IX.2. Das sonderbare Mittel zur Bildung der Menschen ist Sprache
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Im Menschen, ja selbst im Affen, findet sich ein sonderbarer Trieb der Nachahmung, der keinesweges die Folge einer vernünftigen Überlegung, sondern ein unmittelbares Erzeugnis der organischen Sympathie scheint. Wie eine Saite der andern zutönt und mit der reinern Dichtigkeit und Homogeneität aller Körper auch ihre vibrierende Fähigkeit zunimmt, so ist die menschliche Organisation, als die feinste von allen, notwendig auch am meisten dazu gestimmt, den Klang aller andern Wesen nachzuhallen und in sich zu fühlen. Die Geschichte der Krankheiten zeigt, daß nicht nur Affekten und körperliche Wunden, daß selbst der Wahnsinn sich sympathetisch fortbreiten konnte.
Bei Kindern sehen wir also die Wirkungen dieses Consensus gleichgestimmter Wesen im hohen Grade; ja eben auch dazu sollte ihr Körper lange Jahre ein leicht zurücktönendes Saitenspiel bleiben. Handlungen und Gebärden, selbst Leidenschaften und Gedanken gehen unvermerkt in sie über, so daß sie auch zu dem, was sie noch nicht üben können, wenigstens gestimmt werden und einem Triebe, der eine Art geistiger Assimilation ist, unwissend folgen. Bei allen Söhnen der Natur, den wilden Völkern, ist's nicht anders. Geborne Pantomimen, ahmen sie alles, was ihnen erzählt wird oder was sie ausdrücken wollen, lebhaft nach und zeigen damit in Tänzen, Spielen, Scherz und Gesprächen ihre eigentliche Denkart. Nachahmend nämlich kam ihre Phantasie zu diesen Bildern; in Typen solcher Art besteht der Schatz ihres Gedächtnisses und ihrer Sprache; daher gehen auch ihre Gedanken so leicht in Handlung und lebendige Tradition über.
Durch alle diese Mimik indessen wäre der Mensch noch nicht zu seinem künstlichen Geschlechtscharakter, der Vernunft, gekommen; zu ihr kommt er allein durch Sprache. Lasst uns bei diesem Wunder einer göttlichen Einsetzung verweilen; es ist außer der Genesis lebendiger Wesen vielleicht das größeste der Erdeschöpfung.
Wenn uns jemand ein Rätsel vorlegte, wie Bilder des Auges und alle Empfindungen unserer verschiedensten Sinne nicht nur in Töne gefaßt, sondern auch diesen Tönen mit inwohnender Kraft so mitgeteilt werden sollen, daß sie Gedanken ausdrücken und Gedanken erregen, ohne Zweifel hielte man dies Problem für den Einfall eines Wahnsinnigen, der, höchst ungleiche Dinge einander substituierend, die Farbe zum Ton, den Ton zum Gedanken, den Gedanken zum malenden Schall zu machen gedächte. Die Gottheit hat das Problem tätig aufgelöst. Ein Hauch unseres Mundes wird das Gemälde der Welt, der Typus unserer Gedanken und Gefühle in des andern Seele. Von einem bewegten Lüftchen hangt alles ab, was Menschen je auf der Erde Menschliches dachten, wollten, taten und tun werden; denn alle liefen wir noch in Wäldern umher, wenn nicht dieser göttliche Odem uns angehaucht hätte und wie ein Zauberton auf unsern Lippen schwebte. Die ganze Geschichte der Menschheit also mit allen Schätzen ihrer Tradition und Kultur ist nichts als eine Folge dieses aufgelösten göttlichen Rätsels. Was uns dasselbe noch sonderbarer macht, ist, daß wir selbst nach seiner Auflösung bei täglichem Gebrauch der Rede nicht einmal den Zusammenhang der Werkzeuge dazu begreifen. Gehör und Sprache hangen zusammen; denn bei den Abartungen der Geschöpfe verändern sich ihre Organe offenbar miteinander. Auch sehen wir, daß zu ihrem Consensus der ganze Körper eingerichtet worden; die innere Art der Zusammenwirkung aber begreifen wir nicht. Daß alle Affekten, insonderheit Schmerz und Freude, Töne werden, daß, was unser Ohr hört, auch die Zunge regt, daß Bilder und Empfindungen geistige Merkmale, daß diese Merkmale bedeutende, ja bewegende Sprache sein können - das alles ist ein Concent so vieler Anlagen, ein freiwilliger Bund gleichsam, den der Schöpfer zwischen den verschiedensten Sinnen und Trieben, Kräften und Gliedern seines Geschöpfs ebenso wunderbar hat errichten wollen, als er Leib und Seele zusammenfügte.
Wie sonderbar, daß ein bewegter Lufthauch das einzige wenigstens das beste Mittel unserer Gedanken und Empfindungen sein sollte! Ohne sein unbegreifliches Band mit allen ihm so ungleichen Handlungen unserer Seele wären diese Handlungen ungeschehen, die feinen Zubereitungen unseres Gehirns müßig, die ganze Anlage unseres Wesens unvollendet geblieben, wie die Beispiele der Menschen, die unter die Tiere gerieten, zeigen. Die Taub- und Stummgebornen, ob sie gleich jahrelang in einer Welt von Gebärden und andern Ideenzeichen lebten, betrugen sich dennoch nur wie Kinder oder wie menschliche Tiere. Nach der Analogie dessen, was sie sahen und nicht verstanden, handelten sie; einer eigentlichen Vernunftverbindung waren sie durch allen Reichtum des Gesichts nicht fähig worden. Ein Volk hat keine Idee, zu der es kein Wort hat; die lebhafteste Anschauung bleibt dunkles Gefühl, bis die Seele ein Merkmal findet und es durchs Wort dem Gedächtnis, der Rückerinnerung, dem Verstande, ja endlich dem Verstande der Menschen, der Tradition, einverleibt; eine reine Vernunft ohne Sprache ist auf Erden ein utopisches Land. Mit den Leidenschaften des Herzens, mit allen Neigungen der Gesellschaft ist es nicht anders. Nur die Sprache hat den Menschen menschlich gemacht, indem sie die ungeheure Flut seiner Affekten in Dämme einschloß und ihr durch Worte vernünftige Denkmale setzte. Nicht die Leier Amphions hat Städte errichtet, keine Zauberrute hat Wüsten in Gärten verwandelt: die Sprache hat es getan, sie, die große Gesellerin der Menschen. Durch sie vereinigten sie sich, bewillkommend einander, und schlossen den Bund der Liebe. Gesetze stiftete sie und verband Geschlechter; nur durch sie wurde eine Geschichte der Menschheit in herabgeerbten Formen des Herzens und der Seele möglich. Noch jetzt sehe ich die Helden Homers und fühle Ossians Klagen, obgleich die Schatten der Sänger und ihrer Helden so lange der Erde entflohn sind. Ein bewegter Hauch des Mundes hat sie unsterblich gemacht und bringt ihre Gestalten vor mich; die Stimme der Verstorbenen ist in meinem Ohr; ich höre ihre längstverstummten Gedanken. Was je der Geist der Menschen aussann, was die Weisen der Vorzeit dachten, kommt, wenn es mir die Vorsehung gegönnt hat, allein durch Sprache zu mir. Durch sie ist meine denkende Seele an die Seele des ersten und vielleicht des letzten denkenden Menschen geknüpft: kurz, Sprache ist der Charakter unserer Vernunft, durch welchen sie allein Gestalt gewinnt und sich fortpflanzt.
Indessen zeigt eine kleine nähere Ansicht, wie unvollkommen dies Mittel unserer Bildung sei, nicht nur als Werkzeug der Vernunft, sondern auch als Band zwischen Menschen und Menschen betrachtet, so daß man sich beinah kein unwesenhafteres, leichteres, flüchtigeres Gewebe denken kann, als womit der Schöpfer unser Geschlecht verknüpfen wollte.
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