XI.1. Unsere Erde ist für ihre lebendige Schöpfung eine eigengebildete Erde
Da der Ursprung der Menschengeschichte dem Philosophen sehr im dunkeln ist und schon in ihren ältesten Zeiten Sonderbarkeiten erscheinen, die der und jener mit seinem System nicht zu fügen wußte, so ist man auf den verzweifelnden Weg geraten, den Knoten zu zerschneiden und nicht nur die Erde als eine Trümmer voriger Bewohnung, sondern auch das Menschengeschlecht als einen überbliebenen, entkommenen Rest anzusehen, der, nachdem der Planet in einem andern Zustande, wie man sagt, seinen Jüngsten Tag erlebt hatte, etwa auf Bergen oder in Höhlen sich diesem allgemeinen Gericht entzogen habe. Seine Menschenvernunft, Kunst und Tradition sei ein geretteter Raub der untergegangenen Vorwelt155, daher er teils schon von Anfange her einen Glanz zeige, der sich auf Erfahrungen vieler Jahrtausende gründe, teils auch nie ins Licht gesetzt werden könne, weil durch diese überbliebene Menschen, wie durch einen Isthmus, sich die Kultur zweier Welten verwirre und binde. Ist diese Meinung wahr, so gibt es allerdings keine reine Philosophie der Menschengeschichte; denn unser Geschlecht selbst und alle seine Künste wären nur ausgeworfene Schlacken einer vorigen Weltverwüstung. Lasst uns sehen, was diese Hypothese, die aus der Erde selbst sowie aus ihrer Menschengeschichte ein unentwirrbares Chaos macht, für Grund habe.
In der Urbildung unserer Erde hat sie, wie mich dünkt, keinen; denn die ersten scheinbaren Verwüstungen und Revolutionen derselben setzen keine verlebte Menschengeschichte voraus, sondern gehören zu dem schaffenden Kreise selbst, durch welchen unsere Erde erst bewohnbar worden.156 Der alte Granit, der innere Kern unseres Planeten, zeigt, soweit wir ihn kennen, keine Spur von untergegangenen organischen Wesen, weder daß er solche in sich enthielte, noch daß seine Bestandteile dieselben voraussetzten. Wahrscheinlich ragte er in seinen höchsten Spitzen über die Wasser der Schöpfung empor, da sich auf denselben keine Spur einer Meerwirkung findet; auf diesen nackten Höhen aber konnte ein menschliches Geschöpf sowenig atmen als sich nähren. Die Luft, die diesen Klumpen umgab, war von Wasser und Feuer noch nicht gesondert; beschwängert mit den mancherlei Materien, die sich erst in vielfältigen Verbindungen und Perioden an die Grundlage der Erde setzten und ihr allgemach Form gaben, konnte sie dem feinsten Erdgeschöpf seinen Lebensatem sowenig erhalten als geben. Wo also zuerst lebendiges Gebilde entstand, war im Wasser; und es entstand mit der Gewalt einer schaffenden Urkraft, die noch nirgend anders wirken konnte und sich also zuerst in der unendlichen Menge von Schalentieren, dem einzigen, was in diesem schwangern Meer leben konnte, organisierte. Bei fortgehender Ausbildung der Erde fanden sie häufig ihren Untergang und ihre zerstörten Teile wurden die Grundlage zu feinern Organisationen. Je mehr der Urfels vom Wasser befreit und mit Absätzes desselben, d. i. der mit ihm verbundnen Elemente und Organisationen, befruchtet wurde, desto mehr eilte die Pflanzenschöpfung der Schöpfung des Wassers nach, und auf jedem entblößten Erdstrich vegetierte, was daselbst vegetieren konnte. Aber auch im Treibhause dieses Reichs konnte noch kein Erdentier leben. Auf Erdhöhen, auf denen jetzt lappländische Kräuter wachsen, findet man versteinte Gewächse des heißesten Erdstrichs: ein offenbares Zeugnis, daß der Dunst auf ihnen damals dies Klima gehabt habe. Geläutert indessen mußte diese Dunstluft schon in großem Grad sein, da sich so viele Massen aus ihr niedergesenkt hatten und die zarte Pflanze vom Licht lebt; daß aber bei diesen Pflanzenabdrücken sich noch nirgend Erdentiere, geschweige denn Menschengebeine finden, zeigt wahrscheinlich, daß solche auf der Erde damals noch nicht vorhanden gewesen, weil weder zu ihrem Gebilde der Stoff, noch zu ihrem Unterhalt Nahrung bereitet war. So geht's durch mancherlei Revolutionen fort, bis endlich in sehr obern Leim- oder Sandschichten erst die Elefanten- und Nashörnergerippe erscheinen; denn was man in tiefern Versteinerungen für Menschengebilde gehalten, ist alles zweifelhaft und von genauern Naturforschern für Gerippe von Seetieren erklärt worden. Auch auf der Erde fing die Natur mit Bildungen des wärmsten Klima und, wie es scheint, der ungeheuersten Massen an, eben wie sie im Meer mit gepanzerten Schaltieren und großen Ammonshörnern anfing; wenigstens haben sich bei den so zahlreichen Gerippen der Elefanten, die spät zusammengeschwemmt sind und sich hie und da bis auf die Haut erhalten haben, zwar Schlangen, Seetiere u. dgl., nie aber Menschenkörper gefunden. Ja, wenn sie auch gefunden wären, sind sie ohnstreitig von einem sehr neuern Datum gegen die alten Gebirge, in denen nichts von dieser Art Lebendigem vorkommt. So spricht das älteste Buch der Erde mit seinen Ton-, Schiefer-, Marmor-, Kalk- und Sandblättern, und was spräche es hiemit für eine Umschaffung der Erde, die ein Menschengeschlecht überlebt hätte, dessen Reste wir wären? Vielmehr ist alles, was sie redet, da für, daß unsere Erde aus ihrem Chaos von Materien und Kräften unter der belebenden Wärme des schaffenden Geistes sich zu einem eignen und ursprünglichen Ganzen durch eine Reihe zubereitender Revolutionen gebildet habe, bis auch zuletzt die Krone ihrer Schöpfung, das feine und zarte Menschengeschöpf, erscheinen konnte. Die Systeme also, die von zehnfacher Veränderung der Weltgegenden und Pole, von hundertfältiger Umstürzung eines bewohnten und kultivierten Bodens, von Vertreibungen der Menschen aus Gegend in Gegend oder von ihren Grabmälern unter Felsen und Meeren reden und in der ganzen ältesten Geschichte nur Graus und Entsetzen schildern, sie sind, trotz aller unleugbaren Revolutionen der Erde, dem Bau derselben entgegen oder von ihm wenigstens unbegründet. Die Risse und Gänge im alten Gestein oder seine zusammengefallenen Wände sagen nichts von einer vor unserer Erde bewohnten Erde; ja, wenn auch die alte Masse durch ein solches Schicksal zusammengeschmolzen wäre, so blieb gewiß kein lebendiger Rest der Urwelt für uns übrig. Die Erde sowohl als die Geschichte ihrer Lebendigen, wie sie jetzt ist, bleibt also für den Forscher ein reines ganzes Problem zur Auflösung. Einem solchen treten wir näher und fragen: