Ionisch. (Baukunst) Die Ionier, welche sich ehemals in Kleinasien niedergelassen hatten, haben die besondere Art der Säulenordnung [s. Ordnung] erfunden, die noch jetzt den Namen von ihnen hat. Vitruvius [s. L. IV. c. 1] erzählt den Ursprung dieser Ordnung auf folgende Art. Die 13 griechischen Kolonien, die unter der allgemeinen Anführung des Jon, aus Griechenland ausgezogen waren und sich in Kleinasien niedergelassen hatten, bauten verschiedene Tempel, welche sie anfänglich nach dorischer Art aufführten, weil diese in ihrem ehemaligen Vaterlande gewöhnlich war. Als sie aber einige Zeit danach den Tempel der Diana zu Ephesus zu bauen sich entschlossen hatten, sannen sie auf andere und zierlichere Verhältnisse als die waren, die man an den dorischen Tempeln sah. Diese waren überhaupt nach den Verhältnissen der männlichen Gestalt eingerichtet, indem die Säule (ohne Fuß) mit dem Knauf oder Kapitel, sechsmal höher als die Dicke an dem untersten Ende des Stammes war; auch hatten so wohl die Säulen als die übrigen Teile der Ordnung wenig zierliches. Um also etwas Schöneres zu machen, gaben die Ionischen Baumeister den neuen Säulen nicht nur eine größere Höhe, indem sie dieselben (mit dem Fuß) achtmal höher machten als der Stamm dick war, sondern auch noch überdem den Knauf, nach Anleitung des weiblichen Kopfputzes, verzierten. Die Voluten oder Schnecken, an dem Knauf sollen nach Ähnlichkeit der, an beiden Schläfen damals üblichen, Haarlocken gemacht worden sein; die an der Kehleisten, dem Wulst und Stab des Knaufs angebrachten Verzierungen und Schnitzwerke aber, von den, an der Stirn geflochtenen und mit Schmuck verzierten Haaren. Diese Ordnung hat danach so viel Beifall gefunden, dass verschiedene Baumeister, die dorische für Tempel nicht mehr für schicklich gehalten haben [Vitruv. L. IV. c. 3].
In der Tat hat die Ionische Ordnung bei ihrer Einfalt große Schönheit und macht dem Geschmack der alten Ionier viel Ehre. Sie steht zwischen dem ernsthaften, etwas rohen, Wesen der Dorischen und dem Reichtum der Korinthischen in der Mitte. Sie unterscheidet sich hauptsächlich durch ihre, über den ganzen Knauff herunter hängende Schnecken und durch die edle Einfalt ihres Gebälkes, dessen Fries entweder ganz glatt oder mit Fruchtschnüren und Laubwerk verziert ist. Unter dem Kranz werden allgemein Zahnschnitte angebracht. Ehedem wurden die Schneken an zwei Seiten des Knaufs nach Art aufgewickelter Rollen gemacht; daher die vordere und hintere Seite des Knauffs ganz anders aussahen als die beiden anderen, über welche die Rolle herging. Die Neueren aber haben diese Voluten meistenteils verlassen und machen, wie schon einige Alten getan, die Platte des Knauffs ausgeschweifft [so findet man sie schon in dem Tempel der Eintracht in Rom]; unter jeder der vier Ecken dieser Platte lassen sie eine doppelte Schnecke wie eine Haarloke hervortreten und dadurch werden alle vier Seiten des Knaufs völlig gleich; die unten stehenden Figuren, werden diesen Unterschied deutlicher machen. Die erste stellt den Teil einer Ionischen Säule nach alter Art vor, wie sie von vorne zu sehen, die zweite eben dieselbe von der Seite und die dritte, wie sie jetzt gemacht wird. Nach dieser Art hat der Ionische Knauf vier gleiche Seiten.
Winkelmann sagt [Anmerkung über die Baukunst der Alten. S. 31 ], dass an den alten Ionischen Kapitälern die Voluten in gerader Horizontallinie stehen und zuweilen nur an den Ecksäulen, wie an dem Tempel des Erechthäus geschehen [auch an dem Temp. der Fortuna Virilis. S. Des-Go dets], herausgedreht worden: dass man in der letztern Zeit des Altertums angefangen habe, alle Voluten herauszudrehen, so wie allgemein in neueren Zeiten geschieht. Dieser berühmte Mann drückt sich hier etwas verworren aus; denn die gerade Horizontallinie sagt hier nichts. Vermutlich hat er sagen wollen, dass die beiden Voluten, an der vorderen oder hintern Seite des Kapitels in einer senkrechten Fläche gelegen haben. Dieses war eine natürliche Folge davon, dass das oberste Glied des Knaufs, das Vitruvius den Abacus, die Platte oder den Deckel des Knaufs nennt, ein eigentliches Viereck gewesen [s. die 5. Figur, die ein Fragment eines antiken Ionischen Gebälks vorstellt], da es nachher, wie jetzt noch immer geschieht, an allen Seiten etwas einwärts gebogen und gegen die vier Ecken ausgeschweift worden, welches auch eine Verdrehung der Voluten verursacht hat, wie in der dritten Figur zu sehen ist. Der Ionische Knauf der Alten war niedriger als man ihn jetzt macht, denn er hatte eigentlich keinen Hals und beinahe die Hälfte der Schnecken hing an dem Säulenstamm herunter. Gegenwärtig werden sie höher gemacht; aber auch schon in den späteren Gebäuden des Altertums, wie in den Bädern des Diokletianus sind sie höher als Vitruvius angibt. Der Ionische Säulenfuß hat wenig von der einfachen gefälligen Schönheit dieser Ordnung. Die vierte Figur stellt einen solchen Fuß vor, wie ihn ein englischer Baumeister in den Überbleibseln des Tempels der Minerva Polias zu Priene in Ionien gefunden hat [s. Ionian Antiquities published with permission of Dilttanti. London MDCCLXIX Kap. II. Tab. II]. Deswegen findet man auch schon bei griechischen Überbleibseln vielfältig den, nachher erfundenen, so genannten attischen Säulenfuß unter Ionischen Säulen [s. Attischer Säulenfuß], welcher ungleich besser mit der edlen Einfalt dieser Säulenordnung übereinkommt als der ursprüngliche Ionische Fuß.
Vergleiche ferner:
- Dorische, ionische, korinthische Säulenordnung (Hegel, Vorl. ü. d. Ästhetik)
- Die römische Konstruktion der Bogenwölbung (Hegel, Vorl. ü. d. Ästhetik)
- Die besonderen Formen des Tempelhauses (Hegel, Vorl. ü. d. Ästhetik)
- Der klassische Tempel als Ganzes (Hegel, Vorl. ü. d. Ästhetik)