7. Kapitel
Prinz Friedrich Karl im Schlosse zu Berlin
Jagdschloß Dreilinden war die Stätte, wo der Prinz am ausgesprochensten der Gastfreund seiner Freunde war, aber er war es nicht in Dreilinden allein und ich mag in meiner Erzählung nicht fortfahren, ohne vorher von einem in der »Deutschen Rundschau« veröffentlichten Aufsatze Nutzen gezogen zu haben, in welchem Dr. Paul Güßfeldt auch über die Gastlichkeit berichtet, die seitens des Prinzen im Berliner Schlosse geübt wurde.
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»Als ich«, so schreibt Dr. Güßfeldt, »nach mehrjähriger Abwesenheit von Europa wieder in die Heimat und nach Berlin zurückgekehrt war, schrieb ich mich beim Prinzen in das Meldebuch ein und sah mich schon am andern Morgen eingeladen. Damals bewohnte der Prinz Gemächer im zweiten Stock des Königlichen Schlosses. Der Adjutant empfing uns und gleich danach erschien auch der Prinz in Person. So groß das Zimmer war, so war es doch derart eingerichtet, daß weder Pracht noch Größe ins Auge fielen. Im Gegenteil, der Eindruck des Behaglichen überwog. An einer scheinbar willkürlich gewählten Stelle stand ein kleiner runder Tisch, an welchem sechs Personen bequem Platz hatten. Ein dicker Smyrnateppich war darüber gebreitet, kein Tischtuch, wohl aber sechs Kuverts; in der Mitte eine Moderateurlampe. Der Prinz wies einem jeden seinen Platz an. Ihm gegenüber saß der persönliche Adjutant, zu beiden Seiten je zwei Gäste, der zuhöchst im Range Stehende zur Rechten. Zwei große Schüsseln Austern harrten bereits der Gäste und jeder griff nach Belieben zu, während im harmlosen Geplauder Neuigkeiten, oft personeller Natur, ausgetauscht wurden. Sobald die Austern verzehrt waren, wurde ein Braten gereicht, selten noch irgend etwas anderes, und damit war die Mahlzeit beendet. In Berlin, im Gegensatze zu Dreilinden, erhielten die Gäste nur Champagner, der aus silbernen Bechern, mit hohem Fuße und innen vergoldeten Schalen, getrunken wurde. Das starre Festhalten an diesem Gebrauch war bezeichnend für den Prinzen; er glaubte fest daran (sprach es auch einmal in meiner Gegenwart aus) daß der perlende Schaumwein seinen Gästen das willkommenste Getränk sei. Nicht gerne wich er von dieser Tischregel ab und so galt es denn als eine besondere Gunst, den schüchternen Hinweis auf einen widerspenstigen Magen respektiert und statt des Champagners eine Flasche Rotwein für den mehr oder weniger maroden Gast erscheinen zu sehn. Der Prinz selbst trank den Wein stets mit Mineralwasser gemischt, mit dem er seinen Gästen gegenüber geizte; ja, die grüne Biliner Glasflasche stand wirklich wie ein Sakrum vor ihm und wer nicht weißes Haar (oder keines) hatte, der durfte nicht wagen, an dem Inhalt teilzunehmen.
Nach Beendigung der kaum eine halbe Stunde dauernden Mahlzeit blieb alles sitzen. Nur gelegentlich erhob sich der Prinz, um persönlich ein Buch oder eine Karte herbeizuholen. Dann kursierten die Zigarren, deren Beschaffenheit der Prinz selbst definierte. Vor jedem Gaste stand außerdem noch ein Aschenbecher, eine flache Porzellanschale mit zwei Laubfröschen, die sich – menschliches Tun humoristisch nachahmend – in den verschiedensten Lagen und Beschäftigungen zeigten. Der Prinz besaß eine große Sammlung davon und je nach der Laune des Zufalls sah ich an den verschiedenen Abenden die guten Frösche musizieren oder disputieren oder zechen. Zigarrenabschnitte durften nicht in den Aschenbecher gelegt werden, darüber wachte der Prinz streng; sie wurden peinlich gesammelt und am Ende des Jahres dem wohltätigen Vereine überwiesen, der sie verwertete.
Unter den die Wände schmückenden Gemälden befanden sich zwei, die an keinem anderen Orte so berechtigt gewesen wären, wie hier. Das eine fixierte den Moment, wo der Prinz, nachmittags zwischen 3 und 4 Uhr, auf dem Schlachtfelde von Vionville erscheint und die Meldung des Generals von Stülpnagel über die momentane Situation der 5. Division entgegennimmt. Das andre Bild zeigt den Prinzen am 29. Oktober vor Metz, in dem Augenblicke, wo der französische General Girard mit abgezogenem Käppi den Auftrag Bazaines ausrichtet: ›Monseigneur, j'ai l'ordre de vous rendre la garde impériale.‹ Zu diesen zwei Bildern gesellte sich noch ein drittes von verwandtem Interesse: Der kommandierende General des IX. Korps von Manstein erstattet am 1l. Januar 1871, bei der Ferme St. Hubert, dem Prinzen Meldung über die Aktion bei Champagné (vor Le Mans); der Kommandeur der siegreichen 18. Division, General von Wrangel, steigt eben zu Pferde; von der Seite sieht man General von Alvensleben, Kommandierenden des III. Korps, heransprengen, begleitet vom Chef seines Stabes, damaligen Obersten von Voigts-Rhetz.
Noch ein anderer Gegenstand – aus dem Schlosse Frescaty bei Metz stammend – bot gerade hier ein besonderes Interesse: ein rechteckiger Tisch mit schwarzer Marmorplatte, deren vier Ecken die folgenden Inschriften, auf Goldbronze graviert, trugen:
a. 173000 Gefangene, darunter 3 Marschälle, 6000 Offiziere. Verlust der Rheinarmee, bis zur Kapitulation, in Schlachten und Gefechten: 43000 Mann.
b. 57 Adler (folgen die Bezeichnungen und Nummern sämtlicher Regimenter, von denen die Adler stammen).
c. 4700 Militärfahrzeuge; 13000 Pferde; Bekleidungsmaterial für 700000 Taler im Wert.
d. 1570 Geschütze (unter besonderer Angabe der einzelnen Gattungen.)
Die Herkunft und Bedeutung dieser historischen Reliquie (des Tisches) war mir unbekannt geblieben, bis der Prinz mich eines Tages bei der Hand nahm – wie er gerne tat, wenn er seinem herzlichen Wohlwollen einen Ausdruck geben wollte – und mir sagte: ›Auf diesem Tisch ist die Kapitulation von Metz unterzeichnet worden.‹
So war das Speisezimmer im Königlichen Schlosse zu Berlin und ich sehe, während ich dies niederschreibe, wieder die durch Reflektoren erleuchteten Gemälde vor mir und dazu den kleinen Tisch der Tafelrunde, bedeckt mit dem mattfarbigen Smyrnateppich, in seiner Mitte die trauliche Lampe, darum herum die glitzernden, silbernen Becher mit dem auf Goldgrund gebetteten perlenden Wein, die Aschenbecher mit den unermüdlich tätigen Laubfröschen, die braunen Havannakisten, die große mattglänzende Bombe mit den holländischen Zigarren, – und als Tafelrunde selbst den Kreis der Männer, die den Prinzen umgaben. Das waren die ›buveurs intrépides‹ (wie uns der Prinz einmal in scherzender Verachtung eines viel besprochenen Pamphlets nannte), dieselben unerschrockenen Trinker, welche den Tag über im Generalstab oder im Ministerium, vor der Front oder am Studiertisch in schwer verantwortlicher Stellung gearbeitet hatten und welche am folgenden Morgen dieselbe Tätigkeit wieder aufnehmen mußten. Wäre nicht auch des großen Königs Tafelrunde zu Sanssouci stolz darauf gewesen, einen Mann wie Leopold von Ranke zu den ihrigen gezählt zu haben?«
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So Dr. Paul Güßfeldt in seinem trefflichen Essay, dem ich, wenn auch aus minder reicher Erfahrung, einiges Wenige hinzufügen möchte. Januar bis März 1882 bewohnte der Prinz, statt der Zimmer im zweiten Stock, eine zwischen dem Schloßplatzportal und der Schloßfreiheitecke gelegene Parterrezimmerreihe. Die Einrichtung war die von Dr. Güßfeldt geschilderte. Zieh' ich eine Parallele zwischen den Reunions in Dreilinden und denen im Königlichen Schlosse, so waren die Dreilindner Zusammenkünfte heiterer und poetischer (schon durch die Szenerie), die im Schlosse dagegen lehrreicher und interessanter. Es konnte dies auch kaum anders sein. In Dreilinden saß man zu zwölf, im Schloß zu sechsen am Tisch, und während sich in Dreilinden das Gespräch in Nachbarplaudereien auflöste, blieb es im Schloß geschlossen. Immer einer hatte das Wort. Und dieser eine war meist ein Sprechefähigster. Manche freilich, die wohl hätten sprechen können, schwiegen sich aus, nach dem Satze »Schweigen ist Gold«. Einmal kam das Gespräch auf Orden und der Prinz gab Befehl, daß sein Ordenskasten herbeigeschafft würde. Der Kasten kam denn auch und wurde durchmustert, bei welcher Gelegenheit wir erfuhren, daß das Gesamtgewicht der Orden zehn Pfund betrage.