Die Kunst des Couplets
Die Ansicht der Deutschen, dass es keine ›Kunst‹ sei, ein Couplet zu schreiben, hat diese Liedgattung hierzulande so niedrig sein lassen, wie sie eben ist. Ein Couplet … das ist eine mehr oder minder roh zusammengehauene Sache, ein Sammelsurium faulster Witze, ein grobes Gedicht – zum Schluß mit dem unvermeidlichen Refrain, der möglichst zweideutig und möglichst unsinnig zu sein hat, damit er zieht. Ist das ein Couplet? Es könnte anders sein.
Die Begabung, ein gutes Couplet zu schreiben, ist vereinzelt, und eine Angelegenheit, die nur wenig mit sonstigen Begabungen zu tun hat. Sicher ist, dass ein sonst untadliger Literat, ein Verskünstler, ein Humorist nicht durchaus brauchbare Couplets zu liefern braucht.
Das Couplet hat seine eigenen Gesetze. Es muß zunächst einmal mit der Musik völlig eins sein (das ist eine große Schwierigkeit), und dann muß es so aus dem Geist der Sprache heraus geboren sein, dass die Worte nur so abrollen, dass nirgends die geringste Stockung auftritt, dass die Zunge keine Schwierigkeiten hat, die Wortfolge glatt herunterzuhaspeln. Nun verwechseln die Leute bei uns mit dieser scheinbar kleinen Klasse der Technik (Leichtgewicht) den Inhalt, und der ist denn auch meistens danach. Was steht denn in unseren Couplets meistens drin?
Das deutsche Couplet, das keineswegs literaturfähig ist, steht fest auf zwei dicken Säulen: auf dem Stumpfsinn und auf der Zote. Auf der einen Seite: »An dem Baume – da hängt ne Pflaume« – und auf der anderen: »Fischerin, du kleine – zeig mir deine Beine!« Vereinigt das Couplet beides, so schmunzelt der Theaterdirektor und klopft dem Textmacher befriedigt auf die Schulter. Das ist etwas fürs Sonntagspublikum.
Wir anderen aber vom Wochentag hätten gern auch etwas und wären zufrieden, wenn begabte und geschmackvolle Literaten sich die Technik, diese unendlich schwere Technik des erfolgreichen Couplets zunutze machten, um ihre Gedanken und ihre Wertungen darin auszudrücken. Aber wer kann das?
Die Geringschätzung, der sich das Couplet hierorts erfreut, beruht nicht auf seiner Technik: sie beruht auf seinem Inhalt. Zunächst und heute noch mit Recht. Unter der alten Zensur konnte das politische Couplet überhaupt nicht wachsen – und die faustdicke Konzession, die da ans Parterre gemacht wurde, war sicherlich nicht dazu angetan, Sympathien für eine Kunstgattung zu entwickeln, die bei der schwerflüssigen Art unserer Gebildeten sowieso das böseste Mißtrauen von vornherein wachrief. Ein Couplet? A bah!
Dabei sind die Möglichkeiten, aus dem Couplet etwas durchaus Salonfähiges und Geistvolles zu machen, gegeben. Freilich gehören einige Kleinigkeiten dazu: Gesinnung, Geschmack und großes Können.
Gesinnung: Der neue Coupletdichter müßte nun einmal nicht nur die untere Partie des Menschen in den Kreis seiner Betrachtungen ziehen, er müßte – so frei und frech er auch die Liebe behandeln könnte – nun einmal nicht das Spitzenhemd der Gnädigen als Zentrum der Welt ansingen. Er müßte politisch mutig sein – ob er da nun Hindenburg oder Kautsky feiert, ist, objektiv betrachtet, gleichgültig – wenn er nur dran glaubt und diese Feier nicht nur des Parketts wegen unternimmt. Heute liegen die Dinge noch so, dass Textdichter, Unternehmer und Schauspieler eine Heidenangst vor dem Publikum haben und ihm nur das servieren, was es erfahrungsgemäß beklatscht. Falsch. Man kann nämlich – aber nicht drüber sprechen – auch mit guten Dingen ein gutes Geschäft machen.
Geschmack: Der neue Coupletdichter müßte den unerlernbaren Takt besitzen, gewisse Dinge nicht zu sagen. Nichts ist bezeichnender für einen Schriftsteller, als die Dinge, von denen er gar kein Aufhebens macht, das, was für ihn selbstverständlich ist, das, was er als ständige Vokabel im Munde führt: seine Welt. Und dass heute nicht die beste aller Welten daran und dabei ist, die Coupletverse zu schreiben, ist leider evident. Die Gesinnung des Coupletschreibers schwankt heute noch – von wenigen Ausnahmen abgesehen – im Winde, und das ist schade, um des Couplets und um der politischen Sache willen. (Eine solche rühmliche Ausnahme ist übrigens der junge Walter Mehring, der Sohn Sigmar Mehrings. Eine Hoffnung.)
Technik: Der neue Coupletdichter müßte das feinste Handgelenk besitzen. Es ist schwer, Worte in Verszeilen miteinander abzuwägen, es ist schwer, den einen kleinen, leisen Fehler zu vermeiden, der ein ganzes Couplet umwerfen kann, es ist schwer – und das ist nun am schwersten – den Refrain zu gestalten, dass er ›sitzt‹. Es gibt solche und solche: die Reuttersche Technik, einen an sich farblosen Refrain durch den Vortext zu färben, ihm nun erst Gestalt und Inhalt zu geben, mag wechseln mit einem festen, sinnvollen Refrain, der durch seine drei- oder viermalige Wiederholung immer plastischer, immer stärker wirkt. Aber wer kann das?
Das alte französische Cabaret – ich denke da besonders an Aristide Bruant – hatte solche Schriftsteller, die einen Refrain herausgrölen konnten, ohne je derb zu sein, ohne platt und geschmacklos zu sein. Manchmal trifft man bei uns Ansätze, aber sie gedeihen nicht.
Und sie gedeihen deshalb nicht, weil keine Kritik da ist, die sie fördert. Die Operette, wie sie heute ist, das Varieté – sie wollen keine Kritik, wenigstens keine ernsthafte, und sie brauchen sie, von ihrem Standpunkt gesehen, auch gar nicht: denn eine gute Kritik nützt ihnen kaum (die Häuser sind auch ohne sie voll) – und eine schlechte kann höchstens das Geschäft schädigen.
Schade. So wie man früher auf die Gegenstände des täglichen Gebrauches keinen Geschmack angewendet wissen wollte und sich den für hohe Sonn- und Feiertage vorbehielt, so glaubt man heute, Kunst sei gut für die philharmonischen Konzerte, aber für ein Couplet … ?
Aber nicht in dem, was Auserwählte ergötzt, zeigt sich der Geist eines Volkes. In dem, was Tausende und Hunderttausende allsonntäglich und heute auch allwochentäglich erheitert, rührt und aufpulvert, kannst du erkennen, wes Geistes Kinder da wohnen. Ach, es sind meistens Stiefkinder.
Hier ist ein Feld, ein Acker, eine Scholle – sie liegen brach. Bebaut sie!
Ignaz Wrobel
Berliner Tageblatt, 18.11.1919, Nr. 549.