XVII.1. Ursprung des Christentums samt den Grundsätzen, die in ihm lagen

 

Außer den angeführten Hauptmomenten der Geschichte scheint es nötig, einige nähere Züge zu bemerken, die zum Bau der Christenheit nicht weniges beitrugen.

 1. Die menschenfreundliche Denkart Christi hatte brüderliche Eintracht und Verzeihung, tätige Hülfe gegen die Notleidenden und Armen, kurz, jede Pflicht der Menschheit zum gemeinschaftlichen Bande seiner Anhänger gemacht, so daß das Christentum demnach ein echter Bund der Freundschaft und Bruderliebe sein sollte. Es ist kein Zweifel, daß diese Triebfeder der Humanität zur Aufnahme und Ausbreitung desselben, wie allezeit, so insonderheit anfangs viel beigetragen habe. Arme und Notleidende, Gedrückte, Knechte und Sklaven, Zöllner und Sünder schlugen sich zu ihm; daher die ersten Gemeinen des Christentums von den Heiden Versammlungen der Bettler genannt wurden. Da nun die neue Religion den Unterschied der Stände nach der damaligen Weltverfassung weder aufheben konnte noch wollte, so blieb ihr nichts als die christliche Milde begüterter Seelen übrig, mit allem dem Unkraut, was auf diesem guten Acker mitsproßte. Reiche Witwen vermochten mit ihren Geschenken bald so viel, daß sich ein Haufe von Bettlern zu ihnen hielt und bei gegebnem Anlaß auch wohl die Ruhe ganzer Gemeinen störte. Es konnte nicht fehlen, daß auf der einen Seite Almosen als die wahren Schätze des Himmelreichs angepriesen, auf der andern gesucht wurden; und in beiden Fällen wich bei niedrigen Schmeicheleien nicht nur jener edle Stolz, der Sohn unabhängiger Würde und eines eignen, nützlichen Fleißes, sondern auch oft Unparteilichkeit und Wahrheit. Märtyrer bekamen die Almosenkasse der Gemeine zu ihrem Gemeingut; Schenkungen an die Gemeine wurden zum Geist des Christentums erhoben und die Sittenlehre desselben durch die übertriebenen Lobsprüche dieser Guttaten verderbt. Ob nun wohl die Not der Zeiten auch hiebei manches entschuldigt, so bleibt es dennoch gewiß, daß, wenn man die menschliche Gesellschaft nur als ein großes Hospital und das Christentum als die gemeine Almosenkasse desselben betrachtet, in Ansehung der Moral und Politik zuletzt ein sehr böser Zustand daraus erwachse.

 2. Das Christentum sollte eine Gemeine sein, die ohne weltlichen Arm von Vorstehern und Lehrern regiert würde. Als Hirten sollten diese der Herde vorstehen, ihre Streitigkeiten schlichten, ihre Fehler mit Ernst und Liebe bessern und sie durch Rat, Ansehen, Lehre und Beispiel zum Himmel führen. Ein edles Amt, wenn es würdig verwaltet wird und verwaltet zu werden Raum hat; denn es zerknickt den Stachel der Gesetze, rottet aus die Dornen der Streitigkeiten und Rechte und vereinigt den Seelsorger, Richter und Vater. Wie aber, wenn in der Zeitfolge die Hirten ihre menschliche Herde als wahre Schafe behandelten oder sie gar als lastbare Tiere zu Disteln führten? Oder wenn statt der Hirten rechtmäßig berufene Wölfe unter die Herde kamen? Unmündige Folgsamkeit wurde also gar bald eine christliche Tugend; es wurde eine christliche Tugend, den Gebrauch seiner Vernunft aufzugeben und statt eigner Überzeugung dem Ansehen einer fremden Meinung zu folgen, da ja der Bischof an der Stelle eines Apostels Botschafter, Zeuge, Lehrer, Ausleger, Richter und Entscheider war. Nichts wurde jetzt so hoch angerechnet als das Glauben, das geduldige Folgen; eigne Meinungen wurden halsstarrige Ketzereien, und diese sonderten ab vom Reich Gottes und der Kirche. Bischöfe und ihre Diener mischten sich, der Lehre Christi zuwider, in Familienzwiste, in bürgerliche Händel; bald gerieten sie in Streit untereinander, wer über den andern richten solle. Daher das Drängen nach vorzüglichen Bischofsstellen und die allmähliche Erweiterung ihrer Rechte; daher endlich der endlose Zwist zwischen dem geraden und krummen Stabe, dem rechten und linken Arm, der Krone und Mitra. So gewiß es nun ist, daß in den Zeiten der Tyrannei gerechte und fromme Schiedsrichter der Menschheit, die das Unglück hatte, ohne politische Konstitution zu leben, eine unentbehrliche Hülfe gewesen, so ist auch in der Geschichte kaum ein größeres Ärgernis denkbar als der lange Streit zwischen dem geist- und weltlichen Arm, über welchem ein Jahrtausend hin Europa zu keiner Konsistenz kommen konnte. Hier war das Salz tumm; dort wollte es zu. schart salzen.

 3. Das Christentum hatte eine Bekenntnisformel, mit welcher man zu ihm bei der Taufe eintrat; so einfach diese war, so sind mit der Zeit aus den drei unschuldigen Worten, Vater, Sohn und Geist, so viele Unruhen, Verfolgungen und Ärgernisse hervorgegangen als schwerlich aus drei andern Worten der menschlichen Sprache. Je mehr man vom Institut des Christentums als von einer tätigen, zum Wohl der Menschen gestifteten Anstalt abkam, desto mehr spekulierte man jenseit der Grenzen des menschlichen Verstandes; man fand Geheimnisse und machte endlich den ganzen Unterricht der christlichen Lehre zum Geheimnis. Nachdem die Bücher des Neuen Testaments als Kanon in die Kirche eingeführt wurden, bewies man aus ihnen, ja gar aus Büchern der jüdischen Verfassung, die man selten in der Ursprache lesen konnte und von deren erstem Sinn man längst abgekommen war, was sich schwerlich aus ihnen beweisen ließ. Damit häuften sich Ketzereien und Systeme, denen zu entkommen man das schlimmste Mittel wählte: Kirchenversammlungen und Synoden. Wie viele derselben sind eine Schande des Christentums und des gesunden Verstandes! Stolz und Unduldsamkeit riefen sie zusammen, Zwietracht, Parteilichkeit, Grobheit und Bübereien herrschten auf denselben, und zuletzt waren es Übermacht, Willkür, Trotz, Kuppelei, Betrug oder ein Zufall, die unter dem Namen des H. Geistes für die ganze Kirche, ja für Zeit und Ewigkeit entschieden. Bald fühlte sich niemand geschickter, Glaubenslehren zu bestimmen, als die christianisierten Kaiser, denen Konstantin das angeborne Erbrecht nachließ, über Vater, Sohn und Geist, über homoousios und homoiousios über eine oder zwei Naturen Christi, über Maria, die Gottesgebärerin, den erschaffenen oder unerschaffenen Glanz bei der Taufe Christi, Symbole und Kanons anzubefehlen. Ewig werden diese Anmaßungen samt den Folgen, die daraus erwuchsen, eine Schande des Throns zu Konstantinopel und aller der Throne bleiben, die ihm hierin nachfolgten; denn mit ihrer unwissenden Macht unterstützten und verewigten sie Verfolgungen, Spaltungen und Unruhen, die weder dem Geist noch der Moralität der Menschen aufhalfen, vielmehr Kirche, Staat und ihre Thronen selbst untergruben. Die Geschichte des ersten christlichen Reichs, des Kaisertunis zu Konstantinopel, ist ein so trauriger Schauplatz niedriger Verrätereien und abscheulicher Greueltaten, daß sie bis zu ihrem schrecklichen Ausgange als ein warnendes Vorbild aller christlich- polemischen Regierungen dasteht.

 


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