Der Bürgerkrieg des Herrn Lüttwitz


(19.7.1919)

 

Bei der Abteilung Lüttwitz der Reichswehr ist für den Hausgebrauch der Noskegarden ein kleines »Lehrbuch des deutschen Bürgerkrieges« erschienen.

Die von Noske verbotene illustrierte Wochenschrift der Unabhängigen, »Die Freie Welt«, Berlin veröffentlicht in ihrer Nummer 8 unter dem Artikel »Die Strategie des Bürgerkrieges« hochinteressante Bruchstücke aus diesem militärischen Hexenhammer, der, wie die Schriftleitung dazu bemerkt, die »weltberühmten Vorzüge des deutschen Militarismus: Grausamkeit, Gründlichkeit und rücksichtsloses Vorgehen gegen den Feind« in reichlichem Maße vereinigt.

Wir sind nicht der Meinung der »Freien Welt«, daß es für die »Bourgeoisie aller Länder« etwas Verlockendes haben kann, sich nach Kenntnisnahme vom Inhalt dieses diabolischen Lehrbuches »deutsche Instruktoren für den weißen Schrecken« kommen zu lassen und daß »wir damit wieder einen Exportartikel besitzen, von dem wir gewiß nie genug werden exportieren können«. Wir hoffen vielmehr, daß die anständige Welt ihre Verachtung, ihren Abscheu jenen Bankerotteuren in Uniform bekundet, die da neben anderen Perfidien als Lehrsätze aufstellen, im bevorstehenden Bürgerkrieg »Forderungen ohne lange Verhandlungen mit Gewalt durchzusetzen«, »Handgranaten und Minen oder auch nur Leuchtpatronen auf die weiter hinten stehenden Hetzer und Antreiber abzugeben«, weil das »oft besonders wirkungsvoll« ist: »Schreckschüsse unbedingt zu vermeiden« und »nur gezielte Schüsse abzugeben«, weil beispielsweise »Zielen auf die Beine die größte moralische Wirkung hat«.

Wir hoffen es. Ist es doch nur die lautere Wahrheit, daß hier ein ausgepowertes, fünf Jahre lang nach allen Regeln der Kunst betrogenes und geprelltes Volk, das längst entwaffnet wurde, nun nach besiegelter Niederlage seiner Generäle zum Bürgerkrieg provoziert werden soll, um völlig niedergeschlagen, erdrückt und vertiert zu werden. Ist es doch himmelschreiende Tatsache, daß heute, nachdem der Friedensvertrag jeden ferneren Raubzug preußischer Horden nach außen verhindert hat, die preußische Soldateska mit derselben Defensivkriegslüge den inneren Krieg und den Vorwand der »proletarischen Revolution« benutzt, um sich mit einem Millionenheer von Söldnern, Schmarotzern, Spitzeln und Schiebern für den Verlust der Weltherrschaft am eigenen Volke, der Masse von Arbeitssklaven, schadlos zu halten!

Um dieses »Lehrbuch des deutschen Bürgerkrieges« in seiner ganzen Infamie genügend zu würdigen, muß man sich nämlich vor Augen halten, daß es einen solchen »Bürgerkrieg« trotz des gelegentlich lauten weltrevolutionären Gebarens oppositioneller Blätter bis jetzt nicht gegeben hat; daß die Clique jener wüsten Burschen, die es noch heute als eine Ehre bezeichnen, preußischer Offizier zu sein, tagtäglich auf nichts anderes sinnt, als: wie sie Unruhen und Aufstände größeren Stils provozieren könnte; muß man die Naivität im Gefolge unserer Rebellen und Revolutionäre kennen, den Mangel an Präzision und Entschiedenheit, an Trotz und Empörung; muß man wissen, daß vier Fünftel der Nation noch heute das Naturburschentum der preußischen Methoden bewundert und gerade jenen Generälen Devotion bezeugt, die nicht nur den Ruin verschuldeten, sondern sich noch 1919 ihre Rechtfertigungsschriften von den Geprellten zehntausenderweise bezahlen lassen.

Bürgerkrieg von seiten der Opfer? »Wir verwerfen jede Putschethik«, so verkündete vor wenigen Tagen noch eine von Kommunisten und Unabhängigen gleicherweise unterschriebene Erklärung des Großberliner Vollzugsrates der Arbeiter- und Soldatenräte (letztere existieren gar nicht mehr). »Proletarier, laßt euch nicht provozieren«, so mahnte Tag für Tag flehentlich die Presse der ihrer Ohnmacht bewußten Volksmassen. Ausgehungert, skrophulös und schwindsüchtig, aber vergebens harrt das Volk jener Reformen, die eine so ungeheuerliche nationale Katastrophe wie die deutsche notwendig bringen müßte, wenn nicht das Volksganze zugunsten einer allein noch bewaffneten Schicht von Millionenschiebern und Hochstaplern vergewaltigt würde.

Wie hat das Märchen von der deutschen Revolution aufkommen können? Rebellen sind in Deutschland so gutmütige und genügsame Leute, daß sie begreiflicherweise in jenen denkwürdigen Novembertagen des Jahres 1918, von ihren leichterrungenen Erfolgen berauscht, aller Welt den Glauben beibrachten, die Gratulationsfeier zu Kaisers Abdankung sei eine Revolution. Rebellen in Deutschland sind ja so neu und naiv, daß sie noch heute die Macht verkennen, mit der sie zu tun haben, jene satanische, jesuitische, mathematisch brutale Gewalt preußischer Henker, der alle die trefflichen Führer und Menschen Liebknecht, Luxemburg, Landauer, Eisner wie Kinder ins Feuer liefen. Wir warnten an dieser Stelle immer vor neuem davor, an die Schärfe, die Popularität deutscher Revolution zu glauben. Wir warnen auch heute wieder. Der Opfertod jener Männer bestärke den Irrtum nicht, sie seien die Urheber des von der Regierung provozierten Bürgerkrieges gewesen. Jeder neue Standrechtsprozeß in Deutschland mehrt das Material, wonach die Aufstände in Berlin, München, Hamburg, Bremen auf Provokationen zurückzuführen sind. Jeder Tag, den Herr Lüttwitz werden läßt, bringt neue Enthüllungen über Spitzel-und Provokateur-Organisationen, in denen das eigentliche Gesindel der Nation, die verkrachten aristokratischen, bürgerlichen und proletarischen Existenzen gut bezahlten Unterschlupf finden in gemeinsamer Vorbereitung des »Bürgerkrieges«.

Die Hauptspitzelabteilung befand sich anfangs in den jetzigen Räumen des Großberliner Vollzugsrates. Offiziere und Unteroffiziere sichteten unter solchen Namen das von den Zuträgern einlaufende Material und leiteten es unter entsprechender Redaktion an den Herrn Reichswehrminister, das Garde-Kavallerie-Schützenkorps und die Reichsregierung weiter. Daneben besteht eine weitverzweigte Spitzelabteilung und ein selbst denunzierender Nachrichtendienst der Garde-Kavallerie-Schützendivision, für die auch ein besonders in Hamburg akkreditiertes Reptilienbureau Fahrendorff-Kreusch arbeitet. Die Zentralstelle benutzt neben den festbesoldeten Kreaturen sämtliche größeren Detektivbureaus Deutschlands. Daneben eine sogenannte »Liga zur Bekämpfung des Bolschewismus«, unterhalten vom Großkapital, die Pseudonymen Offizieren bei freundlicher Zusammenkunft mit »Aufklärern« schlimmster Sorte Sinekuren schafft und ihre Tagesrapporte an Herrn Noske weiterleitet. Daneben studentische Spitzelverbindungen unter einem Dr. Sakh, der seine Kommilitonen in die kommunistischen Zirkel und unabhängigen Verbände schickt. Gäbe es aber sonst keine Beweise dafür, daß die Reichsregierung von diesem Treiben unterrichtet ist, so wäre Beweis genug jener aus 11 Punkten zusammengesetzte »Anhang für den in eine unsichere Stadt entsandten Späher« aus dem oben zitierten »Lehrbuch des deutschen Bürgerkrieges«, datiert vom 14. Mai 1919 und unterschrieben vom »Chef des Generalstabes, Major von Stockhausen«.

Für die solcher Schlammflut gegenübertretende Harmlosigkeit der deutschen Revolution aber zeugt außer dem Fehlen erneuernd durchbrechender Taten doch wahrlich auch das jedesmalige Erstaunen der Opposition und die verblüffende Langmut, womit Dokumente wie diejenigen über das Spitzelwesen (siehe »Freiheit« vom 5., 6. und 8. Juli) selbst heute noch, nach den Erlebnissen dieses Krieges, hingenommen werden.

Ich sagte: die rührende Harmlosigkeit dieser Revolution, die ihren Henkern und Kerkermeistern keineswegs gewachsen ist. Zeigt sich das nicht sogar bei der unabhängigen Schriftleitung der »Freien Welt«, die jenes »Lehrbuch« in stiller Ergebenheit mit dem Hinweis auf — Tolstoi kommentiert, jenen Tolstoi allzu konzilianter Christlichkeit, der noch im Profosten einen Bruder, nicht aber den Satan sehen wollte, und der die verzichtende Weisheit lehrte, die schmachvolle Demut: dem Bösen nicht widerstehen ... »Menschenliebe«, lehrt dieser, ein Russe, aus anderer Sphäre, »Menschenliebe ist die Liebe des Menschen zu seinem Nächsten — zu jedem Menschen, als einem Sohn Gottes und deshalb einem Bruder«. Gewiß. Aber Menschenliebe ist nicht die Liebe des Menschen zu seinem verstockt-bösartigen Widerspiel zum Reiche des Belial. In jenen, die Deutschland heute beherrschen, lebt nicht mehr, »wie sehr sie ihn zu betäuben suchen«, Gott. In ihnen lebt sein Gegensatz, und sie suchen, mit Kolbenschlägen und Lügen, ihn nicht so sehr zu betäuben, als auszurotten.


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