Zum Hauptinhalt springen

Einige Thesen

108.

Einige Thesen. — Dem Individuum, sofern es sein Glück will, soll man keine Vorschriften über den Weg zum Glück geben: denn das individuelle Glück quillt aus eigenen, Jedermann unbekannten Gesetzen, es kann mit Vorschriften von Außen her nur verhindert, gehemmt werden. — Die Vorschriften, welche man „moralisch“ nennt, sind in Wahrheit gegen die Individuen gerichtet und wollen durchaus nicht deren Glück. Ebenso wenig beziehen sich diese Vorschriften auf das „Glück und die Wohlfahrt der Menschheit“, — mit welchen Worten strenge Begriffe zu verbinden überhaupt nicht möglich ist, geschweige dass man sie als Leitsterne auf dem dunklen Ozean moralischer Bestrebungen gebrauchen könnte. — Es ist nicht wahr, dass die Moralität, wie das Vorurteil will, der Entwickelung der Vernunft günstiger sei als die Unmoralität. — Es ist nicht wahr, dass das unbewusste Ziel in der Entwickelung jedes bewussten Wesens (Tier, Mensch, Menschheit u. s. w.) sein „höchstes Glück“ sei: vielmehr gibt es auf allen Stufen der Entwickelung ein besonderes und unvergleichbares, weder höheres noch niederes, sondern eben eigentümliches Glück zu erlangen. Entwickelung will nicht Glück, sondern Entwickelung und weiter Nichts. — Nur wenn die Menschheit ein allgemein anerkanntes Ziel hätte, könnte man vorschlagen „so und so soll gehandelt werden“: einstweilen gibt es kein solches Ziel. Also soll man die Forderungen der Moral nicht in Beziehung zur Menschheit setzen, es ist dies Unvernunft und Spielerei. — Der Menschheit ein Ziel anempfehlen ist etwas ganz Anderes: dann ist das Ziel als Etwas gedacht, das in unserem Belieben ist; gesetzt, es beliebte der Menschheit so wie vorgeschlagen wird, so könnte sie sich daraufhin auch ein Moralgesetz geben, ebenfalls aus ihrem Belieben heraus. Aber bisher sollte das Moralgesetz über dem Belieben stehen: man wollte dies Gesetz sich nicht eigentlich geben, sondern es irgendwoher nehmen oder irgendwo es auffinden oder irgendwoher es sich befehlen lassen.