Die Suttner
Kammerzofe. Als eine »starkgeistige« Frau wird uns die Berta v. Suttner von der liberalen Presse überliefert. Selbst Ibsen soll auf sie hereingefallen sein. Ehre sei Gott in der Höhe, wenn er uns vor den starkgeistigen Frauen schützt! Aber wenn schon Friede den Menschen auf Erden sein soll, so werde er ihnen nicht durch die dümmsten Feuilletons gestört. Noch ist das Gespräch der Suttner mit dem Fürsten von Monaco nicht vergessen, da erzählt sie uns auch schon, wie es in Küche und Keller der Gräfin Stephanie Lonyay zugeht. Interessiert uns nämlich ungemein. Ein Thema, dem endlich ein Feuilleton in der ›Neuen Freien Presse‹ gewidmet werden mußte. Der Max Schlesinger hat nie den Ehrgeiz gehabt, dem russisch-japanischen Krieg durch eine Depesche an den Präsidenten der Vereinigten Staaten ein Ende zu machen, hat auch nie, wiewohl er für ein ›Salonblatt‹ schrieb, auf den Nobelpreis Anspruch erhoben. Aber er hat dafür die Fürstlichkeiten geschickter ausgefratschelt als die Berta v. Suttner, die wohl deshalb, weil sie selbst Aristokratin ist, sich einbildet, einen natürlicheren Anspruch auf die Indiskretionen »aus der Gesellschaft« zu haben als ein bürgerlicher Reporter. Das ist aber nicht wahr. Bei den Plaudereien des Max Schlesinger war’s nur peinlich, dass sich die Fürstinnen dazu hergaben, ihm die für weitere Kreise unentbehrlichen Auskünfte über den Bestand ihrer Leibwäsche zu erteilen. Bei den Plaudereien der Baronin Suttner wirkt vor allem die Herablassung jener Persönlichkeit peinlich, die die Auskünfte empfängt. Das Feuilleton »Weihnachten bei der Prinzessin Stephanie in Oroszvar« gehört zu den sinnigsten Unappetitlichkeiten, die uns die Schmockpresse je zum heiligen Feste beschert hat. Die Suttner erzählt, dass die Beteiligten in Oroszvar »einen kleinen Volksstamm abgaben«. Die Schloßherrin aber habe mit eigener Hand die für jeden bestimmte Gabe verteilt und jedesmal ein freundliches »Ich wünsche glückliche Feiertage« hinzugefügt. Wie oft demnach die Schloßherrin diese Worte aufgesagt hat, das auszudenken überläßt die Suttner einer Phantasie, die in Fieberträumen liegt; dafür entschädigt sie die Leserinnen durch die gewissenhafte Beantwortung der nicht minder geläufigen Frage: Was hat sie angehabt? Und fügt etwas Sensationelles hinzu: »Vor nicht langer Zeit las man in den Blättern (obwohl dies die Blätter im Grunde nichts angeht), dass Gräfin Lonyay in London eine Quantität von Schmuck verkauft habe. In der Tat hatte sie, wie dies jede Dame bisweilen tut, in ihrem Schmuckschrank Ordnung gemacht, altmodische und minderwertige Dinge abgestoßen, schon alte Garnituren neu fassen lassen, so dass der Schmuck jetzt nur Tadelloses — in Millionenwert — enthält«. Obwohl dies die Blätter im Grunde nichts angeht, erzählt es die Suttner in der ›Neuen Freien Presse‹. Dann schildert sie, wie die Kammerjungfern, Lakaien, das Küchen- und das Stallpersonal beschenkt wurden. Der Christbaum durfte nicht geplündert werden. Nur die Suttner, die schon den Nobelpreis hat, durfte sich »ein kleines Zuckerschweinchen, das ein vierteiliges Kleeblatt im Rüssel hält« (wie lieb!), herabholen. »Und wer da bezweifelt, dass mir das Glück bringt, ist ein mißgünstiger Charakter.« Das ist aber noch gar nichts. Die Leser des Weltblatts sollen noch wichtigere Kunde hören. »Monsieur Björn — kurzweg Monsieur genannt — wurde auch beschenkt: ein Schüsselchen mit seinem Lieblingsgericht, Kalbsbraten, und eine weiche Seidendecke. Herr Björn ist ein wunderschöner Ireland-Spitz und immer — zu Hause wie auf Reisen — in seiner Herrin unmittelbarer Gesellschaft. Ich datiere das Vergnügen (er wird finden, ich sollte sagen ›die Ehre‹) seiner Bekanntschaft zwei Jahre zurück, nach Kap Martin, und glaube seither seines herablassenden Wohlwollens sicher sein zu dürfen. Es ist anerkannt, dass Monsieur von fast unnahbarer Vornehmheit ist, und alle Menschen (seine Herrin, die er einfach ›ma femme‹ nennt, mitinbegriffen) sagen ›Sie‹ zu ihm. Er ist die hochmütigste Bestie — Pardon, ich wollte sagen: Individualität, die es auf beiden Hemisphären gibt. Das drückt sich in seinen ganzen Manieren aus. Wenn ihm die Schüssel mit seiner täglichen Mahlzeit in den Salon gebracht wird, so tut er, als bemerke er es nicht; erst bis der Diener wieder fortgegangen ist, steht er langsam von seinem Lager auf und begibt sich nachlässigen Schrittes zum Diner. Hier gibt es nicht etwa, wie es sonst Hundebrauch, schlürfendes Verschlingen — Monsieur speist lautlos und leidenschaftslos, als Gentleman.« 23 Zeilen über den Spitz der Gräfin Lonyay! Das ist zu viel! Die größten Dichter sind in der ›Neuen Freien Presse‹ schlechter weggekommen. Von den Bequemlichkeiten des Schlosses erwähnt die Suttner die eine: »Man wohnt mit der Prinzessin der täglichen Frühmesse bei — oder auch nicht«. Das ist unleugbar ein Vorzug, den Oroszvar vor anderen Gegenden voraus hat. Aber der Fehler, den dort »die Tage haben: viel zu kurz zu sein, um alles das zu fassen, was man in ihnen tun könnte und wollte«, ist gewiß nicht ein typisches Merkmal der Gegend von Oroszvar. Was ist’s denn übrigens — nachdem der Spitz der Gräfin behandelt ist — mit dem Grafen Lonyay? Nun, wir erfahren, dass auch er »in Kleidung und in der Gemütsinnigkeit bei äußerer Reserve« an britisches Wesen mahnt. Vor allem aber ist er Europäer. »Übrigens ist auch diese Bezeichnung für das, was ich meine, zu eng; denn die Kulturländer der anderen Weltteile müssen mit einbezogen werden in den Begriff des vollwertigen Kulturbürgertums der Zukunft. Noch ist sehr viel zu tun und zu schaffen, bis der Besitz ganz fertig sein wird.« Der Besitz von Kultur? Nein, der Besitz von Oroszvar. »Noch fehlt«, ruft die Suttner pathetisch, »die elektrische Beleuchtung, noch soll der Park mit Zieranlagen und Terrassen verschönert werden und anderes mehr; dagegen ist die Ausschmückung der Innenräume nahezu vollendet«. Kommt die elektrische Beleuchtung hinzu, so hat Oroszvar Aussicht, ein »Klein-Weimar« zu werden. Unter den Gästen fesselt besonders der Domprobst von Preßburg. Er ist unerhört freisinnig und wendet sich im Gespräch mit der Suttner gegen die Erziehung in den Nonnenklöstern. Aber er scheint sich nicht ganz klar auszudrücken, denn die Suttner sieht sich ein paar Tage später gezwungen, ihr Feuilleton zu berichtigen und zu erklären, dass der Domprobst von Preßburg es doch anders gemeint habe. Zum Schlusse eine kleine Reklamenotiz für die Geigerin Amely Heller, die nicht berichtigt werden muß. Amely Heller hat »bereitwilligst zugesagt«, am soundsovielten im großen Musikvereinssaale zu gunsten des Österreichischen Friedensvereins zu konzertieren, und die Schloßherrin von Oroszvar hat das Protektorat übernommen. »Zu diesem Versprechen nickte Fee Nr. 3 Beifall.« Beinahe hätte ich nämlich vergessen, zu erwähnen, dass drei Feen an der Wiege der Prinzessin Stefanie gestanden sind. Die erste sprach so etwas wie: Austria erit in orbe ultima. Die zweite murmelte etwa: Bella gerant alii, tu felix Austria nube. Doch die dritte, ja die dritte, rief: Die Waffen nieder! In ihrem Sinne war es, dass die Männer an der Kunkel sitzen und die Weiber die Feder führen. Und dass die »starkgeistigen« unter ihnen den erbärmlichsten Klatsch aus gräflichen Gesindestuben zu Feuilletons für Weltblätter verarbeiten.
Nr. 217, VIII. Jahr
23. Jänner 1907.