Zur Affäre des »Feldherrnhügels«


»Und wenn Karl Kraus in der nächsten 'Fackel' die Behörde von oben bis unten mit Salpetersäure begießt, so sind es die Begossenen zuerst, die darüber lachen.« So schreibt der Wiener Korrespondent der 'Frankfurter Zeitung' zur Affäre des »Feldherrnhügels«. Er ist über meine satirischen Absichten nicht genau informiert. Ich interessiere mich für die prinzipiellen Fragen der Geistesfreiheit erst in zweiter Linie; zunächst sehe ich, dass Herr Roda Roda, der die Militärlieferungen für Humor hat, seit mehreren Wochen im Mittelpunkt der österreichischen Debatte steht. Die schuldtragende Polizei war offenbar von der Absicht ausgegangen, die öffentliche Aufmerksamkeit von jenem seriöseren Oberleutnant abzulenken, der es heute ertragen muß, dass man die Gräber seiner Braut und seines Vaters öffnet. Es ist der Behörde nun zwar nicht gelungen, das gesuchte Cyankali auch nur in Hofrichters Vorleben zu finden, wohl aber hat sie Spuren von Humor in einem Werk des Herrn Roda Roda entdeckt, und durch eine Art geheimen Verfahrens, mit der sie den »Feldherrnhügel« unterdrückte, erreichte sie es glücklich, dass die allgemeine Teilnahme von dem Opfer der Militärjudikatur abließ, um sich auf das Martyrium eines Schnurrenlieferanten zu werfen. Hätten die Behörden Herrn Roda Roda um seiner selbst willen unterdrückt, so wäre allerdings Salpetersäure zu schwach. Aber nicht, weil sie die Gefahr der Schnurre überschätzt, sondern weil sie die Gefahr der Reklame unterschätzt hätten. Denn der österreichischen Bevölkerung geht der Fall Roda Roda wirklich nahe, dies Schicksal zerrt an den Nervensträngen, und die Vertreter des Schrifttums erheben sich — unter der bekannten Devise: es geht jeden an, auch den, den es garnichts angeht — wie ein Mann, um den gegen die Freiheit des dichterischen Schaffens geführten Schlag abzuwehren. Wollte die Behörde diesen Effekt, wollte sie ein wenig vom Fall Hofrichter ablenken, so hat sie eine ganz sinnvolle Schlechtigkeit verübt. Wollte sie es nicht, so hat sie eine Dummheit erster Güte begangen. Denn nun werden wir den Namen Roda Roda überhaupt nicht mehr los! Mußte man ehedem schon zu den Wölfen fliehen, um keine Anekdoten von der Militärgrenze lesen zu müssen, so ist jetzt Österreich vollends unwirtlich geworden. Kein Tag mehr, ohne dass wir von den Hoffnungen, Entwürfen, Enttäuschungen, Plänen, Protesten, Prozessen der Autoren des »Feldherrnhügels« in Zuschriften, Gutachten und Interviews unterrichtet werden, von ihrer Unbeugsamkeit im Kampf um das gestörte Tantiemenvergnügen, von ihrer Bereitschaft, die heiligsten Güter in Sicherheit zu bringen und lieber durchzufallen als zu weichen. Kein Tag, ohne dass von geballten Fäusten die Garantien eines geregelten Theatergeschäftes gefordert werden, just, als ob es die Reform des Militärstrafprozesses gelte. Vielleicht wollte die Behörde das. Aber dann möchte ich ihr doch raten, bei der Wahl ihrer Opfer künftig vorsichtiger zu sein. Es ist jammervoll, wie schlampig in Österreich bei der Vergebung eines Martyriums vorgegangen wird. Man sieht sich die Leute gar nicht an!

 

 

Nr. 294/295, XI. Jahr

31. Januar 1910.


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