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"hie"

Diese zeigerhafte, deiktische, also demonstrative Herkunft sehr vieler Zeitadverbien liegt oft am Tage, oft ist sie in der Sprachgeschichte undeutlich geworden. Hübsch lassen sich die Fälle aufklären, in denen das eben zitierte Demonstrativpronomen "hie" (= hier) als ein temporales Demonstrativum zur Bildung von Zeitadverbien geführt hat. "Heute" ist ganz gewiß aus einem alten "hiu tagu" über hiutgu und hiuttu zu seiner "heutigen" Form gekommen. Die Abstammung ist so sehr aus dem Sprachgefühl verschwunden, dass Luther gelegentlich "heute dieses Tages" sagen konnte und landschaftlich noch heute der Ausdruck "heutiges Tags" oder "heutes Tags" vorkommt. Wir wissen, dass man einmal die vierundzwanzig Stunden einer vollständigen Erdumdrehung nach Nächten zählte; von da her mag das einst neben "heute" einhergehende Adverbium kommen, welches im Althochdeutschen hî — naht, im Mittelhochdeutschen hînet hieß und welches in süddeutschen Mundarten heute noch als "heint" für unser schriftdeutsches "heute" gebraucht wird. Ebenso wurde aus hiu jâru das süddeutsche Adverbium heuer (= in diesem Jahre), welchem sich die norddeutsche Schriftsprache leider immer noch verschließt. Eine Parallelbildung zu "heutiges Tags" findet sich in den romanischen Sprachen, wie übrigens das lateinische "hodie" (hoc die) dem deutschen "heute" vollkommen entspricht. Es liegt wieder einmal Lehnübersetzung vor. Aus hodie wurde das italienische oggi, aus diesem wieder oggidì, worin "dies" (der Tag) also zweimal vorkommt wie in "heutes Tags", wie im französischen "aujourd'hui" (in "hui" steckt das lateinische "hodie").

Die Orientierung in der Zeit durch metaphorische Übertragung von Orientierungsworten des Raums mußte es mit sich bringen, dass durch die ältesten Zeitadverbien wohl die zeitliche Nähe und Ferne ausgedrückt werden konnte, nicht aber immer die Richtung woher und wohin, nicht immer also der Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft. Das deutsche "da" (auch "einst"), das lateinische tunc, das englische then drückt ebenso die Zukunft wie die Vergangenheit aus. Die Adverbien, welche sich ausschließlich auf die Zukunft oder auf die Vergangenheit beziehen, sind Neubildungen. Man kann das an den einfachsten Begriffen für diese Verhältnisse, an "morgen" und "gestern" deutlich sehen und beachte dabei, dass diese fast einfältigen Adverbien dennoch von Kindern schwer begriffen und noch im fünften Jahre miteinander verwechselt werden. "Morgen" bedeutet ursprünglich eine Tageszeit, den Tagesanbruch; wie weit das Wort mit einem slawischen Worte für Dunkelheit zusammenhängt und dadurch die Bedeutung Dämmerung zu erklären ist, geht uns hier nichts an. Jedesfalls kannte das Gotische den Gebrauch von "morgen" für den auf heute folgenden Tag noch nicht. Erst im Althochdeutschen hieß "morgane" so viel wie "am Morgen", nämlich am künftigen Morgen. Genau ebenso wurde aus dem lateinischen mane das französische demain, das italienische domani. Nicht so einfach liegt der Fall bei "gestern", das "Stammverwandtschaft" mit lateinischen und griechischen Worten aufweist, die schon den vergangenen Tag bezeichnen. Gerade in germanischen Sprachen jedoch bezeichnet "gestern" (gotisch gistra dagis, altnordisch igáer) den anderen Tag, kann also auch für morgen stehen. Erst später hat sich im Deutschen, Englischen und Niederländischen der Gebrauch für den vergangenen anderen Tag festgesetzt.