Begriff und Ding
Man bietet gewöhnlich Schulbeispiele, wenn man die alte Lehre vom Begriff, vom Urteil und vom Schlüsse schulgerecht vortragen will. Ich will von einem Satze ausgehen, den ich einmal von einem Wiener Komiker hörte.
"Chester cheese, dös muß a Kas sein, weil's unter Käse steht," so sagte der Hanswurst, und alle Zuhörer lachten, und ich mußte noch Jahre später lachen, so oft ich auf einer Karte Chester cheese fand.
Es steckt in dem Satze eine Fülle von gutem Humor. Man muß lächeln, weil der Hanswurst, der eine so feine Speisenkarte liest, ihre Ausdrücke nicht versteht. Man würde also schon lächeln, wenn er einfach sagen würde: "Chester Tschehse? Was ist das?"
Man muß laut lachen, weil der Hanswurst ganz richtig hochdeutsch "Käse" vorliest, aber dann ganz gemütlich bei seinem mundartlichen "Kas" bleibt. Diese Verbindung von falschem Englisch, von natürlichem und geschraubtem Deutsch wirkt stark komisch.
Die ganze Wucht des Spasses scheint mir aber doch darin zu bestehen, dass der Hanswurst eine Selbstverständlichkeit mit dem ganzen Aufwand logischer Worte darlegt.
Der Hanswurst will nach Tisch einen Käse essen. Er würde zu Hause "an Kas" verlangen, und die Frau würde, je nachdem, ihm ein Quargl oder so etwas bringen. Im feinen Restaurant findet er auf der Karte anstatt eines "Quargls" zehn Arten Käse. Damit erfährt sein schlichter Wunsch eine Hemmung, der Hanswurst kommt zum Bewußtsein, das heißt zum Wort oder zum Denken und sucht sich diskursiv, eben in seinem Satze, klar zu machen, dass das ihm bisher so unbekannte Wort "Chester cheese" auch so etwas Gutes wie ein "Kas" sein müsse. Er denkt und spricht völlig logisch, und das eben ist so unwiderstehlich komisch.
Man ordne nur ein wenig die Begriffe, und man wird sofort sehen, dass der Hanswurst einen musterhaften Schluß nach der Figur Barbara gezogen hat.
Major: Jeder "Käse" ist (nach allen meinen bisherigen Erfahrungen schließlich doch auch) "a Kas".
Minor: (dieses merkwürdige, unaussprechliche Tier) Chester cheese ist (gewiß, da doch auf Speisenkarten Verlaß igt und der Kellner ein ernster Mensch zu sein scheint) ein Käse.
Conclusio: Also ist Chester cheese (Tschehse) ein Kas. Wobei ich bemerke, dass der Schluß sogar mit apodiktischer Gewißheit auftritt; "es muß a Kas sein"; ferner dass mein Hanswurst mit seiner Psychologie den Minor nicht so ausdrückt, wie ich ihn eben formuliert habe, sondern — als ob er mir zu Hilfe kommen wollte —: Chester cheese heißt Käse, gehört unter den Gattungsbegriff Käse, "weil's unter Käse steht".
Was kann uns nun die Wissenschaft des Denkens, die Logik, von dem Stückchen Chester erzählen, welches dem Hanswurst vorgesetzt wird? Oder auch von dem gedachten Stückchen, welches er bestellt hat? Nichts. Beide "Stücke" gehören in die Psychologie, wo dann das Bestellte wohl ein "Begriff", das Gebrachte wohl eine "Anschauung" heißen wird. Und ich will nicht vergessen, daran zu mahnen, dass selbst Psychologie eigentlich nur das ist, was die Physiologie noch nicht weiß und wofür wir uns darum mit bloßen Worten begnügen müssen. Psychologie ist die Metaphysik der Physiologie, die "Metaphysiologie" möchte ich sagen.
Das wirkliche Stückchen Käse, das jedermann ein "Ding'" nennen würde, ist also eine Anschauung; ich brauche nicht zu erklären, dass wir eben vom Wesen dieses Dings, von dem, was in ihm oder hinter ihm steckt, von seinem "Ding-an-sich" nichts wissen, nichts Andres, als was uns durch unsre Sinne darüber in ihrer Sprache mitgeteilt worden ist; wir wissen von keinem Ding etwas Andres, als was wir als Schwere, Wärme, Aussehn, Schall, Geruch und Geschmack etwa über es erfahren haben. Wir wissen schon: Substantive sind die Ursachen adjektivischer Sinnesdaten. Für das tägliche Leben genügt es auch vollkommen, wenn wir den Anlaß dieser Sinnesempfindungen, solange er im Bereiche der Sinne ist, ein "Ding" nennen und den Anlaß dadurch von der Nachwirkung der Empfindungen selbst unterscheiden, die wir eine Erinnerung nennen. Das hindert jedoch nicht, dass auch das Ding, der wirkliche Käse, im Grunde eben nur unsere Anschauung oder Vorstellung ist — es wäre ganz willkürlich, zwischen diesen beiden Worten zu entscheiden — das heißt eine psychische Handlung. Diese psychische Handlung kann entweder ein sogenanntes Einzelding betreffen und zu einer Einzelvorstellung führen oder Begriffe bilden, das heißt Erinnerungen an ähnliche Einzelvorstellungen durch ein Wortzeichen zusammenfassen. Das Wortzeichen für ein Einzelding pflegt man auch nicht gern "Begriff" zu nennen, weil das für die Logik unbequem wäre. Ich sehe aber nicht, wie man dieses hier aufgetragene Stückchen Käse, wenn man sich nicht damit begnügen will, mit dem Finger darauf zu zeigen, anders als durch Begriff bezeichnen sollte: freilich, weil es ein bestimmtes Einzelding ist, gerade durch mehr als einen Begriff.
Gleich an der Schwelle der Untersuchung wird nun klar, dass die Sprache mit ihren Worten nicht einmal die Einzelvorstellung genau bezeichnen kann, wo sie nicht etwa durch Eigennamen den Gewalt streich macht, alle unsere Erinnerungen an ein Einzelding zusammenzufassen, so scheinbar sehr genau zu sein, aber eigentlich jedes begriffliche Denken aufzuheben. Wenn jedes Einzelding auf der Welt (jedes Tierindividuum, jedes Pflanzenindividuum, jedes Sandkorn, jedes Blatt Papier und jeder Tintentropfen) seinen Eigennamen hätte, so gäbe es keine Sprache mehr. Das vom Kellner gebrachte Stückchen ehester, das je nach dem zufälligen Handgriff der "kalten Mamsell" in Größe, Format usw. so oder so ausfallen konnte, weist der ungezogen deutende Finger viel bestimmter, als es ein langer Satz zu beschreiben vermag.