Die beiden Bindelbands
Gebrüder Rotter haben den Menschendarsteller Wegener als Schauspieler zu sich engagiert und zahlen ihm für zwei Monate eine Gage, die sonst nur das Kino zu zahlen in der Lage ist. (Allerdings muß er dafür Sudermann spielen.) Ich glaube aber, dass dieser Fall mit Wegener und den beiden Bindelbands … Setzer, halten Sie die Maschine an! – es geht nicht mehr – gedruckt ist gedruckt … gemeint sind die Rotterschen – dass dieser Fall etwas Symptomatisches an sich hat.
Der Lauf der Dinge ist gewöhnlich der, dass sich eine geistige Stätte – in unserm Fall ist es Reinhardt gewesen – dafür einsetzt, einen Mann aus idealen Motiven zu »machen«. Jahre harter Arbeit gehen dahin. Der Künstler ringt. Sein Direktor (oder Verleger oder Redakteur) setzt den Mann mit allen Mühen langsam durch. Verfolgt von höhnischen Stimmen, von den Spöttereien der Besserwisser, von böswilligen Kritiken derer, die nur Fertiges anerkennen, aber nichts Werdendes – gegen dieses alles wird der neue Mann durchgehalten. Endlich ist die Zeit der sieben magern Jahre um. Die fetten folgen. Fett für wen –?
Fett für die andern. Fett für das Kino. Fett für die Bindelbands. Den, welchen groß werden zu lassen sie niemals imstande gewesen wären, den, der jahre- und jahrelang bei seinem Entdecker und Förderer geschuftet hat in harter geistiger Arbeit, aber in dem erleichternden Gefühl der künstlerischen Sicherheit – den nehmen sich die Bindelbänder und zeigen ihn dem erstaunten Publikum vor. Seht –! Da ist er –! Unser Wegener! Unser Moissi! Unser … Ihrer wars nicht. Es ist ein erpumpter Ruhm.
Wir erleben täglich die trübe Ernte, die das Kino unter den Gewordenen hält. Wir erleben täglich, wie sich die ganze Rotte der Rotters vergeblich bemüht, auch nur einmal einen solchen Mann aus ihren Reihen erstehen zu lassen. Das kann man nicht, wenn man ins Publikum schielt. Das kann man auch nicht, wenn man keine geistige Spannkraft und Bildung hat. Aber es ist so einfach, mit dem dicken Geld den andern den wegzunehmen, den die gemacht haben. Ein feiner Gärtner zieht eine wundervolle Maréchal Niel auf, mit unendlicher Mühe, mit hingebender Sorgfalt – gekauft wird sie von Herrn Generaldirektor Vegesack, der schenkt sie seiner Betthäsin. Die schöne Rose …
Aber Gottes Mühlen mahlen so langsam wie ein preußischer Instanzenzug und wesentlich sicherer. Ein Fluch lastet auf diesem Tun. Der also Weggekaufte strahlt, lacht womöglich des alten Herrn (ich spreche jetzt nicht etwa von Wegener), freut sich, wie kinderleicht alles beim neuen läuft, und eilt auf Flügeln des Gesanges froh einher. Bis er plötzlich merkt – oder bis die andern plötzlich merken, wie er schlecht und schlechter wird, wie die künstlerische Sorgfalt schwindet, und wie nach ein paar Jahren ein leergepumptes Wrack dasteht. Dahin, dahin.
Aber das ist der Lauf unsrer Welt. Kunst? Feinheit? Fingerspitzen? Das geht ein paar Jahre, bis die Leute darauf aufmerksam geworden sind, bis auf diese feinen Töne alle Welt lauscht, bis man sie erzogen hat, zu lauschen … Und dann?
Und dann: Großaufnahme! Licht! Bewegung!
Peter Panter
Die Weltbühne, 20.11.1919, Nr. 48, S. 646.