Läuterung bei der Steyrermühl


Ein etwas derberer Feuilletonist, Arier, der das Weidwerk liebt und dafür Gejaide sagt, den Bären prinzipiell nur Meister Petz nennt, den Fuchs nicht anders als Reinecke, Amsel und Fink aus der Hand naschen läßt, mit der Natur und Herrn Wilhelm Singer auf vertrautem Fuß steht, Wanzen braune Gesellen nennt und dafür auch vom König von Montenegro den Danilo-Orden dritter Klasse bekommen hat, berichtet von einer Läuterung, die mit ihm vor sich gegangen ist. Er hat nämlich das Glück gehabt, einer Peer Gynt-Aufführung durch eine Berliner Truppe beizuwohnen. Da geschah etwas Unerwartetes.

Peer Gynt kam und faßte nach uns, schleppte uns durch unterirdische Gänge und Wüstengluten, durch alle Tiefen des Bösen und Unreinen und fand endlich mit uns das strahlende Gestirn der Liebe, das unberührt, in fleckenlosem Gold über allem Schlamm und allem häßlichen Elend leuchtete, unvergänglich, geduldig und treu.

Wir sind also nicht im Neuen Wiener Tagblatt, sondern mitten drin im Reich der Seele, die sich freilich nur dem mitteilen kann,

der gläubig und kindlich den Worten des Spieles lauscht.... Aber wir wollten, dass wir oft die Freude hätten, Ähnliches zu sehen. Nie ist in dieser wirren, an feindlichen Gegensätzen und trüben Unterströmungen reichen Zeit so heileuchtend das Bild der reinen Frau uns allen erschienen wie an diesem Theaterabend ... Auch uns klangen die tiefen, erlösenden Glocken, die mächtigen Stimmen des Glaubens, die der Anruf der geliebten Solveig, dieser Verkörperung der Reinheit, zum Ertönen brachte, so dass der wüste Spuk zerfloß. »Weiber standen ihm bei!« ruft grimmig der »Krumme«, der Vater alles Bösen, und sinkt in sich zusammen.

Dieser »Krumme«, der große Krumme scheint der Chefadministrator des Kleinen Anzeigers zu sein, und man sehnt sich ordentlich aus seinem Machtbereich weg in die lichteren Bezirke des Feuilletonteils. Und geht es nicht uns alle an?

Vielleicht war es ein unheimlicher Abend, vielleicht brachte er vielen Angstträume und weckte schlummernde Schuld. Peer Gynt saß im Theater und sah Peer Gynt. Der Mann sah sein eigenes Leben und seine heimlichsten Häßlichkeit.....

Aber wie dann die Erlösung kam! Und wie

die Liebe in hellen Strahlen hervorbrach, Liebe, Glaube und Hoffnung, in der wir immer lebten, auch als wir irregingen, in der Liebe der Frau, in der sich Jungfrau und Mutter vereinten, wie im heiligsten Geheimnis der Christenheit.

Da uns nunmehr ist, als stünden wir vor dem Schaufenster Nedomanskys, da das Reich der reinen Liebe angebrochen ist, bleibt nur noch die Hoffnung, dass der »Kleine Anzeiger«, der uns in die Irre geführt hat, seine Versuchungen endlich einstellen wird. Das Feuilleton wird bleiben, so schwer es auch ist,

Dinge zu sagen, für die das rechte Wort sich nicht so ohne weiteres einstellt, Dinge, die immer verborgen in uns leben und an einem Abend, wie dieser es war, zu reden und zu leben beginnen. Und eine solche Position ist nicht anders zu verteidigen als mit dem Wort, das da heißt: »Wenn Ihr's nicht fühlt, Ihr werdet's nie begreifen!«

»Erjagen!« rief da die Stimme des Herrn Singer, eines gediegenen Goethe-Kenners, aus dem Nebenzimmer, »ein Jager is er und redt von begreifen!« Der große Krumme aber trat dazwischen und rief: »Mit Läuterungen wer'n Sie bei mir kein Glück haben! Die reine Frau inseriert nicht. Glauben Sie, unser Publikum liest vorne? Hinten liest es sag ich Ihnen. Solveig soll nicht zu haben sein! Was wollen Sie von Solveig? Wer ist sie, wo wohnt sie? Zum Ersatz haben wir diesmal gebracht:

 

Königin von Saba,

Kärntnerstraße, Kaffeehaus, Ecke Rotenturmstraße-Lugeck. Bitte um Nachricht, ob Vorstellung gestattet. Unter »R. St.-Nr. 86020« an die Expedition. 86020

 

Ob Vorstellung gestattet? Und ob Vorstellung gestattet! Durch uns — jo! Aber wo steht geschrieben, dass eine voll sein muß?

 

Blondine mit Halskorallen,

gold. Doppelmanteluhr, gr.-kariert. Kleid, Donn. nachm. Elektr., Mariahilferstraße, wird ehrb. um postlag.f Adresse vom Visavis gebeten. Unter »Doktor 86445« an die Expedition. 86445

 

Da nehmen Sie sich übrigens ein Beispiel:

 

Herr mit Zwicker, welcher

Dienstag nachts 11.40 Min. Südbahn Wien-Liesing fuhr und der am Stiegenabgang wartete, bis der Zug vorüberfuhr, wird gebeten, ob Wiedersehen möglich wäre. Unter »Fortuna 85772« a. d. Expedition. 85772

 

Alle wenden sich an uns, sogar Schriftsteller, bitte:

 

Eleg. Schriftsteller, Arier,

Doktor, sucht ehrb. uneigennützige Bekanntschaft einer sehr schönen, unabhäng. jungen Witwe od. gesch. Frau, die sich einsam fühlt. Unter »Herrenmensch Nr. 85580« an die Exped. 85580

 

Sehn Sie, auch ein Arier! Und ein Herrenmensch extra! Glauben Sie, der schreibete uns kein Feuilleton über die reine Frau, was Jungfrau is und Mutter zugleich? Er hat besseres zu tun.

 

 

Juli 1914.


 © textlog.de 2004 • 22.11.2024 21:34:48 •
Seite zuletzt aktualisiert: 15.01.2007 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright Die Fackel: » Glossen » Gedichte » Aphorismen » Notizen