Nebendiplomatie
Deutschland unterhält in den großen europäischen Hauptstädten Botschaften, Konsulate und Gesandtschaften. Die unterliegen der Kontrolle und der Kritik der Öffentlichkeit, im großen ganzen läßt sich für den Kenner genau übersehen, was dort getrieben wird. Daneben läuft eine andre Art Diplomatie.
Überall im Auslande treibt sich, offiziös, offiziell, privat, eine äußerst gefährliche Sorte umher: Parasiten der Diplomatie. Da sind Journalisten, entlassene Beamte, Frauen, bei denen man nie weiß, wo die Journalistin aufhört und die Frau anfängt, und – die gefährlichsten – ehemalige Offiziere (darunter viele Homosexuelle). Dieses Gesindel, das die europäischen Sprachen meistens sehr gut beherrscht, sitzt in den Halls der großen Hotels herum, hat stets Aufträge in der Tasche, die mit seiner eigentlichen Mission nichts zu tun haben, und ist leicht an seiner Wichtigtuerei zu erkennen. Das hat Konferenzen, politische Diners, geheime Zusammenkünfte, Entrevuen, Pläne, Sitzungen … und ist deshalb so gefährlich, weil es keiner Kontrolle unterliegt, und weil die deutsche Regierung jederzeit – oft mit gutem Gewissen – erklären kann, mit diesen Leuten nichts zu tun zu haben. Sie machen oft eine taktlose Propaganda, spionieren wohl zwischendurch ein bißchen, bespitzeln die Gesandtschaften und werden aus Fonds gespeist, die mehr als dunkel sind. Vor dem Eclat schwer offiziell, sind sie hinterher, wenns schiefgegangen ist, harmlose Privatleute.
Vom Schlafwagen an sind ihre Reisen schabloniert: Ankunft, Wohnung im mittlern Hotel (Tee im ersten), Frühstück, Aushorchen, finstere Geschäfte, Übergabe von geschmuggelten Sachen und Briefen, die man aus guten Gründen nicht mit der Post schickt, Besprechungen mit Bekannten, sehr gute Essen und abends: Ausgang. Es gibt, zum Beispiel, kaum eine Bar in Paris, in der Homosexuelle verkehren, wo man nicht solche Exemplare finden kann. Dann, am nächsten Tag – und hier sitzt der Kernpunkt –; diese maßlos gefährlichen, weil fast immer falschen Berichte in die Heimat.
Das sind die Berichte, auf die sich immer noch so viele Politiker in Deutschland stützen, die Berichte von »Vertrauensleuten«, in denen dann zu lesen steht: »Man ist hier der Ansicht … « Wer ist: Man? Der Schlepper der jungen Engländer, die »man« frequentiert? Der Hotelportier? Der Bruder von Fifi – und Fifi ist auch manchmal eine Dame …
Es ist stets die alte Geschichte: Diese internationalen Deklassierten halten im Spießer zu Hause immer noch die Ansicht wach, Diplomatie sei eine Sache der feinen, auf den Hintertreppen erlauschten und weitergeflüsterten Geheimnisse. Ob sie das je gewesen ist, steht dahin. Aber heute, wo die harten Wirtschaftstatsachen und die ungeschriebenen Gesetze der Völker die Wirklichkeit diktieren, heute ist es widersinnig, mit solchem Pack zu arbeiten, das mit ein paar geklauten Briefen, mit Dokumenten, deren Wichtigkeit in den meisten Fällen überschätzt wird, mit Klatsch und Geheimaufträgen den andern Theater vorspielt und sich ein höchst angenehmes Dasein verschafft.
Die Auftraggeber sollten die Taschen zuknöpfen. Die Ware taugt nichts.
Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 10.07.1924, Nr. 28, S. 74.