Aus dem Ungarischen


(Im Original-Tonfall zu lesen)

»Das Beispiel Karl Kraus. Dieser österreichische Schriftsteller, der als Redakteur der ›Fackel‹ in weiten Kreisen bekannt ist, und als Hasser der Wiener Zeitungen einen besonderen Namen errungen hat, erzielt nicht nur mit seinen Schriften große Erfolge, sondern auch mit seinen Vorlesungen, wobei er teils eigene Arbeiten, teils solche anderer Autoren liest. Der österreichische Schriftsteller hält nicht nur in Wien Vorlesungen, sondern besucht auch zahlreiche andere Städte Österreichs, ja sogar Deutschland, und hält dort Vorträge, die seine Ideen populär machen. Während er seinem Sonderlings-Standpunkt neue Anhänger wirbt, bedeutet das für ihn auch namhafte Einnahmen, die sogar an die Höhe der Einnahmen von Bühnenkünstlern und Konzertkünstlern heranreichen. Der Redakteur der ›Fackel‹ ist ein aufrechter, wohlhabender Mann, der in materieller Hinsicht unabhängig ist und der seine Vortrags-Abende daher nicht bloß aus finanziellen Gründen veranstaltet, der aber natürlich nicht böse ist, wenn seine Vorlesungen neben den moralischen Erfolgen auch finanzielle Resultate haben. Was er tut, machen auch andere deutsche Schriftsteller, mit welchen Kraus auf dem Kriegsfuße steht, die aber vom Publikum ebenfalls geliebt werden, und deren Vorlesungen ebenfalls gute Einnahmen bedeuten. Der Redakteur der Berliner ›Zukunft‹, Maximilian Harden, hält in Deutschland und in Wien ebenfalls Vorträge über politische und sozialpolitische Fragen gegen Entree. Der Feuilletonist und Bühnenschriftsteller, den das deutsche Publikum aus einem Stücke kennt: Roda Roda — veranstaltet ebenfalls Vorlesungen gegen Entree. In Deutschland geschieht aber noch eines: Gelehrte, Universitätsprofessoren, Soziologen, veranstalten ebenfalls Vorlesungen gegen Entree und finden, dass diese häufig praktischer sind als die Edition dickleibiger Bücher. Am häufigsten aber reist jetzt Karl Kraus und es wäre wünschenswert, dass die ungarischen Schriftsteller sein Beispiel befolgen, indem sie in den Provinzstädten Vorlesungen veranstalten. Diese würden ihre Einnahmen erhöhen, was die ungarischen Schriftsteller immerhin vertragen könnten, und außerdem würden diese Vorlesungen in den Provinzstädten, welche ihre Kulturpaläste haben, neue Kulturfreuden bedeuten. Es ist eben eine Stufe der Kulturentwicklung, dass heute nicht bloß Violinvirtuosen und Bühnenkünstler Konzerte mit Entree veranstalten, sondern auch die Vollblutrepräsentanten des Schrifttums, der Kunst und der Wissenschaft zu ihrem Nutzen und zum Frommen der gesamten Kultur

*

Teschek, das ist ja schon eine Glosse, wiewohl es nur ein Zitat aus dem ›Pesti Hirlap‹ ist. Ich werde es vorlesen gegen Entree, wiewohl ich ein aufrechter wohlhabender Mann bin. Aber ich muß. Denn das Vorlesen in Budapest gegen Entree ist sehr kostspielig. Nicht nur die Miete des Kulturpalastes, nicht nur die Polizeilizenz, sondern auch die Presse, all dies macht den Erfolg in Budapest zu einem hochmoralischen. Von dem Entree bringt die Presse allein, der man die Vornotizen bezahlen muß, einen guten Teil in Abzug. Zum Beispiel der Pesti Hirlap, ein aufrechtes wohlhabendes Organ, das nicht böse ist, wenn seine Artikel neben den moralischen Erfolgen auch finanzielle Resultate haben und das sich für die Unterstützung der kulturellen Tendenzen der Spielbank 21.000 Kronen bezahlen ließ. Schon vor einigen Jahren hat er in Anerkennung meiner literarischen Tätigkeit meine Vermögensverhältnisse überschätzt und er schwärmt sehr für fremde materielle Unabhängigkeit. Ob die ungarischen Schriftsteller gut daran tun würden, außer dem Interesse, das ohnehin die Spielbank an der Erhöhung ihrer Einnahmen hat, auch noch meinem Beispiele zu folgen und Vorlesungen gegen Entree zu veranstalten, kann ich nicht beurteilen. Aber jedenfalls weiß ich, dass die Vollblutrepräsentanten des Pferdehandels Kulturträger bleiben, wenn sie darauf verzichten, Tips auf geistige Karrieren zu geben.

 

 

März, 1914.


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