Zur Erleichterung des Lebens
und um allen Wiederholungen wie auch Reklamationen künftig zu begegnen und um es den Wißbegierigen so bequem wie möglich zu machen, habe ich mich entschlossen, einen Normalbericht zusammenzustellen, in dem alle Nachträge zur Kaiserfeier und überhaupt alles Wissenswerte aus Kurorten und Sommerfrischen sowie auch schon die künftigen Brände der beliebtesten Alpenhotels ein für allemal berücksichtigt sind. Während also »Wien im Festkleid« erscheint und die durch besondern Schmuck hervorragenden Firmen sich vorteilhaft repräsentieren, übermittelt uns der Draht die traurige Nachricht, dass eine der schönsten und leuchtendsten Perlen aus dem reichen Kranze imposanter Hotelbauten, den unser herrliches Alpenland Tirol in den letzten Jahrzehnten der überquellenden Fülle seiner natürlichen Reize gesellt hat, ein Raub der Inseratenagenten geworden ist. Frau Lewinsky-Precheisen riß durch den Vortrag von Goethes Gott und die Bajadere die aus allen Weltteilen stammende Zuhörerschaft zu wiederholtem nicht endenwollenden Beifall hin. Unter den von der Katastrophe betroffenen Hotelgästen befand sich der Chef des Sicherheitsbureaus Regierungsrat Stukart, die meisten aber hielten sich im Walde auf, ja viele Personen verließen das Hotel zu Spaziergängen, als die Katastrophe schon eingetreten war. Während dort unbeschadet des internationalen Charakters das Wienertum sich von seiner schönsten Seite zeigte, indem es den Fremden die üppig erblühte Rubenspracht seiner Frauen wies, hielt die Festrede Oberrabbiner Akiba Schreiber. Direktor Bardy, seine Gattin und das gesamte Personal arbeiteten mit größter Aufopferung, um die Gäste, von welchen viele noch gar nicht aufgestanden waren, ins Freie zu bringen. Frau Sonja Schapira aus Baku trug einige Lieder mit künstlerischer Vollendung vor und wurde besonders der Umfang und die Kraft ihrer Stimme bewundert. Vierhundertsechzig Gäste kampierten rings um das Hotel. Man bemerkte unter anderen den Bankier Schoßberger aus Budapest. Die Effekten sind zum größten Teil verloren, und leider auch ein Verlust an Menschenleben nicht zu beklagen. Den Kaisertoast sprach der bekannte Wiener Hof- und Gerichtsadvokat Herzberg-Fränkel. Es ist sehr zu beklagen, dass im ganzen Hotel nicht ein einziger Hydrant oder Wassereimer vorhanden war. Die herrliche, starke und für eine Höhe von fast 1800 Metern doch milde Luft inmitten der Prächtigsten Nadelwälder und des großartigsten Hochgebirgspanoramas, sowie die internationale Gesellschaft, unter welcher Österreicher und Deutsche das Hauptkontingent bilden, trugen in gleicher Weise dazu bei, dass das Feuer rapid um sich griff und binnen kurzem sechs Häuser eingeäschert wurden. Fräulein Elsa Kulka aus Saaz und Herr Edgar Neugröschl aus Komorn hatten sich in liebenswürdigster Weise bereit erklärt, ein Gelegenheitsstück, das Paul Wilhelm zum Verfasser hat, aufzuführen. Es scheinen verbrecherische Anschläge vorzuliegen. Mit militärischer Hilfe wurde die Feier gelöscht. Das Feuer schloß mit einem animierten Tanzkränzchen. Auf Antrag des Herrn Angelo Ei—, dessen Name bei den Rettungsarbeiten verstümmelt wurde, wurde eine Huldigungsdepesche nach Ischl gesendet. Nähere Nachrichten fehlen zur Stunde, da die Telephonleitungen unterbrochen sind. Ein gegenwärtig noch unkontrollierbares Gerücht spricht davon, dass sich die Fassade des Zacherlhauses Wien, I. Brandstätte besonders vorteilhaft repräsentiert hat.
September, 1910.