c. Die Verwandlungen
Direkt ausgesprochen zeigt sich drittens die Degradation des Tierischen in den Geschichten der vielen Verwandlungen, wie sie Ovid uns anmutig, geistreich, mit feinen Zügen der Empfindung und des Sinnes ins einzelne ausgemalt, aber auch mit Geschwätzigkeit, ohne inneren großen beherrschenden Geist als bloße mythologische Spielereien und äußerliche Begebenheiten zusammengestellt hat, ohne einen tieferen Sinn darin zu erkennen. Solche tiefere Bedeutung fehlt ihnen aber nicht, und wir wollen deshalb ihrer an dieser Stelle noch einmal Erwähnung tun. Zu großem Teil sind die einzelnen Erzählungen dem Stoff nach barock und barbarisch, nicht durch die Verdorbenheit der Kultur, sondern, wie im Nibelungenliede, durch die Verdorbenheit einer noch rohen Natur, bis zum dreizehnten Buch dem Inhalt nach älter als die Homerischen Geschichten, ohnehin von Kosmogonie und fremden Elementen phönizischer, phrygischer, ägyptischer Symbolik untermischt, menschlich freilich behandelt, doch so, daß der ungeschlachte Fonds geblieben ist, während die Verwandlungen, welche Geschichten späterer Zeit nach dem Trojanischen Krieg erzählen, obschon auch ihr Stoff aus der Fabelzeit hergenommen ist, mit Ajax und Äneas ungeschickt hintennachklappen.
α) Im allgemeinen kann man die Metamorphosen als Gegenteil der ägyptischen Tieranschauung und Tierverehrung betrachten, indem sie, von der sittlichen Seite des Geistes angesehen, wesentlich die negative Richtung gegen die Natur enthalten, das Tierische und andere unorganische Formen zu einer Gestalt der Erniedrigung des Menschlichen zu machen, so daß also, wenn bei den Ägyptern die Götter der elementarischen Natur zu Tieren erhoben und belebt werden, hier umgekehrt, wie schon früher ist bemerkt worden, die Naturgebilde als Strafe für irgendein leichteres oder schweres Vergehen und ungeheures Verbrechen auftreten, als Existenz eines Ungöttlichen, Unglückseligen und als Schmerzgestaltung, in welcher das Menschliche sich nicht mehr zu halten vermag. Deshalb sind sie auch nicht als Seelenwanderung im ägyptischen Sinne zu deuten, denn diese ist eine Wanderung ohne Schuld und wird, wenn der Mensch zum Vieh wird, im Gegenteil als eine Erhöhung angesehen.
Im ganzen aber ist dies kein abgeschlossener Kreis von Mythen, wie verschieden auch die Naturgegenstände sein mögen, in welche hinein Geistiges gebannt wird. Einige Beispiele mögen das Gesagte erläutern.
Bei den Ägyptern spielt der Wolf eine große Rolle, wie z. B. Osiris seinem Sohn Horus bei dessen Streit gegen Typhon als hilfreicher Beschützer erscheint und in einer Reihe ägyptischer Münzen dem Horus zur Seite steht. Überhaupt ist die Verbindung des Wolfs und Sonnengottes uralt. In den Metamorphosen des Ovid dagegen wird die Verwandlung des Lykaon in Wolfsgestalt als eine Strafe für die Impietät gegen die Götter dargestellt. Nach Überwindung der Giganten, heißt es (Metamorphosen, l, v.150-243), und nach Niederschmetterung ihrer Körper habe die Erde, erwärmt durch das rings vergossene Blut ihrer Söhne, das warme Blut beseelt und, damit keine Spur des wilden Stammes übrigbliebe, ein Geschlecht von Menschen hervorgebracht. Doch auch diese Abkommenschaft war eine Verächterin der Götter, begierig nach wildem Mord und gewalttätig. Da ruft Jupiter die Götter zusammen, dies sterbliche Geschlecht zu verderben. Er berichtet, wie ihm, der den Blitzstrahl und die Götter habe und regiere, Lykaon hinterlistig nachgestellt habe. Als nämlich die Nichtswürdigkeit der Zeit sein Ohr erreicht, sei er vom Olymp herniedergestiegen und nach Arkadien gekommen. »Ich gab Zeichen«, erzählt er, »daß ein Gott genaht sei, und das Volk begann anzubeten. Lykaon aber verlacht erst die frommen Gebete, dann ruft er aus: ,lch will versuchen, ob dies ein Gott ist oder ein Sterblicher, und nicht zweifelhaft wird das Wahre sein.' Mich im schweren Nachtschlaf umzubringen«, fährt Jupiter fort, »bereitet er sich; diese Erforschungsart der Wahrheit beliebt ihm. Und damit noch nicht zufrieden, durchschneidet er die Kehle einer Geisel aus molossischem Geschlecht mit dem Schwert, und die nur halbtoten Glieder kocht er teils, teils brät er sie in Feuer und setzt mir beides als Speise vor. Ich, mit rächender Flamme, habe sein Haus in Asche gelegt. Erschreckt flieht jener von dannen, und als er das schweigende Feld erreicht, heult er umher und versucht vergeblich zu reden. Mit Wut im Maul wird er in der Gier des gewohnten Mordes gegen das Vieh gekehrt und freut sich auch jetzt noch des Bluts; zu Haaren werden die Kleider, zu Schenkeln die Arme; er wird Wolf und bewahrt die Merkmale der alten Gestalt.«
Von ähnlicher Schwere der verübten Greuel ist die Geschichte der Prokne, die in eine Schwalbe verwandelt wurde. Als nämlich Prokne den Tereus, ihren Gemahl, bittet (Metamorphosen, VI, v. 440-676), wenn sie irgend bei ihm in Gunst stehe, möge er sie fortsenden, ihre Schwester zu sehen, oder die Schwester möge zu ihr kommen, beeilt sich Tereus, die Schiffe ins Meer ziehen zu lassen, und schnell mit Segel und Ruder erreicht er die Gestade des Piräus. Kaum aber erblickt er die Philomela, als er schon in sträflicher Liebe zu ihr entbrennt. Bei der Abfahrt beschwört ihn Pandion, der Vater, er möge sie mit väterlicher Liebe beschützen und ihm die süße Linderung seines Alters, sobald es geschehen könne, wieder zurücksenden; kaum jedoch ist die Reise vollendet, als der Barbar die Erbleichende, Zitternde, die alles fürchtet und schon mit Tränen, wo die Schwester sei, fragt, einsperrt und sie, ein Zwillingsgatte, gewaltsam der Schwester zum Kebsweibe macht. Zornerfüllt droht Philomela, die Tat, jede Scham abwerfend, selber zu verraten. Da zieht Tereus das Schwert, ergreift, bindet sie und schneidet ihr die Zunge aus, der Gattin aber berichtet er heuchlerisch den Tod der Schwester. Die jammernde Prokne reißt die Prunkgewänder von den Schultern und legt Trauerkleider an, ein leeres Grabmal errichtet sie und beweint das nicht in dieser Weise zu beweinende Geschick der Schwester. Was tut Philomela? Eingesperrt, der Sprache, der Stimme beraubt, sinnt sie auf List. Mit Purpurfäden wirkt sie in ein weißes Gewebe die Nachricht des Verbrechens und sendet das Gewand heimlich an Prokne. Die Gattin liest den erbarmungswürdigen Bericht der Schwester, sie spricht, sie weint nicht, aber lebt ganz im Bilde der Strafe. Es war die Zeit des Bacchusfestes; getrieben von den Furien des Schmerzes, dringt sie zur Schwester, reißt sie aus ihrem Gemach und führt sie mit sich fort. Da, im eigenen Hause, als sie noch zweifelt, welch entsetzliche Rache sie an Tereus nehmen soll, kommt Itys zur Mutter. Sie blickt ihn mit wilden Augen an: »Wie ist er ähnlich dem Vater!«, mehr sagt sie nicht und vollbringt die traurige Tat. Sie töten den Knaben und tischen ihn dem Tereus auf, der in sich hinein sein eigen Blut schlingt. Nun verlangt ihn nach dem Sohne, und Prokne sagt ihm, in dir trägst du, was du forderst, und Philomela bringt ihm, als er umherblickt und sucht, wo er sei, und wiederum fragt und ruft, das blutende Haupt vors Angesicht. Da stößt er mit unendlichem Angstgeschrei die Tische fort und weint und nennt sich das Grab des Sohnes, dann mit nacktem Stahl verfolgt er die Tochter des Pandion. Aber gefiedert schweben sie von dannen, die eine zum Walde hinaus, die andere aufs Dach, und auch Tereus, durch Schmerz und Begier nach Strafe behend, wird zum Vogel, dem auf dem Scheitel der Federkamm aufwärts steht und unmäßig der Schnabel vorragt; der Name des Vogels ist Wiedehopf.
Andere Verwandlungen dagegen gehen aus einer geringeren Schuld hervor. So wird Cygnus in einen Schwan verwandelt, und Daphne, die erste Liebe des Apollo (Metamorphosen, l, v. 451-567), wird zum Lorbeer, Clytie zum Heliotrop, Narziß, selbstgefällig die Mädchen verachtend, sieht sich selber im Spiegel, und Byblis (Metamorphosen, IX, v. 454-664), welche ihren Bruder Caunus liebte, wird, als er sie verschmäht, zur Quelle verwandelt, welche auch jetzt noch ihren Namen trägt und unter dunkler Eiche hinfließt.
Doch wir dürfen uns nicht näher ins einzelne verlieren, und ich will deshalb des Übergangs wegen nur noch der Verwandlung der Pieriden erwähnen, welche nach Ovid (Metamorphosen, V, v. 302) die Töchter des Pieros waren und die Musen zu einem Wettkampf aufforderten. Für uns ist nur der Unterschied dessen wichtig, was die Pieriden und was die Musen sangen. Jene (v. 319-331) feiern die Schlachten der Götter und bringen zu falschen Ehren die Giganten und schmälern die Taten der großen Götter; emporgesandt aus der Tiefe der Erde, habe Typhoeus den Himmlischen Furcht eingejagt, sämtlich seien sie von dannen geflohen, bis die Ermüdeten die ägyptische Erde aufgenommen. Aber auch hier, erzählen die Pieriden, sei Typhoeus hingelangt, und durch erlogene Gestalten hätten die hohen Götter sich versteckt. Anführer der Herde, sagt ihr Gesang, war Jupiter, woher mit krummen Hörnern auch jetzt noch der libysche Ammon gebildet ist; der Delier wird zum Raben, der semeleische Sprößling zum Bock, zur Katze die Schwester des Phöbus, zur schneeweißen Kuh Juno, in einem Fisch verbarg sich Venus, Merkur in den Federn des Ibis.
Hier also wird den Göttern eine Schmach aus der Tiergestalt gemacht, und wenn sie auch nicht zur Strafe für eine Schuld oder ein Verbrechen verwandelt werden, so ist doch die Feigheit als Grund ihrer selbstgewollten Verwandlung angegeben. Kalliope dagegen besingt die Wohltaten und Geschichten der Ceres. »Ceres zuerst«, sagt sie, »hat die Fluren mit gekrümmter Pflugschar durchwühlt, sie zuerst gab Früchte und fruchtbare Nahrungsmittel den Äckern, sie zuerst gab Gesetze, insgesamt sind wir ein Geschenk der Ceres. Sie habe ich zu preisen: wie nur könnt ich Gesänge anstimmen, würdig der Göttin! Die Göttin gewiß ist der Gesänge würdig« - Als sie geendigt, schreiben die Pieriden sich den Sieg des Wettstreits zu; doch indem sie zu reden versuchen, sagt Ovid (v. 670), und mit großem Geschrei die frechen Hände zu gebrauchen, erblicken sie zu Federn ihre Nägel ausgehen, die Arme mit Flaum sich bedecken, und sehen jede der anderen Mund zum steifen Schnabel zusammenwachsen, und während sie sich beklagen wollen, auf bewegten Flügeln emporgetragen schweben sie, die Schreierinnen der Wälder, als Elstern in der Luft. Und auch jetzt noch, fügt Ovid hinzu, blieb ihnen die frühere Zungenfertigkeit und heiseres Geplauder und die unendliche Lust zu schwätzen.
So ist denn auch hier wiederum die Verwandlung als Strafe, und zwar, wie es bei vielen dieser Geschichten der Fall ist, als Strafe für die Impie-tät gegen die Götter dargestellt.
β) Was ferner andere, sonst noch bekannte Verwandlungen der Menschen und Götter in Tiere angeht, so liegt ihnen zwar kein direktes Vergehen von selten der Verwandelten zugrunde, wie z. B. Circe die Macht besaß, Menschen in Tiere zu bannen, aber der tierische Zustand erscheint dann wenigstens als ein Unglück und eine Erniedrigung, welche auch dem, der die Umgestaltung zu seinen Zwecken bewerkstelligt, nicht eben Ehre bringt. Circe war nur eine untergeordnete, dunkle Göttin, ihre Macht erscheint als bloße Zauberei, und Merkur steht dem Ulysses bei, als dieser die bezauberten Gefährten zu befreien Anstalt macht. - Von der ähnlichen Art sind die vielfachen Gestalten, die Zeus annimmt, indem er sich der Europa wegen in einen Stier verwandelt, als Schwan der Leda naht und die Danae als Goldregen befruchtet; immer mit dem Zweck der Täuschung und zu unfeinen, nicht geistigen, sondern natürlichen Absichten, welche ihm die stets begründete Eifersucht der Juno zuziehen. Die Vorstellung des allgemeinen zeugenden Naturlebens, welche in vielen älteren Mythologien die Hauptbestimmung ausmachte, ist hier von der Phantasie zu einzelnen Geschichten der Liederlichkeit des Vaters der Götter und Menschen umgedichtet, die er aber nicht in seiner eigenen und zum größten Teil nicht in menschlicher, sondern ausdrücklich in tierischer oder sonstiger Naturgestalt vollbringt.
γ) Hieran endlich schließen sich noch jene Zwittergestalten des Menschlichen und Tierischen, die gleichfalls aus der griechischen Kunst nicht ausgeschlossen sind, doch das Tierische nur als etwas Herabsetzendes, Ungeistiges aufnehmen. Bei den Ägyptern z. B. wurde der Bock, Mendes, als Gott verehrt (Herodot, II, 46), nach Jablonskis*) Meinung (Creuzer, Symbolik, Bd. l, S. 477**)) im Sinne der zeugenden Naturkraft, hauptsächlich der Sonne, und in solcher Schmählichkeit, daß sich Weiber selbst, wie es Pindar andeutet, den Böcken hingaben. Bei den Griechen ist Pan dagegen das Schauererregende göttlicher Gegenwart, und späterhin in den Faunen, Satyrn, Panen tritt die Bocksgestalt nur in untergeordneter Weise in den Füßen und bei den schönsten nur etwa in den zugespitzten Ohren und kleinen Hörnchen hervor. Das Übrige der Gestalt ist menschlich gebildet, das Tierische auf geringfügige Reste zurückgedrängt. Und dennoch galten die Faune bei den Griechen nicht als hohe Götter und geistige Mächte, sondern ihr Charakter blieb der einer sinnlichen, ausgelassenen Lustigkeit. Zwar werden sie auch mit tieferem Ausdruck dargestellt, wie z. B. der schöne Faun zu München, der den jungen Bacchus in seinen Armen hält und ihn mit einem Lächeln anblickt, das voll höchster Liebe und Lieblichkeit ist. Er soll nicht der Vater des Bacchus sein, sondern nur der Pfleger, und nun wird ihm die schöne Empfindung der Freude an der Unschuld des Kindes beigelegt, die als Muttergefühl der Maria zu Christus in der romantischen Kunst zu einem so hohen geistigen Gegenstand erhoben ist. Bei den Griechen aber gehört diese anmutigste Liebe noch dem untergeordneten Kreise der Faune an, um zu bezeichnen, daß sie ihren Ursprung aus dem Tierischen, Natürlichen herleite und deshalb auch dieser Sphäre könne zugeteilt werden.
Ähnliche Mittelgebilde sind auch die Kentauren, in welchen gleichfalls die Naturseite der Sinnlichkeit und Begier sich überwiegend herauskehrt und die geistige zurücktreten läßt. Chiron allerdings ist edlerer Art, ein geschickter Arzt und Erzieher des Achill, aber diese Unterweisung als Pädagogus eines Kindes gehört nicht dem Kreise des Göttlichen als solchen an, sondern bezieht sich auf menschliche Geschicklichkeit und Klugheit.
In dieser Weise ist das Verhältnis der Tiergestalt in der klassischen Kunst von allen Seiten her verändert, indem sie zur Bezeichnung des Üblen, Schlechten, Geringgeschätzten, Natürlichen und Ungeistigen gebraucht wird, während sie sonst der Ausdruck des Positiven und Absoluten war.
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*) Daniel Ernst Jablonski, 1660-1741, reformierter Theologe
**) Friedrich Creuzer, Symbolik und Mythologie der alten Völker, besonders der Griechen, 4 Bde., 1810-12