c. Die Verzierungsweise


In Rücksicht auf die Verzierungsweise drittens habe ich die Hauptbe- stimmungen gleich anfangs angedeutet.

α) Der erste Punkt, der herauszuheben wäre, betrifft die Wichtigkeit der Zierate überhaupt für die gotische Architektur. Die klassische Baukunst hält im ganzen ein weises Maß in Ausschmückung ihrer Gebäude. Indem es aber der gotischen Architektur hauptsächlich darauf ankommt, die Massen, die sie hinlagert, größer und vornehmlich höher erscheinen zu lassen, als sie in der Tat sind, so begnügt sie sich nicht mit einfachen Flächen, sondern zerteilt dieselben durchgängig, und zwar in Formen, welche selbst wieder auf ein Emporstreben deuten. Pfeiler, Spitzbogen und darüber hinausragende spitze Dreiecke z. B. kommen auch in den Zieraten wieder. In dieser Weise ist die einfache Einheit der großen Massen zerstreut und bis in die letzte Endlichkeit und Partikularität ausgearbeitet, das Ganze nun aber in sich selbst in dem ungeheuersten Gegensatz. Einerseits sieht das Auge die faßlichsten Grundlinien in zwar maßlosen Dimensionen, doch in klarer Gliederung, andererseits eine unüberschauliche Fülle und Mannigfaltigkeit zierlicher Ausschmückungen, so daß dem Allgemeinsten und Einfachsten die bunteste Besonderheit gegenübersteht, wie das Gemüt, im Gegensatze der christlichen Andacht, sich ebensosehr auch in die Endlichkeit vertieft und selbst in das Kleine und Kleinliche einlebt. Diese Entzweitheit soll zur Betrachtung aufregen, dies Emporstreben ladet ein zum Erheben. Denn die Hauptsache liegt bei dieser Verzierungsart darin, die Grundlinien nicht durch die Menge und Abwechslung des Schmucks zu zerstören oder zu verdecken, sondern vollständig durch die Mannigfaltigkeit als das Wesentliche, worauf es ankommt, hindurchgreifen zu lassen. Nur in diesem Falle ist besonders den gotischen Gebäuden die Feierlichkeit ihres grandiosen Ernstes bewahrt. Wie die religiöse Andacht durch alle Partikularitäten des Gemüts, der Lebensverhältnisse aller Individuen sich hindurchziehen und die allgemeinen festen Vorstellungen ins Herz unzerstörbar eingraben soll, so müssen auch die einfachen architektonischen Grundtypen die verschiedenartigsten Abteilungen, Unterbrechungen, Auszierungen immer wieder in jene Hauptlinien zurücknehmen und dagegen verschwinden lassen.

β) Eine zweite Seite in den Zieraten hängt in gleicher Weise mit der romantischen Kunstform überhaupt zusammen. Das Romantische hat auf der einen Seite das Prinzip der Innerlichkeit, der Rückkehr des Ideellen in sich; andererseits soll das Innere im Äußerlichen widerscheinen und aus demselben sich zu sich zurückziehen. In der Architektur nun ist es die sinnliche, materiell räumliche Masse, an welcher das Innerlichste selbst, soweit es möglich ist, zur Anschauung gebracht wird. Da bleibt bei solchem Material der Darstellung nichts anderes zu tun übrig, als das Materielle, Massige nicht in seiner Materialität gelten zu lassen, sondern es überall zu durchbrechen, zu zerstückeln, demselben den Schein seines unmittelbaren Zusammenhalts und seiner Selbständigkeit zu nehmen. In dieser Beziehung erhalten die Zierate, besonders im Äußeren, das nicht das Umschließen als solches zu zeigen hat, den Charakter des überall Durchbrochenen oder über die Flächen Hingeflochtenen, und es gibt keine Architektur, welche bei so ungeheuren, schwerlastenden Steinmassen und deren fester Zusammenfügung dennoch den Typus des Leichten und Zierlichen so vollständig bewahrte.

γ) Was drittens die Gestaltungsweise der Zierate anbetrifft, so ist darüber nur zu bemerken, daß außer den Spitzbogen, Pfeilern und Kreisen die Formen wieder an das eigentlich Organische erinnern. Schon das Durchbrechen und Aus-der-Masse-Herausarbeiten deutet darauf hin. Näher aber kommen ausdrücklich Blätter, Blumenrosetten und in arabeskenartiger Verschlingung teils wirkliche, teils phantastisch zusammengesetzte Tier- und Menschengestalten vor, und die romantische Phantasie zeigt dadurch auch in der Architektur ihren Reichtum an Erfindungen und seltsamen Verknüpfungen heterogener Elemente, obschon andererseits, wenigstens zur Zeit der reinsten gotischen Baukunst, auch in den Zieraten, wie z. B. in den Spitzbogen der Fenster, eine stete Wiederkehr derselben einfachen Formen ist beobachtet worden.


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