»Machen S' halt eine Eingabe!«
In Berlin kommen auf jede Wohnung dreizehn Personen: drei, die darin wohnen, und zehn, die draußen darauf warten, dass sie frei wird. Zu diesem Behufe – und auch, damit die Beamten zu tun haben und damit wir wissen, wie eine Behörde aussieht, und überhaupt –: zu diesem Behufe schuf Gott die Wohnungsämter.
Dieselben bestehen aus vielen Bureauräumen (deren Aufhebung allein schon die ganze Wohnungsfrage lösen würde), aus einer Anzahl von Beamten, die zwar keine Wohnungen, aber Akten aus der Erde stampfen können, und aus vielen Regalen und keiner Wohnung. Ja, und dann sind da noch die Petenten, die Parteien, das Publikum. Aber das kommt ja erst in letzter Linie.
Nun haben diese Leute mitunter die seltsame Angewohnheit, das Wohnungsamt mit Bitten und Beschwerden zu belästigen – was ebenso lächerlich wie ungehörig ist – denn das Wohnungsamt ist, wie jede Behörde, um seiner selbst willen da. Gut. Und weil man nun nicht den ganzen Tag Fliegen fangen und sich wichtig machen kann, so hat ein besonders strebsamer berliner Wohnungsbeamter »Briefe an das Wohnungsamt« gesammelt. Die Stilblüten aus diesen Briefen gehen hier von Hand zu Hand, und soweit sie druckbar sind, sollen sie hier mitgeteilt werden.
»Ich bin seit fünf Monaten verheiratet und meine Frau ist in Umständen. Ich frage hiermit das Wohnungsamt: Muß das sein? « – schreibt einer. Und was allen diesen Briefen gemeinsam ist, das ist nicht nur ihre maßlose, unfreiwillige Komik, sondern vor allem eine seltsame Verquickung von Papierdeutsch und falsch verstandener Phrase. Es ist, wie wenn das Aktendeutsch wild geworden und mit dem Schreiber durchgegangen wäre. Sie haben alle die schönen Verordnungen gelesen und haben annähernd behalten, wie schön sich darin die hohe Behörde auszudrücken pflegte – aber so genau ist das nicht haften geblieben, und was übrig bleibt, sieht dann so aus:
»Dieses Zimmer ist nicht nur gesundheitsschädlich, sondern es untergräbt auch die gute Sitte meines achtjährigen Jungen.« Oder idyllisch:
»Nachts muß ich den Regenschirm aufspannen, und morgens scheint der Sonnenschein lustig durch dem Dache herein.« Oder ein seltsames Naturspiel:
»In einigen Wochen sieht meine Frau ihrer Niederkunft entgegen, sowie meine alte mittellose Schwiegermutter.« Oder ganz pervers:
»Direkt unter meiner Wohnung züchtigt eine Frau zwei Schweine.« Oder sehr seltsam:
»Ich habe Rheumatismus und ein Kind von vier Jahren. Dieses ist auf Feuchtigkeit zurückzuführen … «
Und alle wollen so schrecklich gern genauso schreiben wie die Beamten, an die sie sich wenden, und weil sie wiederum mehr gesunden Menschenverstand, aber weniger Übung haben als diese, so kommt eben jener Stilmischmasch zustande, wie zum Beispiel:
»Diese Wohnung ist erstens gesundheitwiderlich, zweitens wegen dieser großen Haushaltung auch sittlich nicht maßgebend.« Und besonders schön ist es, wenn sich die Phrase zu einem kleinen pathetischen Galopp versteigt:
»Um mich von der Stufe des Niederganges zu erheben, in deren Kot ich leidend wühle, gibt es nur eine exemplarische Möglichkeit: schnellste Beschaffung einer Wohnung, die Platz genug bietet, mit meiner Frau nebeneinander zu leben.« Oder so:
»Ich habe eine Tochter und zwei Söhne, und wir sind hier alle so beschränkt, dass wir nur zwei Betten aufstellen. In dem einen schlafe ich mit meiner sechzehnjährigen Tochter, was allein schon gegen das Zuchthaus ist.«
Das hat mit ihrem Singen die Polizeiverfügung getan. (Denn wir haben es ja erlebt, was manche Kommunistenscharen taten, wenn sie eine Stadt »erobert« hatten: das erste war, Verfügungen ganz im Stil ihrer bisherigen Unterdrücker herauszugeben. Es sind umgekehrte Beamte.)
Denn wenn ein Kopf mit einem Geschehnis zusammenprallt, so kann ein sprachliches Erlebnis daraus entstehen. Aber wehe, wenn nur eine Phrase in der Nähe ist! Man kann sich so leicht anstecken, ganze Völkerschaften sind durch sie verseucht, und so entstehen denn die Malheure: lyrische Gedichte, Kriege und Briefe an das Wohnungsamt.
Peter Panter
Prager Tageblatt, 17.06.1923, Nr. 139, S. 5.