»Ich kann ihnen vertraulich mitteilen … «
Das hat wohl im Kriege angefangen.
Da lag auf jedem Schreibstubentisch – bis zur Kompanie hinunter – ein Bündel Papiere, und auf jedem zweiten Papier stand links oder rechts oben in der Ecke, rot unterstrichen:
Geheim!
und bei Regenwetter wohl auch:
Ganz geheim!
Die Kompanieschreiber durchschauerte es, wie nahe sie am Weltgeschehen waren … Gut.
Das ließ die Kaufleute nicht ruhen. Deren große Büros lassen mindestens so viele Schriftstücke herausgehen wie jene aus großer Zeit, und nun heißt es nicht mehr ›Geheim‹ – sondern auf jedem zweiten steht:
Vertraulich!
Das ist ein schönes Wort. Es birgt Geheimnisse in sich und setzt Vertrauen voraus und eine eng umschlossene Gemeinschaft … Und nun ist es in den Sprachschatz des Alltags übergegangen.
Es gibt Leute, die können gar nicht mehr anders, als so ziemlich alles, was sie einem erzählen, mit den Worten einzuleiten oder abzuschließen:
»Das kann ich Ihnen natürlich nur vertraulich mitteilen … «
»Ich muß dir was erzählen!« sagt die kleine Elli Bumke aus der vierten Klasse; »Trudchen hat gestern zu Olga gesagt, sie hat gehört, wie Lottchen zu Inge gesagt hat, sie möcht wohl mal einen Kuß haben. Von einem Mann! Du darfst es aber nicht weitersagen! Schwöre es mir! Unter dem Siegel der Verschwiegenheit – das mußt du dabei sagen – sonst gilt der Schwur nicht … !« Soweit Elli Bumke. Ach, wie viele männliche Elli Bumkes gibt es unter uns! –
Wenn mal in einer Behörde ein Beamtenstunk ist … also: ich meine nur … ich bin mir natürlich bewußt, dass dies eine völlig theoretische Annahme ist – posito, gesetzt den Fall … also wenn –: dann erfährt man, was man braucht, Stück für Stück, in vielerlei Darstellung, von acht verschiedenen Seiten – … und alles, alles vertraulich, ganz vertraulich, durchaus vertraulich, streng vertraulich. Ernste Männer nehmen die Zigarre aus dem Mund, rücken den Stuhl näher an dich heran, senken die Stimme und legen los. Vertraulich. Und sie wissen ganz genau, dass du mitnichten den Mund halten wirst, und du weißt, dass man ihnen das Staatsgeheimnis auch vertraulich erzählt hat, und ringsum ist eine allgemeine Vertraulichkeit, dass es nur so knackt. Bis es dann soweit ist, dass es die Spatzen vertraulich von den Dächern pfeifen.
Es ist diese seltsame Vokabel aber eines jener Beispiele dafür, wie manchmal die papierne Schriftsprache in die Alltagsrede eingeht. Eigentlich müßte der vertrauliche Mitteiler auch weiterhin so reden:
»Berlin, den 5. März 1930. An das Direktorium, Abteilung IIb. (Vertrauliche Abschrift gleichzeitig an Herrn Peter Panter.) Die Abteilung 8a hat unter dem heutigen der hiesigen Reinmachefrau gekündigt, weil dieselbe, in einer seltsamen Anwandlung, wiederum vier Besuchszigarren geklaut und eine davon selber geraucht hat. Gezeichnet Zaschke, Abteilungsvorsteher. Vertraulich!«
Wer seine Arbeit gern tut und Humor hat, müßte eigentlich mal aufstehen und sagen:
»Kinder, nehmt doch euern Kram nicht so feierlich! Klatsch hält die Arbeit auf; er selber ist keine Arbeit. Ressortstunk ist auch keine. Und wir alle zusammen sind gar nicht so wichtig, wie gewisse Leute uns da immer einreden wollen. Tut was; verdient Geld; laßt die anderen leben und macht nicht so viel Sums, wenn ihr im Büro sitzt!«
Ich kann Ihnen vertraulich mitteilen, dass das noch keiner gesagt hat.
Peter Panter
Vossische Zeitung, 09.03.1930, Nr. 116.