Home  Impressum  Copyright

III. [Die sozialen Wechselwirkungen und ihre Kristallisierung zu Sondergebilden; das gemeinsame Verhältnis von Käufern und Verkäufern zu der sozialen Einheit als soziologische Voraussetzung des Geldverkehrs]

 

Tatsächlich stecken in dem Metallgeld, das man als den absoluten Gegensatz des Kreditgeldes aufzufassen pflegt, zwei in eigentümlicher Weise verschlungene Kreditvoraussetzungen. Zunächst ist innerhalb des täglichen Verkehrs die Prüfung der Münze auf ihr Schrot und Korn nur ausnahmsweise tunlich. Ohne ein Vertrauen des Publikums zu der emittierenden Regierung oder, gegebenenfalls, zu denjenigen Personen, die den Realwert der Münze gegenüber ihrem Nominalwert festzustellen imstande sind, kann es auch zu einem Bargeldverkehr nicht kommen. Die Aufschrift der Malteser Münzen: non aes sed fides - bezeichnet ganz vortrefflich den integrierenden Zusatz des Glaubens, ohne den die noch so vollwichtige Münze ihre Funktion in den weitaus meisten Fällen nicht ausüben kann. Gerade die Mannigfaltigkeit, oft Entgegengesetztheit der Gründe für die Akzeptierung des Geldstücks zeigt, daß nicht deren objektive Beweiskraft das Wesentliche ist: in einigen Gegenden von Afrika muß der Maria Theresia-Taler weiß und rein sein, in anderen gerade fettig und schmutzig, damit man ihn als echt annehme! Es muß aber, zweitens, der Glaube vorhanden sein, daß das Geld, das man jetzt einnimmt, auch zu dem gleichen Wert wieder auszugeben ist. Auch hier ist das Unentbehrliche und Entscheidende: non aes sed fides - das Vertrauen zu dem Wirtschaftskreise, daß er uns das fortgegebene Wertquantum für den dafür erhaltenen Interimswert, die Münze, ohne Schaden wieder ersetzen werde. Ohne so nach zwei Seiten hin Kredit zu geben, kann niemand sich der Münze bedienen; dieser doppelte Glaube erst verleiht der schmutzigen, vielleicht kaum erkennbaren Münze das bestimmte Wertmaß. Wie ohne den Glauben der Menschen aneinander überhaupt die Gesellschaft auseinanderfallen würde, - denn wie wenige Verhältnisse gründen sich wirklich nur auf das, was der eine beweisbar vom anderen weiß, wie wenige würden irgendeine Zeitlang dauern, wenn der Glaube nicht ebenso stark und oft stärker wäre, als verstandesmäßige Beweise und sogar als der Augenschein! - so würde ohne ihn der Geldverkehr zusammenbrechen. Dieser Glaube ist indes in einer bestimmten Weise nuanciert. Die Behauptung, jedes Geld sei eigentlich Kreditgeld, da sein Wert auf dem Glauben des Empfängers beruhe, für das Tauschinstrument eine gewisse Menge Waren zu bekommen - ist noch nicht vollständig aufklärend. Denn auf derartigem Glauben beruht nicht nur die Geldwirtschaft, sondern jede Wirtschaft überhaupt. Wenn der Landwirt nicht glaubte, daß das Feld in diesem Jahre so gut wie in früheren Früchte tragen wird, so würde er nicht säen; wenn der Händler nicht glaubte, daß das Publikum seine Waren begehren wird, so würde er sie nicht anschaffen usw. Diese Art des Glaubens ist nichts als ein abgeschwächtes induktives Wissen. Allein in dem Fall des Kredites, des Vertrauens auf jemanden, kommt zu diesem noch ein weiteres, schwer zu beschreibendes Moment hinzu, das am reinsten in dem religiösen Glauben verkörpert ist. Wenn man sagt, man glaube an Gott, so ist das nicht nur eine unvollkommene Stufe des Wissens von ihm, sondern ein überhaupt nicht in der Richtung des Wissens liegender Gemütszustand, einerseits freilich weniger, andrerseits aber mehr als dieses. Es ist eine sehr feine und tiefe Wendung der Sprache, daß man »an jemanden glaubt« - ohne daß weiter hinzugesetzt oder auch nur deutlich dabei gedacht würde, was man denn eigentlich von ihm glaube. Es ist eben das Gefühl, daß zwischen unserer Idee von einem Wesen und diesem Wesen selbst von vornherein ein Zusammenhang, eine Einheitlichkeit da sei, eine gewisse Konsistenz der Vorstellung von ihm, eine Sicherheit und Widerstandslosigkeit in der Hingabe des Ich an diese Vorstellung, die wohl auf angebbare Gründe hin entsteht, aber nicht aus ihnen besteht. Auch der wirtschaftliche Kredit enthält in vielen Fällen ein Element dieses übertheoretischen Glaubens, und nicht weniger tut dies jenes Vertrauen auf die Allgemeinheit, daß sie uns für die symbolischen Zeichen, für die wir die Produkte unserer Arbeit hingegeben haben, die konkreten Gegenwerte gewähren wird. Das ist, wie gesagt, in sehr hohem Maße ein einfacher Induktionsschluß, aber es enthält darüber hinaus noch einen Zusatz jenes sozial-psychologischen, dem religiösen verwandten »Glaubens«. Das Gefühl der persönlichen Sicherheit, das der Geldbesitz gewährt, ist vielleicht die konzentrierteste und zugespitzteste Form und Äußerung des Vertrauens auf die staatlich- gesellschaftliche Organisation und Ordnung. Die Subjektivität dieses Vorganges ist gleichsam die höhere Potenz derjenigen, die den Metallwert überhaupt schafft: wenn dieser letztere schon vorausgesetzt ist, so wird er nun durch jenen zweiseitigen Glauben erst für den Geldverkehr praktisch. Es zeigt sich deshalb auch hier, daß die Entwicklung vom Substanzgeld zum Kreditgeld weniger radikal ist, als es scheint, weil das Kreditgeld als Evolution, Verselbständigung, Herauslösung der jenigen Kreditmomente zu deuten ist, die schon in dem Substanzgeld in entscheidender Weise vorhanden sind.

Die Garantie für die Weiterverwertbarkeit des Geldes, in der das Verhältnis der Kontrahenten zu der Gesamtgruppe beschlossen ist, hat indes eine eigenartige Form. Abstrakt angesehen, ist sie nämlich gar nicht vorhanden, da der Geldbesitzer niemanden zwingen kann, ihm für Geld, selbst für das unzweifelhaft gute, etwas zu liefern: was sich denn auch in Fällen von Boykottierung durchaus fühlbar gemacht hat. Nur bei schon bestehenden Verpflichtungen kann der Berechtigte gezwungen werden, die Verpflichtung, welcher Art sie auch sei, durch Geld solvieren zu lassen - und auch das nicht einmal in allen Gesetzgebungen. Diese Möglichkeit, daß der im Geld liegende Anspruch doch auch nicht erfüllt würde, bestätigt den Charakter des Geldes als eines bloßen Kredites; denn das ist doch das Wesen des Kredites, daß der Wahrscheinlichkeitsbruch seiner Realisierung niemals gleich eins wird, so sehr er sich dem auch nähern mag. Tatsächlich ist der einzelne also frei, sein Produkt oder seinen sonstigen Besitz dem Geldbesitzer hinzugeben oder nicht während die Gesamtheit allerdings diesem gegenüber verpflichtet ist. Diese Verteilung von Freiheit und Gebundenheit, so paradox sie ist, dient doch nicht selten als Erkenntniskategorie. So haben z.B. Verteidiger der »statistischen Gesetze« behauptet, die Gesellschaft müßte zwar unter bestimmten Bedingungen naturgesetzlich eine bestimmte Anzahl von Morden, Diebstählen, unehelichen Geburten hervorbringen; der einzelne aber sei dadurch nicht zu einem bezüglichen Verhalten genötigt, er vielmehr sei frei, moralisch oder unmoralisch zu handeln; das statistische Gesetz bestimme nicht, daß gerade dieser Bestimmte derartige Taten zu vollbringen habe, sondern nur, daß das Ganze, dem er angehört, ein prädestiniertes Quantum derselben produzieren müsse. Oder wir hören auch: die Gesamtheit der Gesellschaft oder der Gattung habe ihre festgesetzte Rolle in dem göttlichen Weltplan, in der Entwicklung des Seins zu den letzten transszendenten Zwecken zu spielen; die einzelnen Träger derselben aber seien irrelevant, sie hätten die Freiheit, gleichsam die Gesamtleistung unter sich zu verteilen, und der einzelne könne sich dem auch entziehen, ohne daß jener Gesamtleistung Abbruch geschehe. Endlich ist hervorgehoben, daß die Aktionen einer Gruppe immer durch den naturgesetzlichen Zug ihrer Interessen schwankungslos bestimmt seien, wie die Materienmassen durch die Gravitation; das Individuum dagegen sei von Theorien und Konflikten beirrt, es stehe zwischen vielen Möglichkeiten, unter denen es richtig oder irrtümlich wählen könne - im Unterschiede von den jeder Freiheit entbehrenden, weil von schwankungslosen Instinkten und Zweckmäßigkeiten geleiteten Kollektivhandlungen. Wieviel richtiges und falsches an diesen Vorstellungen ist, steht hier nicht zur Untersuchung, sondern nur darauf ist hinzuweisen, wie auch sonst dieses Schema eines Verhältnisses zwischen Allgemeinheit und Individuum gilt: jene als nezessitiert und dieses als frei vorzustellen, die Gebundenheit jener durch die Freiheit dieses zu mildern, die Freiheit dieses durch die Gebundenheit jener zu begrenzen und in eine Bestimmtheit des Gesamterfolges einzustellen. Die Garantie für die Weiterverwertbarkeit des Geldes, die der Herrscher oder Vertreter der Gesamtheit durch die Prägung des Metallstücks oder den Aufdruck auf das Papier übernimmt, ist die Eskomptierung der ungeheuren Wahrscheinlichkeit, daß jeder einzelne, trotz seiner Freiheit das Geld zurückzuweisen, es nehmen wird.

 


 © textlog.de 2004 • 24.12.2024 03:19:45 •
Seite zuletzt aktualisiert: 27.09.2004