Ungeduld oder der Beschwichtigung war bei den Menschen schon vorhanden, als diese Zeitadverbien noch nicht gebildet waren. Das Französische drückt unser "erst" immer noch durch eine Umschreibung aus, durch ne-que. Mitunter tritt aber donc dafür ein, allerdings nicht in dem abgeleiteten negativen Sinne. Et moi donc! Und ich erst! Donc ist aber das lateinische "donec", begrifflich vermischt mit (lat.) dunque, denique und tunc.

Zeitverhältnisse, welche nicht so alltäglich sind, dass sich zu ihrer Bezeichnung Adverbien ausgebildet haben, werden durch Substantive der Zeit in Verbindung mit Präpositionen ausgedrückt. Zu Ostern, vor Ostern, nach Ostern. Die zeitliche Bedeutung dieser Präpositionen ist durchaus jüngeren Datums, abgeleitet von der älteren räumlichen Bedeutung. Doch selbst die Zeitbestimmung in diesen Substantiven ist immer schon abgeleitet. In dieser Beziehung ist die Geschichte unserer Worte für Tageszeiten und Jahreszeiten überaus lehrreich. "Herbst" bedeutet im Oberdeutschen noch die Obst- oder Weinernte und wird etymologisch mit karpos (Frucht) in Zusammenhang gebracht. Die Etymologie von "Winter" ist ganz ungewiß; man weiß nicht, ob man das Wort mit Sturm, Schneesturm, Wind oder weiß in Zusammenhang bringen soll; das ist aber offenbar, dass das Wort älter ist als das Bewußtwerden einer regelmäßig wiederkehrenden Jahreszeit. Sagt man nun im Herbst, im Winter, so empfinden wir heute noch oft, dass der Zeitbegriff räumlich gefaßt wird wie etwa: in Norwegen, in Sibirien.