»Email«
Ich habe hier einmal einen bösen Schwupper gemacht; dass sich die Setzerkästen nicht gebogen haben! »Emaille« habe ich geschrieben – pfui! Ein guter Leser hat es angemerkt, und ich kroch mit seinem Brief in ein zu diesem Behuf angebrachtes Mauseloch und war eine halbe Stunde ganz klein und häßlich.
Das Wort »Emaille« gibt es nicht. Aber es gibt Wörter, die sind aus Email, nein, aus Zinn, nein, aus Blech, aus billigem, verbeultem Blech. Und weil wir gerade von der deutschen Sprache sprechen, dürfte es an der Zeit sein, einmal ein Wort gründlich zu beleuchten, das sich wie ein ansteckender Pickel in allen Schriftgesichtern ausbreitet. Es ist das Wort »Mensch« – mit den Nebenpickeln: »menschlich« – »Menschlichkeit« – »das Menschliche«.
Es gibt kaum noch einen Aufsatz, kaum eine Rede, kein Buch, in dem dieses Modewort nicht zu finden wäre. Sie setzen es vor die Adjektive, um darzutun, dass es sich nicht um Alligatoren, sondern um Menschen handelt: »Er ist menschlich tüchtig«; sie schränken gute und schlechte Noten damit ein: »Er ist als Mensch zuverlässig«; manchmal ist die Vokabel auch ein Lob, was nach den vier Jahren Weltkrieg immerhin einen hübschen Rekord darstellt. Im Französischen erscheint solche Anwendung des Wortes nicht – im Englischen wohl auch nicht. Was haben sie nur – ?
Sie dokumentieren damit ein übersystematisches Denken, das zu den allerschwersten Fehlern führt. So sieht die Welt nicht aus – das ist eine Erfindung bureaukratischer Gehirne – es gibt nichts »rein Menschliches«. Außer dem Leben des Menschen.
Da haben sie sich ein so bequemes Schema zurechtgemacht: einer ist Richter und Schachfreund und Familienvater und Nationalist. Gut. Und für jeden Kasten bekommt er eine Nummer – und der ganze kleine, der winzige Rest, der da übrigbleibt: – das ist das »Menschliche«.
Es hat aber jeder das Recht, den ganzen Kerl so zu nehmen, wie er da ist: als Produkt seiner verschiedenen Tätigkeiten; als Summe seiner Betätigungen; als Schnittpunkt aller seiner Lebenslinien. Untrennbar sind sie – die Trennung ist künstlich. Ein grausamer Strafanstaltsdirektor ist ein grausamer Mensch – ob er zu Hause seinem Kanarienvogel zu fressen gibt und zu seinen Kindern nett ist, ist gleich und ändert nichts, aber auch gar nichts an dem, was er vormittags im Büro mit dem Strafgefangenen getrieben hat. Ein Mensch ist ein Tau, aus vielerlei Fäden gewoben – es geht nicht an, einen, den roten oder den grünen Faden, der sich hindurchzieht, gesondert zu betrachten. Wenigstens führt es zu gar nichts: gewertet wird der Strick. Nicht der bunte Faden. Und das ist recht so.
Wie alle Modewörter hat auch dieses da siebenundachtzig Bedeutungen und zum Schluß keine mehr. (Melodie: »Er ist menschlich schon irgendwie sehr gut.«) Der Unfug hat in den letzten Jahren derart überhandgenommen, dass sich ein anständiger Schriftsteller schämen sollte, das Wort noch zu gebrauchen, wenn er es nicht durch den Gebrauch veredelt und neu schafft. In der Tagessprache hat es Bedeutung und Qualität völlig eingebüßt – der weihevolle Klang, mit dem es ausgesprochen wird, steht zu seinem Groschenpreis in keinem Verhältnis. Ein Buch »menschlich« zu nennen, besagt gar nichts – es gibt böse Menschen und gute, und die meisten sind Gemischtwaren. Als Gesamturteil ist das Wort nichtssagend – als abgrenzendes Urteil, das sehr verschmitzt die wahren Niederträchtigkeiten des Objekts aus dem Scheinwerferlicht herausnehmen will, ist es irreführend. Nieder mit dem »Menschlichen«! Es lebe das Sachliche.
»Bismarck als Mensch« – das ist Froschperspektive. Denn seine staatsmännische Tätigkeit machte einen Teil seines ganzen Daseins aus, und der preußische Aberglaube, man könne für die Betroffenen etwas damit entschuldigen, dass man sagt: »Ja, er hat das ja nicht offiziell getan!« ist sehr gefährlich. Man kann viel Unheil damit anrichten und viel Böses verstecken. Menschliches Leben ist aus einem Stück – so einander widersprechend auch die einzelnen Handlungen sein mögen. Und ist einer im Amt unmenschlich: auch das ist menschlich und gehört dazu und zu ihm.
Lasset uns, o Brüder, dieses Modewort beerdigen, auf dass es nimmer auferstehe. Noch besser: ihr verbrennet es; es ist sicherer. Und die Asche des »Menschlichen« wollet in einen Topf tun –, damit wir in der Preislage bleiben, in einen solchen aus Email.
Peter Panter
Vossische Zeitung, 03.08.1930, Nr. 362.