Bange Stunde
Gebannt steh’ ich auf diesem Fleck
und kann nicht zurück und kann nicht weg
und suche mit dreimal flehenden Händen,
ein sicheres Schicksal abzuwenden.
Alles um mich in den bangen Stunden
hat Macht über mich, der gebannt und gebunden.
Gelingt’s mir, nur dies und nicht das zu denken,
so wird mich mein Wille zum Ausgang lenken,
und ich weiß mir, der Sklave dem Herren, Dank,
entrinn’ ich nur diesmal noch meinem Zwang.
Dort wäre der Weg: wo der Zweifel steht,
ob rechts oder links es sich besser geht.
Ich könnte fliegen, ich möchte eilen,
und geschwind noch beschwör’ ich die Zeit, zu verweilen.
Ich schlage mich durch, ich krieche und hinke,
wie fass’ ich die Klinke? Wie faßt mich die Klinke!
Schnell könnten drei Wünsche mir noch verderben:
Herrgott, so laß meine Freunde nicht sterben —
was hältst du mich, scheinbare Vorhangfalte,
was will mir das Fiebergesicht, das alte —
Gott, rette mir jenen, behüte mir diesen,
bewahr ihm das Auge für Wunder und Wiesen —
wie kränkt’ ich mich damals, ich wollte nicht warten,
denn ich war krank und die andern im Garten,
eine Spieldose hat die Gavotte gespielt,
ein Gesicht im Vorhang hat nach mir gezielt —
Gott, hilf ihnen, die die Zeit mir verwehte,
und die längst nicht glauben, daß ich für sie bete,
und jenen, die du zu dir schon entboten,
vergiß nicht die Toten, vergiß nicht die Toten!
der Einen aber hier auf dem Bilde,
es lächelt zu meinem Aufruhr so milde,
und dieser aber, o daß ich’s nicht dächte,
wenn nicht das Denken Erfüllung mir brächte,
ihr mögest du Leben und Leben und Leben
in vielfach lebendiger Fülle geben
und wirken, daß ihr in unendlichen Lenzen
wie Sonne und Mond die Züge erglänzen,
und für mich selbst, o hör den unendlichen Jammer,
bitt’ ich, daß ich in dieser Kammer,
geschmiedet an aller Erden Qual
mich zu Formen erlöse ohne Zahl,
und aus dem vorbestimmten Kreise
mir erbarmungslos und ausnahmsweise
gestattet wäre zu entrinnen,
um immer von neuem zu beginnen,
denn es lähmt mir das Herz, daß einst hinter mir
sich schließe die vorbereitete Tür,
und an dem Gedanken, mich nicht zu beerben,
würd’ ich ganz sicher noch einmal sterben!
Laß es nicht zu und lasse mich bleiben,
und bin ich erst fertig, beginn’ ich zu schreiben,
denn dem das Wort den Ursinn gelichtet,
sieh, der hat nie zu Ende gedichtet,
und war ich stets des Anfangs gewärtig,
war Leben im Wort: so werd’ ich nicht fertig!
Hier ist mir ein heiliges Rätsel gewesen,
ich habe in Hieroglyphen gelesen.
Nie lass’ ich das dreimal lebendige Wort,
verstummend in dein undenkliches Dort,
nie lass’ ich den Streit und den Zweifel hiernieden
für jenen unwiderleglichen Frieden.
Nie mögst du von diesem Sessel mich heben.
Lieber den Tod als nicht mehr zu leben!
Nicht feige fleh’ ich um meine Errettung;
doch hängen in blutig gespürter Verkettung
an meiner Gestalt die vielen Gestalten,
die du zu bewahren mir vorbehalten,
und in dem schmerzbeseligten Bund
unzählige Stimmen an meinem Mund.
Sie nachzuschaffen hast du mich gelehrt,
die von dir sich zum eigenen Abbild verkehrt;
und gleich’ ich nicht jenen, die du erschaffen,
so kannst du mich nicht zu dir entraffen.
Drum laß aus dem marschbereiten Haufen
zurück mich in deine Ewigkeit laufen,
und gib mich mir wieder Stück um Stück!
Mit Macht reiß’ ich sonst mein Gedächtnis zurück,
um nimmer zu denken, was noch nicht geschah —
ich will ja nicht weg, ich bleibe doch da!
Was ist das nur heut, was ist das nur hier,
wie dreht sich und droht mir, wie knarrt mir die Tür,
wie rennt mir die Stunde in rasendem Lauf,
wie halten mich alle die Dinge hier auf,
und Falten und Kanten, sie starren mich an,
des Zufalls unseligsten Untertan!
Gebannt und gebunden steh’ ich auf dem Fleck,
und kann nicht zurück, und will nicht weg —.