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Leib

"Leib" scheint auf den ersten Blick, mit "Seele'" verglichen, ein so viel handgreiflicherer und klarerer Begriff zu sein. Scheint nur. Etymologisch ist corpus unsicherer als anima, "Leib" ebenso dunkel wie "Seele". Mit "Laib" (Brot) hat es nichts zu schaffen. Ulfilas gebrauchte "Leib" nicht, weil das Wort damals wahrscheinlich einen Gegensatz zu "wal" bedeutete, die lebende Person gegenüber der Leiche. Und noch lange nachher dachten die Deutschen bei "Leib" zunächst an Leben, an die Person; es ist also nur Zufall, daß "Leib" nicht zu unserem Seelenbegriff wurde, daß es in neuer Zeit zur Seelenhülle wurde, in bestimmten Verbindungen sogar gleichbedeutend mit Bauch, Unterleib.

Auch klar und bestimmt ist "Leib" nicht. Wollte ich mit den Begriffen spielen wie Fechner, so könnte ich fragen: In welchem Zeitpunkt der Verdauung fängt die eingenommene Nahrung an, unserem Leibe anzugehören? Im Munde, in der Speiseröhre noch nicht. Auch noch nicht immer im Magen. Erst irgendwo in dem 6—8 Meter langen Darm. Aber wo und wann? Wo ist die Grenze? Wo die Grenze, an der die Atmosphäre nicht mehr der Einheit Erde angehört? Was ist da Einheit?

Doch es ist Zeit, daß ich die groben historischen Gegensätze von Leib und Seele verlasse und mich der wissenschaftlichen Verbindung zuwende.