Der ärarische Tod


Von einer mit den Verhältnissen des k. k. Postsparkassenspitals vertrauten Persönlichkeit erhalte ich die folgende Zuschrift:

Sie haben sich mit dem in Nummer 195 der 'Fackel' erschienenen Artikel »Der ärarische Tod« 1½ Tausend Postsparkassenbeamte und -beamtinnen zu Dank verpflichtet. Denn dort weiß man sehr wohl, dass selbst eine kleine Notiz in der 'Fackel' in den »maßgebenden Kreisen« bessere Wirkung tut, als spaltenlange Artikel in den Tagesblättern.

Nach einer Meldung des 'Neuen Wiener Tagblatts' vom 11. d. M. hat die Staatsanwaltschaft die Untersuchung des Falles Hahnel eingestellt. Olga Hahnel, so heißt es dort, hat längere Zeit jede ärztliche Hilfe abgelehnt und ihren Zustand, der nicht sogleich erkannt worden war — Bureauvorstände haben da ihr ärztliches Gutachten abgegeben — selbst für unbedenklich gehalten. Also ist ein fremdes Verschulden ausgeschlossen? Mag die Todesursache welche immer gewesen sein, die Tatsache bleibt aufrecht, dass die Erkrankte infolge des Verbots, die Rettungsgesellschaft zu rufen, über drei Stunden ohne ärztliche Hilfe blieb und dass der Beamte Hager, der sie dennoch rief, vom Sektionsrat Bauer zur Verantwortung gezogen wurde. Auch der Fernstehende kann erraten, warum das verschüchterte Mädchen, das ihr Unwohlsein schon als ein Vergehen gegen die Disziplin empfand, die ärztliche Hilfe ablehnte. Ob die Staatsanwaltschaft an diesen gewiß auch ihr bekannten Fakten blinden Auges vorübergehen durfte, ist eine Frage, die Sie, hochgeehrter Herr, gewiß mit mehr Sachkenntnis zu beurteilen vermögen als ich.

Nun üben verläßliche Polizeiärzte im Postsparkassenamte ihre Praxis aus und sie wußten mit Genugtuung zu melden, dass sich innerhalb einer Woche bloß 15 Erkrankte in ihre Behandlung begaben und auch von diesen nur vier dienstunfähig waren. Sie berichteten aber nicht über die weit größere Zahl von Erkrankten, die privatärztliche Hilfe aufsuchten. Wozu auch? Jedes unliebsame Aufsehen muß doch vermieden werden, und so darf die Öffentlichkeit nicht erfahren, dass der 6½ stündige Normaldienst noch immer nicht eingehalten wird, dass die Beamten und Beamtinnen nach wie vor gezwungen werden, täglich drei und mehr Überstunden zu machen, und dass es hauptsächlich dieser Umstand ist, der eine bis dahin in ihrer Massenhaftigkeit unerhörte Nervenkrisis hervorgerufen hat.

Wie Sie ganz richtig bemerkten, wird eben auch hier, wie überall in unserem lieben Österreich, nicht die Wurzel des Übels, die Ausbeutung, sondern die Folge, das Kranksein, von unserer erleuchteten Direktion bekämpft. Und so wird es Sie interessieren, zu erfahren, dass die Beamten und Beamtinnen jetzt nicht nur im Amte, sondern auch in ihrer privaten Häuslichkeit polizeiärztlich »überwacht« werden. Zu Personen, die im Dienste zusammengebrochen sind und denen ihr Hausarzt zur Erholung eine kurze Befrei uns: vom Dienste verordnete, schickt man einen Polizeiarzt, der, wenn er die Erkrankten nicht gerade bei den Vorbereitungen zum Sterben oder bei der Abreise ins Irrenhaus antrifft, die Diagnose »dienstfähig« stellt und die Erschöpften ins Amt kommandiert.

Während für die »öffentlichen Mädchen« vielfach die Abschaffung der Reglementierung gefordert wird, wird sie für die Mädchen, die im öffentlichen Dienst stehen, eingeführt. Vielleicht interessiert sich die Ärztekammer für diese neugeschaffene Kompetenz der Polizeiärzte, die förmlich als eine berufsmäßige Desavouierung der privatärztlichen Gutachten ausgeübt wird.

Was an Maßregelungen und Quälereien aller Art von der Amtsleitung aus geschehen kann, geschieht, um die gekränkte Autorität wieder auf den alten Glanz herzurichten. —

Sollte Ihnen, hochgeehrter Herr, einiges von dem hier Mitgeteilten der Veröffentlichung in der 'Fackel' wert erscheinen, so bitte ich darum. Sie würden damit eine Gruppe der ausgebeutetsten Staatsbeamten in ihrem wahrhaft schweren Kampfe ums Dasein unterstützen.

 

 

Nr. 197, VII. Jahr

28. Februar 1906.


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