Ein merkwürdiger Fall
Ein dicker Mann sitzt in der Elektrischen und liest in einem Buch und schmunzelt. Sein fettes Gesicht strahlt – die Speckfalten graben sich ein, die Plusterbacken werden breiter und immer breiter – und plötzlich kann sich der Dicke nicht mehr halten, und er pruscht mir die ganze Heiterkeit seiner Seele ins Gesicht. Das macht nun keinen Spaß. Aber immerhin muß ich doch sehen, was er da hat. Was mag es sein, das ihn so zum Schmunzeln – der schönsten Form des Lachens – bringt und sogar zum Lachen selbst? Und mir auf den Kragen? Ich gucke unter das Buch auf die Titelseite und lese – ach so! Ihm sei alles verziehen. Der Mann hat Zetterström gelesen.
Die Welt der Clowns ist eine merkwürdige Welt, und mancher findet sich nie darin zurecht. Wer aber darüber lachen kann, wo ernste Männer nichts Lächerliches sehen, wer schon in der Schulstunde eine Stunde Arrest bezog, weil er plötzlich so lachen mußte (»Warum hast du gelacht?« … »Ich … Wegen nichts!« »Alberner Bengel!« – Konnte ich ihm sagen, dass ich über seine kleine Warze gelacht habe, die immer am Kragen auf und ab tanzte?) – wer also so veranlagt ist, der dürfte sich bei Hasse Zetterström tot und wieder gesund lachen.
Von dieser eigentümlichen Nummer liegen (im Verlage Dr. Eysler, Berlin) zwei Bücher vor: »Der Dynamithund« und »Meine merkwürdigste Nacht«. Es stehen Kostbarkeiten in beiden.
Was Zetterström auszeichnet, ist sein sanftes Schweigen, wenns um die Wurst geht. Das hat schon Mark Twain gekonnt; er sagt ganz still seins, und nur eines sagt er nicht: die Pointe. Die muß man sich denken. Es sind Witze mit Spätzündung. Alles mit todernster Miene: Twain erhielt eines Tages ein Gedicht: »Warum lebe ich?« – »Weil Sie Ihr Gedicht nicht persönlich übermittelt haben!« antwortete er. So Twain. Und so noch viel schneller und ulkiger Zetterström.
Was sich in diesen beiden Bänden alles begibt, das ist nicht zum Blasen. Aber Zetterström ist der Mann, den nichts mehr wundert. Er ist immer so still und bescheiden und erinnert im ganzen an jenen Mann, der einem verrückten Freund von ihm begegnete. Der hatte den Tick, alle fremden Menschen anzureden, weil er glaubte, dass wir zu weit auseinander lebten. Er nimmt jenem Mann den Hut vom Kopf, fragt ihn, ob seine Haare echt sind … Und der ist immer still und bescheiden. Und wird schließlich gefragt, warum er sich denn nicht wehre. »Ach«, antwortete der Mann mit dem frommen Aussehen und dem dicken Haar, »ich bin Wärter in einer Anstalt für solche Leute gewesen – ich weiß, wie die zu nehmen sind – nur Milde und Geduld, nur Milde – –!« Nur Milde. Es kann geschehen, was will, Zetterström verliert die Fassung nicht. Da ist ein entzückendes Stückchen, das heißt »Glückliche Rettung« – wie da ein Dienstmädchen nebst einer Schwiegermutter ins Wasser fällt, und die beiden beschaulichen alten Herren sehen sich das an – das erinnert an eine Mischung von Spitzweg, Trier und Callot – es ist etwas hervorragend Ulkiges. Er ist der Urenkel des unvergessenen Gustav Wied.
Und weil wir ja alle soviel Telefonkummer haben und weil Zetterström das Telefon zu geradezu infernalischem Unfug benutzt, und weil das Dasein zur Zeit nicht übermäßig ergötzlich ist – deshalb empfehle ich lachlustigen Leuten und solchen, die es werden sollen, Hasse Zetterström zu lesen. Er ist ein merkwürdiger Fall.
Peter Panter
Berliner Tageblatt, 11.06.1919, Nr. 264, S. 2.