Orientieren
Orientieren. „Sich orientieren heißt in der eigentlichen Bedeutung des Wortes: aus einer gegebenen Weltgegend (in deren vier wir den Horizont einteilen) die übrigen, namentlich den Aufgang zu finden. Sehe ich nun die Sonne am Himmel und weiß, daß es nun die Mittagszeit ist, so weiß ich Süden, Westen, Norden und Osten zu finden. Zu diesem Behufe bedarf ich aber durchaus das Gefühl eines Unterschiedes an meinem eigenen Subjekt, nämlich der rechten und linken Hand. Ich nenne es ein Gefühl, weil diese zwei Seiten äußerlich in der Anschauung keinen merklichen Unterschied zeigen.“ „Diesen geographischen Begriff des Verfahrens, sich zu orientieren, kann ich nur erweitern und darunter verstehen: sich in einem gegebenen Raum überhaupt, mithin bloß mathematisch orientieren.“ Wir orientieren uns so etwa in einem finsteren Zimmer „durch das bloße Gefühl eines Unterschieds meiner zwei Seiten, der rechten und der linken“, also wieder „nach einem subjektiven Unterscheidungsgrunde“. „Endlich kann ich diesen Begriff noch mehr erweitern, da er denn in dem Vermögen bestände, sich nicht bloß im Raume, d. i. mathematisch, sondern überhaupt im Denken, d. i. logisch, zu orientieren. Man kann nach der Analogie leicht erraten, daß dieses ein Geschäft der reinen Vernunft sein werde, ihren Gebrauch zu lenken, wenn sie von bekannten Gegenständen (der Erfahrung) ausgehend sich über alle Grenzen der Erfahrung erweitern will und ganz und gar kein Objekt der Anschauung, sondern bloß Raum für dieselbe findet; da sie alsdann gar nicht mehr imstande ist, nach objektiven Gründen der Erkenntnis, sondern lediglich nach einem subjektiven Unterscheidungsgrunde, in der Bestimmung ihres eigenen Urteilsvermögens, ihre Urteile unter eine bestimmte Maxime zu bringen“, Was heißt: s. i. D. or.? (V 2, 149 f.). „Sich im Denken überhaupt orientieren, heißt also: sich, bei der Unzulänglichkeit der objektiven Prinzipien der Vernunft, im Fürwahrhalten nach einem subjektiven Prinzip derselben bestimmen“, ibid. 2. Anm. (V 2, 150). Das geschieht kraft des Rechtes eines einzelnen Vernunftbedürfnisses „als eines subjektiven Grundes, etwas vorauszusetzen und anzunehmen, was sie durch objektive Gründe zu wissen sich nicht anmaßen darf; und folglich sich im Denken, im unermeßlichen und für uns mit dicker Nacht erfüllten Raume des Übersinnlichen lediglich durch ihr eigenes Bedürfnis zu orientieren“, ibid. (V 2, 151). Ein solches Vernunftbedürfnis, das keine objektive Erkenntnis verschafft, aber doch seinen theoretisch-praktischen Wert hat, ist die Voraussetzung eines absoluten, göttlichen Weltgrundes (s. Gott). „Ein reiner Vernunftglaube ist also der Wegweiser oder Kompaß, wodurch der spekulative Denker sich auf seinen Vernunftstreifereien im Felde übersinnlicher Gegenstände orientieren, der Mensch von gemeiner, doch (moralisch) gesunder Vernunft aber seinen Weg, sowohl in theoretischer als praktischer Absicht, dem ganzen Zwecke seiner Bestimmung völlig angemessen vorzeichnen kann“, ibid. (V 2, 157); vgl. Glaube, Gott, Urteilskraft.