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Reizleitung bei Pflanzen

Nach den Untersuchungen von Haberlandt hätte man sogar den Stoff entdeckt, welcher in der Mimose die Leitung der Reize vermittelt. Verwundet man die Mimose an den Polstern der Blattstiele, so tritt eine Störung ein, die recht gut an die Störung tierischer Organismen durch Verletzung des Rückenmarks erinnern kann. Diese Beobachtung kann noch einmal sehr wichtig werden für die Physiologie der Pflanzen. Was in aller Welt hätte aber selbst die Aufdeckung eines Gewebes, welches bei allen Pflanzen Reize vermittelt, für die Psychologie der Pflanzen auszusagen? Unser menschliches Nervensystem würde uns doch nie und nimmer auch nur die schwächste Vorstellung von den Bewußtseinszuständen geben, wenn uns diese Zustände nicht bewußt wären, also viel unmittelbarer bekannt als irgend eine Tatsache der Nervenphysiologie. Wenn wir aber den Seelenbegriff auf die Pflanzen ausdehnen wollen, so haben wir dabei doch ganz gewiß unsere Bewußtseinszustände im Sinne, und weil das gerade die Tendenz ist, in welcher man die Pflanzen gern beseelt nennt, darum schiebt man den Erscheinungen des Pflanzenlebens immer wieder gern ein Bewußtsein unter, irgend ein dumpfes, traumartiges, undifferenziertes, niedriges Bewußtsein, aber doch ein Menschenbewußtsein. Verzichtete man darauf, so hätte die ganze Übertragung des Seelenbegriffs keinen Sinn mehr. Denn zu jeder Vergleichung gehört ein tertium comparationis.

Ist es noch notwendig, besonders auszusprechen, daß die Annahme eines Pflanzengedächtnisses diesem Zweifel nicht widerspricht? Wie so oft sehen wir auch hier, daß der Begriff Gedächtnis zwei Bedeutungen hat, eine subjektive und eine objektive. In subjektivem Sinne ist das Gedächtnis oder vielmehr sind die Erinnerungen Tatsachen des menschlichen Bewußtseins; diese Tatsachen sind bei Menschen und Tieren so sehr eine Funktion des gesunden Nervensystems, daß wir uns durchaus keine Vorstellung davon machen können, ob und wie das Bewußtsein von Erinnerungen ohne ein menschliches Nervensystem vorhanden sein könne. Gedächtnis in objektivem Sinne, wie wir es bald als Vererbung und schließlich als einen tautologischen Begriff auffinden werden, dieses Gedächtnis (man wird es freilich gar nicht mehr Gedächtnis nennen wollen oder es als unbewußtes Gedächtnis auf die leere Seite zwischen Psychologie und Physiologie verbannen) hat mit dem Bewußtsein nichts zu schaffen. Wir können deshalb wohl sagen, es müsse die Pflanze Gedächtnis besitzen, und brauchen dennoch nicht zu glauben, daß in ihr etwas vorgehe, was mit menschlichen Erinnerungen irgend welche noch so entfernte Ähnlichkeit habe.