Interessant. (Schöne Künste) Im allgemeinen Sinn ist das Interessante1 dem Gleichgültigen entgegengesetzt und alles, was unsere Aufmerksamkeit reizt, kann auch interessant genannt werden. Vorzüglich aber verdient dasjenige diesen Namen, welches die Aufmerksamkeit nicht blos als ein Gegenstand der Betrachtung oder eines vorübergehenden Genusses, reizt, sondern was eine Angelegenheit für uns ist und uns einigermaßen zwinget unsere Begehrungskräfte anzustrengen. Wir nennen eine Situation in dem epischen oder dramatischen Gedicht interessant, nicht insofern sie uns bloß gefällt oder insofern sie angenehme oder unangenehme Empfindung erweckt, sondern nur insofern es eine Angelegenheit für uns selbst wird, dass die Sachen, nach der Lage, darin wir sie sehen, einen gewissen Ausgang nehmen.
Es gibt Gegenstände die wir mit einigem Vergnügen betrachten, ohne starken Anteil daran zu nehmen. Wir sehen sie als ergötzende Gemälde vor uns und beobachten das, was sich darin verändert als bloße Zuschauer, denen es einigermaßen gleichgültig ist, wie die Sachen laufen, wenn nur nichts widriges dabei geschieht. So sieht ein müßiger Mensch aus seinem Fenster auf die vor ihm herumwandelnden Menschen herunter und ist zufrieden, wenn nur immer etwas Neues vor sein Gesichte kommt. In die ser Fassung lesen wir auch bisweilen Beschreibungen von Ländern oder Erzählungen von Geschichten, an denen wir weiter keinen Anteil nehmen als dass wir uns dabei die Zeit vertreiben. Von dergleichen Dingen sagt man nicht dass sie interessant seien, weil sie als Sachen angesehen werden, die unsere Personen oder unseren Zustand, weiter nichts angehen.
Es kann auch sein, dass Gegenstände dieser Art ziemlich starken Eindruck auf uns machen, ohne darum im engen Verstand interessant zu sein. Die Vorstellungen, bei denen wir uns größtenteils leidend verhalten; wo wir bloß genießen, die Sachen seien gut oder böse, sind noch nicht von der interessanten Art. Man kann uns freudig, traurig, zärtlich, wollüstig machen und uns durch dergleichen Empfindungen angenehm unterhalten, ohne uns lebhaft zu interessieren. Wir nehmen alle diese Eindrücke gern an, weil sie unterhaltend sind oder uns gleichsam angenehm einwiegen: aber wir finden uns dadurch in keine merkliche Wirksamkeit gesetzt; es würde uns alles eben so gefallen, wenn auch die Empfindungen anders als wirklich geschieht, auf einander folgten.
Wenn uns aber Gegenstände vorkommen, die unsere Wirksamkeit auffordern; wobei wir uns als mitwirkende Wesen zeigen; bei denen wir Entwürfe machen; die Wünsche, Furcht und Hoffnung in uns erwecken; wo uns daran gelegen ist, dass die Sachen ge wisse Wendungen nehmen und wo wir uns wenigstens in Gedanken tätig erzeigen, etwas zu dem Fortgange der Sachen beizutragen; dann werden diese Gegenstände interessant genannt.
Das Interessante ist die wichtigste Eigenschaft ästhetischer Gegenstände; weil der Künstler dadurch alle Absichten der Kunst auf einmal erreicht. Erstlich ist er versichert uns dadurch zu gefallen. Denn ob es gleich scheint, dass der ruhige Genuß angenehmer Empfindungen, der erwünschteste Zustand sei, so zeigt sich doch bei näherer Untersuchung, dass die innere Wirksamkeit oder Tätigkeit, wodurch wir uns selbst als freie aus eigenen Kräften handelnde Wesen verhalten, die erste und größte Angelegenheit unserer Natur sei. Diese Wirksamkeit ist der erste, wahre Grundtrieb unseres Wesens, der Eigennutzen oder das Interesse, welches einige Philosophen zur Quelle aller Handlungen machen. Also kann der Künstler uns durch nichts mehr schmeicheln, uns durch nichts mehr gefallen als wann er uns durch interessante Gegenstände in Wirksamkeit setzt. Jeder Mensch wird gestehen, dass die glücklichsten Tage seines Lebens diejenigen gewesen sind, wo seine Seele die größte Wirksamkeit geäußert hat.
Noch wichtiger werden interessante Gegenstände dadurch, dass sie überhaupt die innere Wirksamkeit des Geistes, die eigentlich den Wert des Menschen ausmacht, vermehren. Nicht die sanften, selig en, enthusiastischen Seelen, die nach dem ruhigen Genuß, innerer Wollust, wenn sie auch noch so himmlisch wäre, schmachten; sondern die lebhaften, tätigen, nach Wirksamkeit durstigen Menschen, sind das, wozu die Natur uns hat machen wollen. Also besteht der größte Wert des Menschen in einer nervenreichen, wirksamen Seele. So wie aber die Kräfte des stärksten Körpers durch Ruhe und Müßiggang erschlaffen, da ein Mensch von mittelmäßigen Leibeskräften, durch beständiges Arbeiten stark wird; so werden auch die Nerven der Seele durch bloßen Genuß gleichsam gelähmt. Dieses Einschlafen aber können die schönen Künste hindern, wenn sie uns durch interessante Gegenstände zur Wirksamkeit reizen. Dadurch allein leisten sie uns schon einen sehr wichtigen Dienst.
Auf das Vollkommenste aber erfüllet der Künstler die Pflichten seines Beruffs, wenn er die gereizten Kräfte der Seele zugleich vorteilhaft lenket; wenn er uns jederzeit für Recht und Tugend interessiert.
Hingegen handelt er auch verräterisch an dem Menschen, wenn er aus Mutwillen oder aus verkehrtem Herzen oder auch bloß aus Unverstand, den wirkenden Kräften eine schlechte Lenkung gibt. Dieses ist der Fehler den man mit Recht dem Moliere und noch anderen komischen Dichtern Schuld gibt, die nur gar zu oft die Zuschauer für die Bosheit oder für das Laster interessieren.
Wer andere rühren will, sagen die Kunstrichter, muss selbst gerührt sein: mit eben so viel Grund kann man sagen, dass der, welcher ein interessantes Werk machen will, eine wirksame intereßirte Seele haben müsse. Vergeblich würde man einem überall kaltsinnigen und bloß zum Betrachten aufgelegten oder einem bloß nach Genuß schmachtenden Menschen zurufen, er soll interessant sein. Er wird die Wirksamkeit unseres Herzens nicht rege machen, wo er nicht selbst mit Wärme Teil nimmt. Künstler denen eine liebliche Gegend und ein sanftwehender Zefir wichtigere Gegenstände sind als Beratschlagungen oder Unternehmungen, bei denen die wirkenden Kräfte ins Spiel kommen, können nicht sehr interessiren. Dazu gehört eine wirksame Seele, die gern selbst handelt und an anderer Handlung Anteil nimmt; die sich eine Angelegenheit daraus macht überall Ordnung zu bewirken und Unordnung zu hindern; die leicht Feuer fängt, wo sich die Gelegenheit zeigt, das Gute zu tun oder etwas Böses zu hintertreiben; die nicht nur ihre eigenen, sondern auch fremde Angelegenheiten fühlt oder der vielmehr Nichts, was andere Menschen angeht, fremd ist; die, wie Haller es edel ausdrückt, sich in jedem anderen findet. Mit einem Worte der Künstler der interessant sein soll, muss jede allgemei ne und besondere Angelegenheit der Menschen zum Hauptgegenstand seines beschäftigten Geistes gemacht haben. Dadurch kommt ihm selbst alles interessant vor und denn ist er im Stand auch uns in sein Interesse zu ziehen. Ein neuer Beweis, dass der große Künstler ein Philosoph und ein rechtschaffener Mann sein müsse.
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1 Es ist wohl gleichgültig, ob man Interessant oder Interessant schreibe. Die französische Sprache hat das e aus dem Lateinischen in diesem Worte beibehalten, die englische hat es verworfen.