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"Langeweile"

Die Sprache kann keine Zeitbegriffe bilden; die Raum begriffe müssen im Nebenamte die Zeit bestimmen. Wir werden noch sehen oder zu sehen glauben, warum das so kam. Jedesfalls ist dieser Sprachgebrauch so alt und so allgemein, dass wir gar nicht das Gefühl einer Metapher haben, wenn wir z. B. den Raumbegriff "lang" auf die Zeit übertragen. Es ist auch längst keine Metapher mehr. Anstatt Beispiele zu häufen, die immer nur dasselbe lehren würden, möchte ich auf ein aufschlußreiches Wort hinweisen, das den Raumbegriff gleich zweimal auf die Zeit anwendet und so, man möchte fast sagen philosophisch, ein starkes Bewußtsein von der Zeit ausdrückt, ohne dass dieser Weg zum Bewußtsein käme. Ich meine das Wort Langeweile. Lang drückt eine Dimension des Raumes aus und danach eine Dimension der Zeit. Es ist ein relativer Begriff: was wir lang nennen, ist immer lang im Verhältnisse zu einer anderen Dimension. Weile empfinden wir jetzt nur noch als einen Abschnitt der Zeit; es hängt aber wahrscheinlich mit altnordischen Worten für Ruhe (hvild) zusammen, etwa auch mit dem lateinischen quies und bezeichnete ursprünglich den Ruhepunkt, die Raumstelle des Ausruhens; hvila heißt im Altnordischen ein Bett. Langeweile bedeutet also streng historisch genau dasjenige, was es uns heute empfinden läßt: einen Zeitpunkt des Ausruhens, der uns relativ lang erscheint. Das hübsche Wort ist eine spezifisch deutsche Erfindung. Wenn der Franzose ennui sagt, was ziemlich gewiß von einem lateinischen "inodiare" (ärgern) herkommt, so denkt er unmittelbar an das Verdrießliche der Langeweile, nicht an die Länge der Zeit.