I. [Entwicklung der Äquivalenzvorstellungen über dieses Stadium hinaus und auf den reinen Symbolcharakter des Geldes zu]
Hiermit scheint sich die Entwicklung des Geldes in eine tiefgelegene Kulturtendenz einzuordnen. Man kann die verschiedenen Kulturschichten danach charakterisieren, inwieweit und an welchen Punkten sie zu den Gegenständen ihrer Interessen ein unmittelbares Verhältnis haben, und wo andrerseits sie sich der Vermittlung von Symbolen bedienen. Ob z.B. die religiösen Bedürfnisse durch symbolische Dienste und Formeln erfüllt werden oder durch ein unmittelbares Sich-Hinwenden des Individuums zu seinem Gott; ob die Achtung der Menschen füreinander sich in einem festgesetzten, die gegenseitigen Positionen durch bestimmte Zeremonien andeutenden Schematismus offenbart oder in der formfreien Höflichkeit, Ergebenheit und Respekt; ob Käufe, Zusagen, Verträge durch einfache Verlautbarung ihres Inhaltes vollzogen werden, oder ob sie durch ein äußeres Symbol feierlicher Handlungen erst legalisiert und zuverlässig gemacht werden; ob das theoretische Erkennen sich unmittelbar an die sinnliche Wirklichkeit wendet, oder sich mit der Vertretung derselben durch allgemeine Begriffe und metaphysische oder mythologische Sinnbilder zu tun macht - das gehört zu den tiefgreifendsten Unterschieden der Lebensrichtungen. Diese Unterschiede aber sind natürlich nicht starr; die innere Geschichte der Menschheit zeigt vielmehr ein fortwährendes Auf- und Absteigen zwischen ihnen; auf der einen Seite wächst die Symbolisierung der Realitäten, zugleich aber werden, als Gegenbewegung, stetig Symbole aufgelöst und auf ihr ursprüngliches Substrat reduziert. Ich führe ein ganz singuläres Beispiel an. Die sexuellen Dinge standen schon lange unter der Verhüllung durch Zucht und Scham, während die Worte, die sie bezeichneten, noch völlig ungeniert gebraucht wurden: erst in den letzten Jahrhunderten ist das Wort unter dieselben Kautelen gestellt - das Symbol rückte in die Gefühlsbedeutung der Realität ein. Nun aber bahnt sich in der allerneuesten Zeit wieder eine Lösung dieser Verbindung an. Die naturalistische Kunstrichtung hat auf die Undifferenziertheit und Unfreiheit des Empfindens hingewiesen, das an das Wort, also an ein bloßes, zu künstlerischen Zwecken verwandtes Symbol, dieselben Empfindungen knüpfe, wie an die Sache selbst; die Darstellung des Unanständigen sei noch keine unanständige Darstellung, und man müsse die Realitätsempfindungen von der symbolischen Welt lösen, in der jede Kunst, auch die naturalistische, sich bewege. Vielleicht in Zusammenhang hiermit kommt eine allgemeine größere Freiheit der gebildeten Stände im Besprechen heikler Objekte auf; wo objektive und reine Gesinnung vorausgesetzt wird, ist mancherlei früher Verbotenes auszusprechen erlaubt - die Schamempfindung ist eben wieder ausschließlicher der Sache zugewandt und läßt das Wort, als ein bloßes Symbol ihrer, wieder freier. So schwankt, auf den engsten wie auf den weitesten Gebieten, das Verhältnis zwischen Realität und Symbol, und man möchte fast glauben - so wenig solche Allgemeinheiten ihre Beweislast auf sich nehmen können - daß entweder jede Kulturstufe (und schließlich jede Nation, jeder Kreis, jedes Individuum) eine besondere Proportion zwischen symbolischer und unmittelbar realistischer Behandlung ihrer Interessen aufweist; oder daß gerade diese Proportion im ganzen beharrt und nur die Gegenstände, an denen sie sich darstellt, dem Wechsel unterliegen. Vielleicht aber kann man sogar etwas spezieller bestimmen, daß ein besonders augenfälliges Hervortreten von Symbolik ebenso sehr primitiven, und naiven, wie sehr hochentwickelten und komplizierten Kulturzuständen eigen ist; und daß, auf die Objekte hin angesehen, die aufwärtsschreitende Entwicklung uns auf dem Gebiete des Erkennens immer mehr von Symbolen befreit, sie uns aber auf praktischen Gebieten immer notwendiger macht. Gegenüber der nebelhaften Symbolistik mythologischer Weltanschauungen zeigt die moderne eine gar nicht vergleichliche Unmittelbarkeit im Ergreifen der Objekte; dagegen bringt die extensive und intensive Häufung der Lebensmomente es mit sich, daß wir viel mehr mit Zusammenfassungen, Verdichtungen und Vertretungen ihrer in symbolischer Form operieren müssen, als. es in den einfacheren und engeren Verhältnissen nötig war: die Symbolik, die auf den niederen Lebensstufen so oft Umweg und Kraftvergeudung ist, dient auf den höheren gerade einer die Dinge beherrschenden Zweckmäßigkeit und Kraftersparnis. Man mag hier etwa an die diplomatische Technik denken, sowohl im internationalen wie im parteipolitischen Sinne. Sicher ist es das Verhältnis der realen Machtquanten, das über den Ausgang des Interessengegensatzes entscheidet. Aber diese messen sich eben nicht mehr unmittelbar, d.h. in physischem Kampfe, aneinander, sondern werden durch bloße Vorstellungen vertreten. Hinter dem Repräsentanten jeder Kollektivmacht steht in verdichteter potenzieller Form die reale Kraft seiner Partei, und genau nach dem Maße dieser ist seine Stimme wirksam und kann sein Interesse sich durchsetzen. Er selbst ist gleichsam das Symbol dieser Macht; die intellektuellen Bewegungen zwischen den Repräsentanten der verschiedenen Machtgruppen symbolisieren den Verlauf, den der reale Kampf genommen hätte, derart, daß der Unterlegne sich in das Resultat jener genau so fügt, als wäre er in diesem besiegt. Ich erinnere z.B. an die Verhandlungen zwischen Arbeitern und Arbeitgebern zur Vermeidung eines drohenden Streikes. Hier pflegt jede Partei genau nur bis zu dem Punkte nachzugeben, bis zu dem, ihrer Abschätzung der Kräfte nach, auch der wirklich ausbrechende Streik sie zwingen würde. Man vermeidet die ultima ratio, indem man ihr Ergebnis in zusammenfassenden Vorstellungen antizipiert. Wäre diese Vertretung und Messung der realen Kräfte durch bloße Vorstellungen immer mit Sicherheit möglich, so könnte überhaupt jeder Kampf erspart werden. Jener utopische Vorschlag: künftige Kriege durch eine Partie Schach zwischen den Feldherren zu entscheiden - ist deshalb so absurd, weil der Ausgang einer Schachpartie gar keinen Anhalt dafür gibt, welches der Ausgang des Waffenkampfes gewesen wäre, und also diesen nicht mit gültigem Erfolge versinnbildlichen und vertreten kann, wogegen etwa ein Kriegsspiel, in dem alle Heeresmassen, alle Chancen, alle Intelligenz der Führung einen vollständigen symbolischen Ausdruck fände, unter der unmöglichen Voraussetzung seiner Herstellbarkeit allerdings den physischen Kampf unnötig machen könnte.
Die Fülle der Momente - der Kräfte, Substanzen und Ereignisse -, mit denen das vorgeschrittene Leben zu arbeiten hat, drängt auf eine Verdichtung desselben in umfassenden Symbolen, mit denen man nun rechnet, sicher, daß dasselbe Resultat sich ergibt, wie wenn man mit der ganzen Breite der Einzelheiten operiert hätte; so daß das Resultat ohne weiteres für diese Einzelheiten gültig, auf sie anwendbar ist. Das muß in dem Maße möglicher werden, in dem die Quantitätsbeziehungen der Dinge sich gleichsam selbständig machen. Die fortschreitende Differenzierung unseres Vorstellens bringt es mit sich, daß die Frage des Wieviel eine gewisse psychologische Trennung von der Frage des Was erfährt - so wunderlich dies auch in logischer Hinsicht erscheint. In der Bildung der Zahlen geschieht dies zuerst und am erfolgreichsten, indem aus den so und so vielen Dingen das So und Soviel herausgehoben und zu eigenen Begriffen verselbständigt wird. Je feststehender die Begriffe ihrem qualitativen Inhalt nach werden, desto mehr richtet sich das Interesse auf ihre quantitativen Verhältnisse, und schließlich hat man es für das Ideal des Erkennens erklärt, alle qualitativen Bestimmtheiten der Wirklichkeit in rein quantitative aufzulösen. Diese Aussonderung und Betonung der Quantität erleichtert die symbolische Behandlung der Dinge: denn da die inhaltlich verschiedensten doch eben in quantitativen Hinsichten übereinstimmen können, so vermögen derartige Beziehungen, Bestimmtheiten, Bewegungen des einen ein gültiges Bild für eben dieselben an einem anderen abzugeben; einfachste Beispiele sind etwa die Rechenmarken, die uns zahlenmäßige Bestimmungen beliebiger Objekte beweisend veranschaulichen, oder das Fensterthermometer, das uns das Mehr oder Weniger zu erwartender Wärmeempfindungen in den Zahlen der Grade anzeigt. Diese Ermöglichung von Symbolen durch die psychologische Heraussonderung des Quantitativen aus den Dingen, die uns heute freilich sehr selbstverständlich erscheint, ist eine Geistestat von außerordentlichen Folgen. Auch die Möglichkeit des Geldes geht auf sie zurück, insofern es, von aller Qualität des Wertes absehend, das reine Quantum desselben in numerischer Form darstellt. Einen ganz bezeichnenden Übergang von dem qualitativ bestimmbaren zu dem quantitativ symbolischen Ausdruck bietet ein Bericht aus dem alten Rußland. Dort hätten zuerst Marderfelle als Tauschmittel gegolten. Im Laufe des Verkehrs aber hätte die Größe und die Schönheit der einzelnen Felle allen Einfluß auf ihre Tauschkraft verloren, jedes hätte schlechtweg nur für eines und jedem anderen gleiches gegolten. Die daraus folgende alleinige Bedeutung ihrer Zahl hätte bewirkt, daß, als der Verkehr sich steigerte, man einfach die Zipfel der Felle als Geld verwendete, bis schließlich Lederstückchen, die wahrscheinlich von der Regierung gestempelt wurden, als Tauschmittel kursierten. Hier ist es sehr deutlich, wie die Reduzierung auf den rein quantitativen Gesichtspunkt die Symbolisierung des Wertes trägt, auf der erst die ganz reine Verwirklichung des Geldes ruht.