Thomas von Aquino
Der heilige Augustinus hat den Grund gelegt zu der heute noch unklar vorhandenen Vorstellung des Verhältnisses zwischen Seele und Leib, zu dem Köhlerglauben der Menge wie zu dem Dualismus der geschulten Denker. Aber nicht nur in der Darstellung des heiligen Augustinus wird dieser Dualismus gepredigt, sondern in der Philosophie des nicht minder heiligen Thomas von Aquino, derjenigen Philosophie, welche eine päpstliche Enzyklika im Jahre 1879 der modernen Welt als Norm des Denkens vorzuschreiben gewagt hat. Thomas weiß Bescheid, als ob er dabei gewesen wäre. Die Seele ist von Gott unmittelbar geschaffen, nicht von Engeln. Die Seele ist mit dem Körper zugleich geschaffen. (Einen besonderen Sitz der Seele gibt es nicht, sie ist tota in toto.) Thomas mischt des Augustinus Gottessehnsucht mit den Spitzfindigkeiten des Aristoteles. Die Seele ist kein Körper, sondern die Ursache körperlicher Erscheinungen. Die Seele ist kein Körper, sondern eine besondere Substanz. Substanz ist aber bei Leibe nicht Materie. Im Dienste theologischer Forderungen erklärt aber Thomas die überlieferten drei Seelen, die Bauchseele, die Brustseele und die Kopfseele (er nimmt auch wohl fünf oder gar acht Seelenkräfte an), für eine Einheit. Im Zeitalter der Streitigkeiten um die Dreieinigkeit war das leichte Arbeit. Über den Zustand der Seele nach dem Tode weiß Thomas ganz genau Bescheid; der gläubige Schuft Düsterer in Anzengrubers Gewissenswurm kennt sich in der Hölle nicht besser aus. Die Bauchseele und die Brustseele verschwinden mit dem Leibe; nur die Kopfseele bleibt erhalten und hat es mit sich selbst abzumachen, wie sie nachher die den Bauch betreffenden Höllenstrafen empfinden kann. Die höllengläubigen Reformatoren, wie Calvin, hatten nachher genug zu tun, sich mit diesen Theorien des Thomismus abzufinden.