Gegen die Definitionen der moralischen Ziele
106.
Gegen die Definitionen der moralischen Ziele. — Man hört allerwärts jetzt das Ziel der Moral ungefähr so bestimmt: es sei die Erhaltung und Förderung der Menschheit; aber das heißt eine Formel haben wollen und weiter Nichts. Erhaltung, worin? muss man sofort dagegen fragen, Förderung wohin? Ist nicht gerade das Wesentliche, die Antwort auf dieses Worin? und Wohin? in der Formel ausgelassen? Was lässt sich also mit ihr für die Pflichtenlehre festsetzen, was nicht Schon, stillschweigend und gedankenlos, jetzt als festgesetzt gilt! Kann man aus ihr genügend absehen, ob man eine möglichst lange Existenz der Menschheit in’s Auge zu fassen habe? Oder die möglichste Enttierung der Menschheit? Wie verschieden würden in beiden Fällen die Mittel, das heißt die praktische Moral, sein müssen! Gesetzt, man wollte der Menschheit die höchste ihr mögliche Vernünftigkeit geben: dies hieße gewiss nicht ihr die höchste ihr mögliche Dauer verbürgen! Oder gesetzt, man dächte an ihr „höchstes Glück“ als das Wohin und Worin: meint man dann den höchsten Grad, den allmählich einzelne Menschen erreichen könnten? Oder eine, übrigens gar nicht zu berechnende letztens erreichbare Durchschnitts-Glückseligkeit Aller? Und warum wäre die Moralität gerade der Weg dahin? Ist nicht durch sie, im Großen gesehen, eine solche Fülle von Unlust-Quellen aufgetan worden, dass man eher urteilen könnte, mit jeder Verfeinerung der Sittlichkeit sei der Mensch bisher mit sich, mit seinem Nächsten und mit seinem Loose des Daseins unzufriedener geworden? Ist nicht der bisher moralischste Mensch des Glaubens gewesen, der einzig berechtigte Zustand des Menschen im Angesichte der Moral sei die tiefste Unseligkeit?