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Materialismus

Von allen Versuchen dieser Sprachkritik, die Entscheidung berühmter Fragen als die von menschlichen Wortstreitigkeiten abzulehnen, ist der Versuch über die Seele der schwierigste, trotzdem der handfeste Seelenbegriff von allen Vertretern der Psychophysik und der physiologischen Psychologie aufgegeben worden ist. Wir haben nämlich in der Sprache wohl einen Gegensatz zwischen Seele und Leib und auf ihm begründet den allgemeineren Gegensatz zwischen einer spiritualistischen und einer materialistischen Weltanschauung. Wenn wir aber die Entstehung der beiden Begriffe betrachten, so müssen wir doch sagen, daß wir zu dem Begriff des Leibes und der Materie überhaupt durch die Angaben unserer Zufallssinne gelangt sind — sprachlich gelangt sind, als sprechende Menschen —, aber zu dem Begriff der Seele oder des Geistes ohne jede Unterlage. Da nun im Verstande nichts sein kann, als was vorher in den Sinnen war, so ist der Begriff der Seele oder des Geistes mit noch wilderer Metaphorik in den Verstand hineingekommen, als der Begriff des Leibes. Der Materialismus ist wenigstens einseitig, der Spiritualismus ist nicht einmal einseitig. Um es auf den deutlichsten Ausdruck zu bringen: wir haben körperliche Organe und Sinne für die Beobachtung von Körperbewegungen; aber wir haben neben unserem Denkorgan keinen Sinn für die Beobachtung des Denkens. Die sogenannte Selbstbeobachtung hat kein Organ. Darum sind auch die neuesten Formeln, auf welche das Verhältnis zwischen Seele und Leib gebracht worden ist, wortabergläubische Formeln. Als Beispiel nenne ich wieder Bain, der in seiner Kritik des cartesianischen Dualismus so vortrefflich darauf hinweist. daß nicht einmal die Teilbarkeit des Stoffes und die Unteilbarkeit des Geistes für eine Unterscheidung zu brauchen sei. Wohl sei ein Stück Metall teilbar. Sei aber aus dem Metall eine Uhr angefertigt, so könne man es nicht in zwei Teile spalten, ohne es als Uhr zu zerstören. Man könne nun ebensowenig das Gehirn eines Menschen in zwei leistungsfähige Gehirne zerschneiden, wie man seinen Verstand in zwei zerlegen könne. Sehr richtig. Aber es ist doch offenbar nur sprachliche Willkür, wenn da zwischen tätigem Gehirn und Verstand unterschieden wird. Wir sind doch über solche grammatikalische Täuschungen hinaus, daß wir zwischen tätigem Gehirn" und "Tätigkeit des Gehirns" eine Differenz sähen. Es gibt Sprachen, in denen die beiden Wortgruppen gar nicht verschieden ausgedrückt werden können. Und wenn Herbert Spencer noch feiner die beiden Weltanschauungen mit den beiden ungleichen Aufnahmen eines stereoskopischen Bildes vergleicht, so gibt er von der Sachlage eine frappierende, aber keine richtige Metapher. Die Kamera unseres Verstandes kann nur die körperlichen Erscheinungen fotografieren; für die geistigen Erscheinungen im Menschen haben wir keine Kamera.