Karl von Hertefeld in Rambouillet, Blois, Paris


In Bälde nahm Karl von Hertefeld seine Studien wieder auf, entsagte dem gesellschaftlichen Leben und steckte, mit der ihm eigenen Assiduität, in allerhand physikalischen und chemischen Experimenten, als im März 1815 plötzlich die Nachricht von Haus zu Haus lief: »Napoleon wieder da«. Zur Bekämpfung des Weltstörenfrieds setzte sich, wie bekannt, alles unverzüglich in Bewegung und diesmal mit dabei zu sein, war ein unerläßliches Gebot der Ehre. Selbst der alte Freiherr enthielt sich jedes weiteren Widerspruchs und willigte, wie schon erzählt, in den Eintritt des Sohnes bei von Colombs 8. Husaren. Das war im Mai. Mitte des Monats (am 18.) erreichte Karl von Hertefeld sein zwischen Wegeleben und Quedlinburg in Kantonnements-Quartieren liegendes Regiment, und schrieb tags darauf: »Ich bin der 3. Schwadron unter Rittmeister von Zychlinski zugeteilt worden, was mir außerordentlich lieb ist. Denn in die Depotschwadron gesteckt zu werden, was doch immerhin möglich war, wäre das Non plus ultra von Unannehmlichkeit für mich gewesen. Ich befinde mich wohl und Jochen (der Reitknecht, den ihm der Alte mitgegeben) benimmt sich so geschickt, als ob er schon jahrelang gedient hätte.« Gleich danach erfolgte der Aufbruch. Am 23. war man in Goslar, am 30. in Kassel und zwei Tage später in Fritzlar. »Ich bin von der 3. Schwadron des Rittmeisters von Zychlinski zur 1. Schwadron des Rittmeisters von Loën versetzt worden, der sehr höflich gegen uns Volontärs ist, womit sich von Zychlinski nicht aufhielt. Ebenso ist Major von Colomb von großer Freundlichkeit gegen uns. In Kassel trat er in einen Gasthof, in dem wir saßen, setzte sich zu uns und aß mit uns. Das hätten nicht viele Regiments-Kommandeure getan. Wenn Du schreibst, so schreibe bloß: ›An den Volontär von Hertefeld, im Husaren-Regiment Nr. 8, IV. Armeekorps, Kavallerie-Division Prinz Wilhelm von Preußen.‹ Unter dieser Adresse treffen mich alle Sendungen am sichersten.«

Am 10. Juni war das Regiment in Köln, am 12. in Aachen und am 15. in Visé an der Maas. »Es geht nun an den Feind. Er ist ganz nah...« Ein Signal unterbrach ihn hier, und die nächsten Zeilen (vom 24.) sind bereits sechs Tage nach Waterloo geschrieben. »Früh am 16. brachen wir auf und marschierten in einem fort, bis wir am 17. abends zur Armee stießen und in einem aufgeweichten Boden biwakierten. Am andern Morgen (18.) defilierte die Infanterie an uns vorbei. Gegen Mittag setzten wir uns ebenfalls in Marsch, und nicht lange, so hörten wir eine Kanonade, die beständig wuchs. Es wurde uns etwas schwül. Dann aber hieß es Trab, und eine kleine Weile noch, so lag das Schlachtfeld vor uns und die Kugeln pfiffen uns um die Ohren. Eine weitläufige Beschreibung der Schlacht wirst Du von mir nicht verlangen; ich weiß auch nur, wie's auf dem Flecke zugegangen ist, auf dem wir standen. Wir mußten anfänglich zwei Batterien decken und abwechselnd Bewegungen nach rechts und links machen. Alles im heftigsten Kanonenfeuer. Plötzlich ging es im Trabe vorwärts und zwar in solcher Eile, daß gar nicht einmal Regiment formiert wurde, sondern jede Schwadron für sich blieb. Eine kleine Anhöhe hatten wir vor uns. Als wir da hinauf kamen, standen französische Lanciers vor uns, und nun gings darauf los. Aber ehe wir noch heran waren, machten sie kehrt, und nun ging es munter hinterher. Ich setzte einem Offizier nach und stach ihn in den Rücken, in demselben Augenblick aber hieb ihn unser Wachtmeister übers Gesicht, so daß er gleich herunter stürzte. So ging es noch eine Strecke weiter, bis wir in Infanteriefeuer kamen und nun unsererseits kehrt machten. In einiger Entfernung raillierten wir uns wieder, kamen aber nicht mehr zur Attacke und blieben nur immer einem starken Kanonenfeuer ausgesetzt. Gegen Abend rückten, rechts von uns, ungeheure Truppenmassen in die Front. Es war die englische Armee; der Sieg war unser. Wir verfolgten den Feind noch eine Strecke, kamen aber nicht an ihn, weil andere Regimenter vor uns waren.

Im ganzen genommen hat die Gefahr keinen großen Eindruck auf mich gemacht und ist geringer, als ich geglaubt habe. Wir sind am stärksten mit vorgewesen, und doch hat unsere Schwadron nur zweiunddreißig tote und verwundete Pferde und Menschen.

Seit dem Schlachttage sind wir, ohne weiteres Gefecht, bis hierher (St. Germain bei Guise) vorgerückt. Die Franzosen laufen, wo wir hinkommen. Bei Laon aber sollen sie sich ernstlich widersetzt haben. Gestern war ich auf Feldwacht. Die Einwohner kamen aus Guise heraus und sagten uns, die Tore seien offen. Wir ritten nun vor, ohne zu bedenken, daß ein festes Schloß neben der Stadt gelegen ist. Ein Glück, daß die Franzosen friedlich gesinnt waren, sonst hätte man uns unangenehm begrüßen können. So wurd' eine zeitlang unterhandelt, bis wir schließlich mit langer Nase abziehen mußten. Die längste aber kriegte der Offizier, der uns geführt hatte.

 

Rambouillet, den 12. Juli 1815.

 

Verzeih, daß ich so spät erst wieder schreibe. Aber obschon wir seit dem 18. vorigen Monats immer nur unbedeutende Gefechte gehabt haben, so hatten wir doch beständig die Vorposten. Unser Marsch ging bei Compiègne vorbei nach Creil an der Oise, wo wir zunächst die Brücke forcierten und dann über Senlis weiter vorrückten. Den zweiten Tag nach dem Übergang über die Oise kamen wir Paris so nahe, daß wir deutlich die vergoldete Kuppel der Invaliden und das Pantheon unterscheiden konnten. Wir hungerten sehr und es wurde mir schwer, mir die gut besetzte Tafel im Palais royal aus dem Gedächtnis zu bringen. In einem Nachtmarsche ging es dann bis vor St. Germain en laye, dessen Seinebrücke durch zwei uns begleitende Infanteriebataillone genommen wurde. Der Tag darauf war der Unglückstag, an dem sich die Brandenburgischen und Pommerschen Husaren in Versailles überfallen sahen und so schwere Verluste hatten. In Versailles, wo wir bald danach einrückten, um den Rücken der Armee zu decken, empfingen wir die Nachricht von der Kapitulation von Paris und dem abgeschlossenen Waffenstillstand. Vorgestern sind wir hier in Rambouillet eingetroffen und in die königlichen Ställe einquartiert worden. Zum ersten Male wieder, nach langer Zeit, durften wir absatteln.

Indem ich dies schreibe, kommt Marschbefehl. Einige sagen, es ginge nach Chartres.

Mit Jochen Schulz bin ich außerordentlich zufrieden; ich glaube schwerlich, daß ich einen besseren Menschen hätte finden können.

 

Blois, den 13. August 1815.

 

Über Chateau Renault sind wir hierher marschiert. Die Franzosen stehen in der Vorstadt, am anderen Ufer der Loire, und wir verkehren mit ihnen. Am Geburtstage des Königs, 3. August, gaben unsere Offiziere eine große Fete, zu der auch die französischen Stabsoffiziere geladen wurden. Sonst leben wir hier langweilig und bringen die Zeit mit Paraden und Exerzieren hin. Mit Jochen Schulz, der sich sehr wohl befindet, bin ich nach wie vor zufrieden. Die Schlacht hat er nicht mitgemacht, weil sein Pferd gedrückt war, infolgedessen er bei der Bagage zurückbleiben mußte. Bei Creil holte er mich wieder ein, fand aber keine Gelegenheit mehr zu Heldentaten.

 

Paris, den 25. August 1815.

 

Mit dem unaussprechlichsten Vergnügen benachrichtige ich Dich, daß ich durch verschiedene Zufälle nach Paris gekommen bin. Hier wandt' ich mich sofort an den Grafen Anton Stollberg, und Prinz Wilhelm war so gnädig, mir den Urlaub, um den ich bat, ohne weiteres zu bewilligen. Ich bin also jetzt frei und hoffe noch vor dem 1. Oktober in Liebenberg zu sein. Jochen Schulz hab' ich leider nicht los machen können; er muß beim Regimente bleiben, bis alle Freiwilligen entlassen werden.

Hier in Paris ist jetzt alles viel ruhiger als im vorigen Jahre. Aus der Gemälde- beziehungsweise Antikengalerie sind schon viele Stücke weggenommen und eingepackt worden, besonders unsrerseits. Mir tut es leid, daß man die herrliche Sammlung zerstückelt. Es sind halbe Maßregeln. Wollte man diese Schätze den Franzosen nicht lassen, so mußte man alles fortschaffen und es an irgend einem andern zweckmäßigen Orte aufstellen. So schadet es nur der Kunst und bringt uns keinen Vorteil.

Es scheint fast, als ob den Parisern das Recht, über ihre Sieger zu lachen, nicht genommen werden kann. Unter dem Titel: ›Costumes des armées des alliés en 1814‹ verkaufen sie die leider nur zu passenden Karikaturen russischer, preußischer und englischer Offiziere. Vorzüglich schön haben sie den russo-preußischen Geschmack, also den, die Menschen in eine Wespe zu verwandeln, aufgefaßt. Ich denke einige der besten dieser Karikaturen mitzubringen.

 

Paris, den 13. September 1815.

 

Mein Aufenthalt hier hat sich gegen meinen Willen verzögert. Jetzt aber wo das Geld angekommen ist, gedenk' ich übermorgen, den 15., abzureisen. Aus und von Paris kann ich wenig Erfreuliches schreiben. Vor ein paar Tagen entstand im Palais Royal ein Streit zwischen französischen und alliierten Offizieren und Soldaten. Von seiten der Franzosen ließen sich hauptsächlich Schmähungen und Drohungen auf Preußen hören, obgleich der Zank eigentlich zwischen Engländern und Franzosen entsprungen war. Überhaupt ist der Haß der Franzosen gegen die Preußen aufs höchste gestiegen; Beleidigungen, die von seiten der Engländer, Russen und Österreicher ausgehen, werden diesen nicht angerechnet und auf die Preußen geschoben. Überhaupt scheint Preußen dem Schicksale ›gehaßt zu werden‹, nicht entgehen zu können. Doch darüber mündlich mehr.«

Mit diesen Zeilen vom 13. September schließen die Kriegs- und Reisebriefe von 1815.

 

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