Fanatismus
Studenten, die barfuß ins Kolleg gehen. Würzburg, 25. Juni. Die Studenten der hiesigen Universität beschlossen, nur noch barfuß oder in Holzsandalen in die Vorlesungen und auf die Straße zu gehen, um der Bevölkerung ein gutes Beispiel zu geben. Die Leiter verschiedener Unterrichtsanstalten haben diesen Beschluß den Schülern der oberen Klassen bekannt gegeben in der Erwartung, dass das Vorbild der Akademiker Nachahmung finden möge.
Das wäre uns auch erspart geblieben, wenn die deutschen Universitäten nicht so viel Ehrendoktorate hätten vergeben müssen. Aber seitdem der Sieger vom Skagerrak, dem die Bearbeitung von Goethes »Über allen Gipfeln ist Ruh'« für U-Boot-Zwecke so gut gefallen hat, und zwar unmittelbar darauf, Ehrendoktor der Philosophie in Marburg geworden ist, während der Rektor dieser Universität einem friedensfreundlichen Kollegen ein Verbot des Generalkommandos vorgelesen hat, bin ich mehr als je dagegen, dass — barfuß oder in Schuhen — ins Kolleg gegangen wird. Ich war es schon zu der Zeit, als es noch Leder gab, nämlich außer dem vom Katheder selbst gebotenen. Auf die zweite Möglichkeit, die es noch gibt, statt ins Kolleg zu gehen, zu Hause zu bleiben, verfällt man in Würzburg gar nicht. Man hüte sich, allzu optimistische Erwartungen an das Experiment zu knüpfen; beim herrschenden Ledermangel dürfte sich die Wirkung des herrschenden Seifenmangels kaum so wohltätig fühlbar machen, wie man in Würzburg zu glauben scheint. Es sei. Aber jetzt wird sichs endlich zeigen, ob die Beteuerung, mit der man uns seit Sedan täglich in den Ohren gelegen ist: »Es gibt keine Schweißfüße mehr!«, auf Wahrheit beruht. Eine Zeit wie die jetzige neigt zur Sektenbildung und wenn das gute Beispiel der Barfüßer von Würzburg durchdringt, wenn es nicht bloß ein akademisches Vorhaben bleibt, so wird der Mann der Tat, der, mit dem Ausruf: Ich hab's gewagt, als erster vorangegangen ist, und in dessen Fußstapfen dann alle andern treten mußten, als Pionier fortleben.
Oktober, 1917.