4. Die Peter-Paulskirche zu Nikolskoe
Nikolskoe war ursprünglich nichts als ein russisches Blockhaus, das Friedrich Wilhelm III. auf einer Havelhöhe gegenüber der Pfaueninsel errichten ließ. Kastellan von Nikolskoe war ein geborener Russe mit Namen Iwan, ein schöner alter Mann, mit langem weißem Bart und in bequemer russischer Nationaltracht. »Als bald danach«, so erzählt Eylert, »Kaiser Nikolaus samt Gemahlin (Prinzessin Charlotte von Preußen) Potsdam besuchte, führte Friedrich Wilhelm III. seine russischen Gäste vor dies Blockhaus und sagte: ›Sieh, Charlotte, es ist eine getreue Kopie des Blockhauses, in dem wir, als ich Euch in Petersburg besuchte, so froh waren. Du wünschtest dir damals ein solches Haus und meintest, man könne darin ebenso vergnügt sein, als in einem kaiserlichen Palast. Dies dein Wort hab' ich behalten und im Andenken daran dies Haus errichten lassen. Und nach dem dir teuersten Namen soll es Nikolskoe heißen‹.«
Das alles war in den letzten zwanziger Jahren und wie damals die junge russische Kaiserin ahnungslos die Anregung zum Bau des Blockhauses Nikolskoe gegeben hatte, so sollte sie später die Veranlassung zum Bau der Kirche von Nikolskoe werden. Und zwar war dies bei einem abermaligen Besuche, den sie der preußischen Heimat abstattete. Mit ihrem Vater, dem Könige, bei Sonnenuntergang zwischen den Bäumen der Pfaueninsel auf und ab schreitend, äußerte sie »wie schön und erbaulich es sein müsse, wenn diese Abendstille vom Glockengeläut einer am andern Havelufer errichteten Kapelle durchtönt würde«, Worte, die ganz der Stimmung des Königs entsprachen und kurze Zeit danach bei diesem zu dem Entschlusse führten, in der Nähe des russischen Blockhauses eine den Aposteln Petrus und Paulus zu stiftende Kirche entstehen zu lassen: die Kirche von Nikolskoe. In der betreffenden Kabinettsorder hieß es: »Die Kirche soll im Stil der russischen Kirchen, jedoch ohne die diesem Stile charakteristischen fünf Türme, sondern nur mit einem kuppelartigen Turme gebaut und danach die Zeichnung entworfen werden«.
Dies Reskript war vom 27. April 1833. Der Kronprinz entwarf eine Skizze, die bald danach vom Könige gutgeheißen und von den Hofbaumeistern Stüler und Schadow zu regelrechten Plänen erweitert wurde. Diesen Plänen entsprechend, erfolgte nunmehr der Bau selbst, nachdem noch vorher unterm 24. März 1834, folgendes in mehr als einem Punkte charakteristische Kabinettsschreiben an die vorgenannten Bauräte gerichtet worden war. »Ich genehmige, daß der Bau nach den mir eingereichten Plänen ausgeführt werde. Nur die Kanzel scheint mir unrichtig so gezeichnet, als ob sie über den Stufen, die zum Altar führen, aufgerichtet werden solle. Die für die Vergoldung der Kuppel und des Kreuzes angesetzten 455 Thaler 15 Sgr. fallen aus, da Kuppel und Kreuz grün gestrichen werden sollen. Friedrich Wilhelm.« Von der Hand des Kabinettsrats Albrecht war in einer Nachschrift hinzugefügt: »Bei Vollziehung dieser Kabinettsordre hat Seine Majestät geäußert, ›er habe nur bemerken wollen, daß man aus der Zeichnung nicht recht ersehe, wie die Kanzel eigentlich zu stehen kommen solle‹.« Der König hatte sehr wahrscheinlich die die Kanzel betreffenden Worte des vom Kabinettsrat abgefaßten Schreibens nicht allzu glücklich gewählt gefunden und wünschte durch diese postskriptliche Hinzufügung seine Bauräte vor dem Vorwurf einer in der Zeichnung zutage getretenen Unsorglichkeit zu schützen.
Am 1. August 1837 war der Bau beendet; am 13. August erfolgte die Einweihung durch den Generalsuperintendenten Bischof Neander und zwar in Gegenwart des Königs, des Oberpräsidenten von Bassewitz, des Hofmarschalls von Massow, des Schloßbaumeisters Schadow und vieler anderer. Acht Tage später wurde Pastor Fintelmann, Bruder des Hofgärtners Fintelmann auf der Pfaueninsel, eingeführt.
Die Kirche kann als eine frei behandelte Basilika gelten, bei der, ganz wie bei der Kirche zu Stolpe, »pittoreske Wirkung« die Hauptaufgabe bildete. Stüler und Schadow haben sich denn auch über die Rücksichten, die, nach dieser Seite hin, beim Bau maßgebend waren, ausführlich ausgesprochen. »Die Höhe von Nikolskoe«, so heißt es im vierten Heft des Architektonischen Albums, »ist in der Landschaft von Potsdam weithin zu sehn. Das sie krönende Bauwerk konnte aber keine bedeutende Ausdehnung erhalten und so war die Ausbildung hoher Formen, namentlich die Anlage eines schlanken Turmes mit Kuppel, einem flacheren Kuppelbau vorzuziehen. Die Zusammenstellung der Formen mußte vor allem auf malerische Wirkung berechnet sein. Dazu kommt, daß die Pfaueninsel und die Höhe von Nikolskoe jährlich von einem großen Teil der Einwohner von Berlin und Potsdam besucht werden und die Aussicht gerade von diesem Punkt aus zu den schönsten hiesiger Gegend zählt. Beides veranlaßte die Anlage von Loggien neben dem Turm, die in solcher Höhe liegen, daß man, über die nächsten Bäume hinweg, das vielfach bewegte Waldterrain, das Flußgebiet mit zahlreichen Buchten und großen Wasserflächen, sowie die eine kleine Meile entfernte Residenz Potsdam mit ihren Schlössern und ihren rings um die Stadt gelegenen romantischen Villen übersieht. Die Loggien wurden außerdem noch durch Anordnung der Glocken motiviert, welche in dem kleinen Turm schwer Raum gefunden hätten und hier im Freien bei weitem besser geeignet sind, die auf eine halbe Meile entfernte Gemeinde zur Kirche zu rufen.«
Daß diese Glocken – die nach dem Wunsche der Prinzessin Charlotte (Kaiserin von Rußland) »mit ihrem Feierklange die abendliche Stille durchbrechen sollten« – in zurückliegender Zeit die recht eigentliche Veranlassung zum Bau der Kirche von Nikolskoe gewesen waren, diese Tatsache war den beiden Baumeistern (wenn sie je davon gewußt) bei Niederschreibung ihres Rechenschaftsberichtes sehr wahrscheinlich aus der Erinnerung gekommen, dem Pastor Fintelmann aber bei seinem Amtsantritt sicher ganz unbekannt geblieben, er würde sonst schwerlich, und zwar nach verhältnismäßig kurzer Zeit schon, angefragt haben: »ob nicht das tägliche dreimalige Läuten in der Kirche zu Nikolskoe auf die Sommermonate beschränkt werden könnte?« Worauf denn aus dem Hofmarschallamte der folgende, ziemlich ungnädige Bescheid erging: »Se. Majestät sind keineswegs mit der von Ihnen geäußerten Ansicht einverstanden und befehlen vielmehr, daß während des ganzen Jahres morgens, mittags und abends geläutet werde, und wollen auch, daß, wenn bisher in dem Filialdorfe Stolpe nicht geläutet wurde, dieses sogleich eingeführt werde.«
Die Peter-Paulskirche zu Nikolskoe verfolgt also, um an dieser Stelle zu rekapitulieren, neben ihrer gottesdienstlichen Aufgabe vor allem zweierlei: sie soll als Bild in der Landschaft wirken und soll zweitens mit ihren Glocken die Stille romantisch-feierlichen Klanges unterbrechen. Und beides ist erreicht worden. Im übrigen gibt sich das Innere der Kirche ziemlich nüchtern. Welche Nüchternheit auch durch drei die Kanzel zierende Medaillonbildchen nur wenig gemindert wird, weil alle drei Bildchen, so hübsch und bemerkenswert sie sind, nicht unmittelbar und durch sich selbst, sondern erst durch ihre Geschichte zur Geltung kommen. Zwei davon, die Apostel Petrus und Paulus, sind wertvolle Mosaikarbeiten (besonders Petrus mit dem Unterkleide von Lapis Lazuli), die Papst Clemens XIII. in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts dem König Friedrich II. zum Geschenk machte. Beide Bildnisse gehörten der Bildergalerie zu Sanssouci an, von der sie, während des Baues der Kirche, hierher kamen. Das dritte Medaillonbild ist ein »Christuskopf mit der Dornenkrone« nach Guido Reni und rührt nicht von einem kopierenden italienischen Meister, sondern vom Lehrer und Küster Fischer her, der, während der letzten Regierungsjahre König Friedrich Wilhelms IV., an der Schule von Nikolskoe amtierte. Fischer bat um die Erlaubnis, dies Bild machen und, wenn gut befunden, in das noch leere Kanzelfeld einsetzen zu dürfen. Nach erhaltener Erlaubnis begann er mit sorgfältiger Präparierung einer Tontafel. Dann schritt er zu einer majolikaartigen Bemalung derselben und brannte die Farben, unter Benutzung seines eigenen Backofens, ein. Einen ihm angebotenen Ehrensold lehnte er ab und bat nur um Bewilligung von »frei Arzt und Arznei«, welche Bitte mit dem Hinzufügen gewährt wurde, »daß diese Bewilligung nicht nur ihm, sondern, ein für allemal, allen Lehrern und Küstern an der Schule bzw. Kirche von Nikolskoe zugute kommen solle«. So wurde sein Fleiß und seine Kunst zum Segen auch für seine Nachfolger, die sich, bei zufällig viel Krankheit, ihres Amtsvorgängers in besonderer Dankbarkeit erinnern.
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In der Kirche von Nikolskoe blieb durch vierzig Jahre hin (von 1837 bis 77) so ziemlich alles beim alten. Erst das letztgenannte Jahr führte Veränderungen herauf. Am 18. Januar 1877 war die Prinzessin Karl gestorben und hatte, wohl in Erinnerung an hier trostreich verlebte Stunden, in ihrem Testamente den Wunsch ausgesprochen, »in der Peter-Paulskirche zu Nikolskoe zu ruhn«. Im Einklange hiermit schritt man, nach einem Entwurfe des Hofbaumeisters Persius, zur Erbauung einer mit weißem, blauem und dunkelgrauem schlesischem Marmor getäfelten und zur Aufnahme von acht Särgen ausreichenden Gruft,59 in der am 24. Mai früh sechs Uhr die Prinzessin – deren Sarg bis dahin in Charlottenburg gestanden hatte – beigesetzt wurde.
Von dem Tage an war die Gruft zu Nikolskoe die designierte Begräbnisstätte der Karlschen Linie des Hauses Hohenzollern:
am 24. Januar 1883 wurde der alte Prinz Karl60hier beigesetzt,
am 18. Juni 1885 Prinz Friedrich Karl.
Und an den Geburts- und Sterbetagen legen Dankbarkeit und Liebe hier ihre Kränze nieder.