Sozialisierung der Presse
Als ich einen dicken Mann einmal fragte, was er denn von der Sozialisierung der Presse dächte, sah er mich einen Augenblick erstaunt und pfiffig an und sagte dann gelassen: »Wenn die Presse sozialisiert wird, bekommen Sie kein anständiges Gehalt mehr!« Auf diesem Niveau bewegen sich die meisten Diskussionen über diese ernste und wichtige Frage; und weil Sozialisierung bekanntlich etwas ist, das immer nur für andre Branchen paßt, aber niemals für die eigne, so berührt es uns doppelt angenehm, einmal vernünftig und sachlich über die Sozialisierung dieses glorreichen Instituts reden zu hören, und zwar von Erich Schairer in der kleinen Schrift: ›Sozialisierung der Presse‹ (Deutsche Gemeinwirtschaft Heft 12, verlegt von Diederichs in Jena).
Der bestehende Zustand wird zunächst außerordentlich gut geschildert und außerordentlich scharf kritisiert. Mit Recht. Der Zustand ist eben der, dass aus Annoncengeschäft und Nachrichtenübermittlung jene üble Mischung herauskommt, die sich heute Presse nennt. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, muß das Annoncengeschäft doch irgendwie einen starken Einfluß auf die politische und kulturelle Haltung der Blätter haben. Begehrt nicht auf. Das geschieht nicht so plump und simpel – täte es das doch! –, dass der Inseratenchef in die Redaktionsräume tritt und proklamiert: »Von morgen an wird nichts mehr gegen den Alkohol geschrieben; von übermorgen an werden die Kinos gelobt.« Der Einfluß ist stiller und gefährlicher. Die Zeitung von heute ist ein Geschäft und muß als solches auf einen guten Absatz bedacht sein. Dadurch ist eine wirklich kulturfördernde Tätigkeit ausgeschlossen.
Es ist ja nun die Frage, ob die Zeitung überhaupt dazu berufen ist. Der hitzigste Vorkämpfer im Streit, Kurt Hiller, sagt ja. Ich weiß nicht recht. Ich weiß nicht, ob es nicht vielleicht doch förderlicher wäre, wir hätten reine Nachrichtenblätter, die sich so weit wie möglich von aller Einwirkung auf fremde Gebiete fern hielten. Aber sicher ist – und darin stimmen wir mit Hiller ganz überein –: der Zustand von heute ist eine Schmach. Eine Schmach deshalb, weil den allerwenigsten Leuten – auch denen vom Bau nicht – aufgegangen ist, was hier eigentlich getrieben wird. »Die Zeitung verkauft die Publikationskraft an die Inserenten«, sagt Schairer. Die Folgen sind bekannt.
Nun hat das Insertionsgeschäft mit der Nachrichtenübermittlung organisch gar nichts zu tun, und es ist das auch nicht immer so gewesen wie heute. Die Leute haben vergessen, dass früher Nachrichtenblätter und Annoncenblätter lange Zeit etwas ganz Verschiedenes gewesen sind. Und das war sauberer. Denn die Zeitung von heute ist vollkommen vom Leser, der zugleich Inserent sein kann, abhängig. Wir alle sind gezwungen, wenn wir einen alten Mantel verkaufen wollen, die übelsten und reaktionärsten Käseblätter der kleinen Gemeinden zu unterstützen.
Richtig betont Schairer, dass die schlimmste Zensur der Zeitungen nicht im Polizeipräsidium, sondern im eignen Hause sitzt. Und da zensiert letzten Endes und genau betrachtet –: der Inserent. Die Presse hat an dem Schiebertum, das sie heute bekämpft, Millionen verdient – was besagt gegen die Annoncen der eine allgemein gehaltene Leitartikel?
Also: Reform. Die Vorschläge Schairers sind nicht neu, aber gut. Er verlangt Staatseingriff – er verlangt völlige Trennung von Annoncengeschäft und Nachrichtenübermittlung. Er will die sinnlose Konkurrenz der vielen Nachrichtenapparate vermeiden, er will der Presse endlich wieder – wieder? sie hat es nie gehabt – kulturelles Niveau geben. Ob seine Mittel die richtigen sind, steht dahin – aber hier sind positive Vorschläge.
Dieser Aufsatz ist eine Ketzerei, und ich weiß, daß viele meiner Berufsgenossen mich anklagen werden, ich verlästerte meinen eignen Stand. Falsch. Ich will ihn heben. Ich will aus dem dienenden Redakteur einen herrschenden Volkserzieher machen. Das ist er heute nicht und kann es heute nicht sein. In zweihundert Jahren ist dies alles, was ich hier geschrieben habe, vergessen und verweht. Oder verwirklicht.
Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 11.12.1919, Nr. 51, S. 738.