VI.4. Organisation der afrikanischen Völker
Billig müssen wir, wenn wir zum Lande der Schwarzen übergehn, unsere stolzen Vorurteile verleugnen und die Organisation ihres Erdstrichs so unparteiisch betrachten, als ob sie die einzige in der Welt wäre. Mit eben dem Recht, mit dem wir den Neger für einen verfluchten Sohn Chams und für ein Ebenbild des Unholds halten, kann er seine grausame Räuber für Albinos und weiße Satane erklären, die nur aus Schwachheit der Natur so entartet sind, wie, dem Nordpol nahe, mehrere Tiere in Weiß ausarten. »Ich«, könnte er sagen, »ich, der Schwarze, bin Urmensch. Mich hat der Quell des Lebens, die Sonne, am stärksten getränkt, bei mir und überall um mich her hat er am lebendigsten, am tiefsten gewirkt. Seht mein gold-, mein fruchtreiches Land, meine himmelhohen Bäume, meine kräftigen Tiere! Alle Elemente wimmeln bei mir von Leben, und ich wurde der Mittelpunkt dieser Lebenswirkung.« So könnte der Neger sagen, und wir wollen also mit Bescheidenheit auf sein ihm eigentümliches Erdreich treten.
Sogleich beim Isthmus stößet uns eine sonderbare Nation auf, die Ägypter. Groß, stark, fett von Leibe (mit welcher Fettigkeit sie der Nil segnen soll), dabei von grobem Knochengebilde und gelbbraun; indessen sind sie gesund und fruchtbar, leben lange und sind mäßig. Jetzt faul, einst waren sie arbeitsam und fleißig; offenbar hat auch ein Volk von diesen Knochen und dieser Bildung62) dazu gehört, daß alle die gepriesnen Künste und Anstalten der alten Ägypter zustande kommen konnten. Eine feinere Nation hätte sich dazu schwerlich bequemt.
Die Einwohner Nubiens und der weiter hinauf liegenden innern Gegenden von Afrika kennen wir noch wenig; wenn indessen den vorläufigen Nachrichten Bruce63) zu trauen ist, so wohnen auf dieser ganzen Erdhöhe keine Negergeschlechter, die er nur den östund westlichen Küsten dieses Welt teils als den niedrigsten und heißesten Gegenden zueignet. Selbst unter dem Äquator, sagt er, gebe es auf dieser sehr gemäßigten und regenhaften Erdhöhe nur weiße oder gelbbraune Menschen. So merkwürdig dieses Faktum wäre, den Ursprung der Negerschwärze zu erklären, so zeigt, woran uns beinahe noch mehr gelegen ist, auch die Form der Nationen dieser Gegenden eine allmähliche Fortrückung zur Negerbildung. Wir wissen, daß die Abessinier ursprünglich arabischer Herkunft sind und beide Reiche auch oft und lange verbunden gewesen; indessen, wenn wir nach den Bildnissen derselben bei Ludolf64) u. a. urteilen dörfen, welche härtere Gesichtszüge erscheinen hier als in der arabischen und weitern asiatischen Gestalt! Sie nähert sich der Negerform, obwohl noch von fern, und die großen Abwechselungen des Landes an hohen Bergen und den angenehmsten Ebnen, die Abwechselungen des Klima mit Sturmwinden, Hitze, Kälte und der schönsten Zeit nebst noch einer Reihe anderer Ursachen scheinen diese hart zusammengesetzten Züge zu erklären. In einem verschiednen Weltteil mußte sich auch eine verschiedne Menschengestalt erzeugen, deren Charakter viel sinnliche Lebenskraft, eine große Dauer, aber auch ein Übergang zum Äußersten in der Bildung, welches allemal tierisch ist, zu sein scheint. Die Kultur und Regierungsform der Abessinier ist ihrer Gestalt sowohl als der Beschaffenheit ihres Landes gemäß ein rohes Gemisch von Christen- und Heidentum, von freier Sorglosigkeit und von barbarischem Despotismus.
Auf der andern Seite von Afrika kennen wir die Berbers oder Brebers gleichergestalt zu wenig, um von ihnen urteilen zu können. Ihr Aufenthalt auf den Atlas-Gebirgen und ihre harte, muntre Lebensweise hat ihnen die wohlgewachsne, leichte und hortige Gestalt erhalten, die sie auch von den Arabern unterscheidet65) Sie sind also noch nichts minder als ein Volk von Negerbildung, sowenig es die Mauren sind; denn diese letzten sind mit andern Völkern vermischte arabische Geschlechter. Ein schönes Volk, sagt ein neuer Beobachter66), von feinen Gesichtszügen, länglich runden Gesichten, schönen großen feurigen Augen, länglichten und nicht breiten, nicht platten Nasen, von schönem, etwas in Locken fallenden, schwarzen Haar. Also auch mitten in Afrika eine asiatische Bildung.
Vom Gambia und Senegastrom fangen eigentlich die Negergeschlechter an, doch auch hier noch mit allmählichen Übergängen67). Die Jalofer oder Wulufs haben noch nicht die platten Nasen und dicken Lippen der gemeinen Negers; sie sowohl als die kleinern, behendern Fulis, die nach einigen Beschreibungen in Freude, Tanz und in der glücklichsten Ordnung leben, sind in ihrem schönen Gliederbau, in ihrem schlichten, nur wenig wollichten Haar, in ihren offnen länglichen Gesichtern noch Bilder der Schönheit gegen jene Mandigoer und die weiter hinab wohnenden Negervölker. Jenseit des Senega also fangen erst die dicken Lippen und platten Nasen der Negergestalt an, die sich mit noch ungezählten Varietäten kleiner Völkerschaften über Guinea, Loango, Kongo, Angola tief hinab verbreiten. Auf Kongo und Angola z. E. fällt die Schwärze in die Olivenfarbe; das krause Haar wird rötlich; die Augäpfel werden grün; das Aufgeworfne der Lippen mindert sich, und die Statur wird kleiner. An der gegenseitigen Küste Zanguebar findet sich ebendiese Olivenfarbe, nur bei einer größern Gestalt und regelmäßigern Bildung, wieder. Die Hottentotten und Kaffern endlich sind Rückgänge der Negerin eine andere Bildung. Die Nase jener fängt an, etwas von der gequetschten Plattigkeit, die Lippe von ihrer geschwollnen Dicke zu verlieren; das Haar ist die Mitte zwischen der Wolle der Neger und dem Haar anderer Völker; ihre Farbe ist gelbbraun, ihr Wuchs wie der der meisten Europäer, nur mit kleineren Händen und Füßen.68) Kennten wir nun noch die zahlreichen Völkerschaften, die über ihren dürren Gegenden im Innersten von Afrika bis nach Abessinien hinauf wohnen und bei welchen, nach manchen Anzeigen an den Grenzen, Fruchtbarkeit des Landes, Schönheit, Stärke, Kultur und Kunst zunehmen sollen, so könnten wir die Schattierungen des Völkergemäldes in diesem großen Weltteil vollenden und würden vielleicht nirgend eine Lücke finden.
Aber wie arm sind wir überhaupt an geltenden Nachrichten aus diesem Strich der Erde! Kaum die Küsten des Landes kennen wir, und auch diese oft nicht weiter, als die europäischen Kanonen reichen. Das Innere von Afrika hat von neuern Europäern niemand durchreist, wie es doch die arabischen Karawanen so oft tun69); was wir von ihm wissen, sind Sagen aus dem Munde der Schwarzen oder ziemlich alte Nachrichten einiger glücklichen oder unglücklichen Abenteurer.70) - Zudem scheint auch bei den Nationen, die wir schon kennen könnten, das Auge der Europäer viel zu tyrannisch-sorglos zu sein, um bei schwarzen elenden Sklaven Unterschiede der Nationalbildung ausforschen zu wollen. Man betrachtet sie wie Vieh und bemerkt sie im Kauf nur nach den Zähnen. Ein Herrnhutischer Missionarius71) hat aus einem andern Weltteil her uns sorgfältigere Unterscheidungen von Völkerschaften der Neger gegeben als so manche afrikanische Reisende, die an die Küste streiften. Welch ein Glück wäre es für Natur- und Menschenkunde, wenn eine Gesellschaft Menschen von Forsters Geist, von Sparrmanns Geduld und von den Kenntnissen beider dies unentdeckte Land durchzögen! Die Nachrichten, die man von den menschenfresserischen Jagas und Anziken gibt, sind gewiß übertrieben, wenn man sie auf alle Völker des innern Afrika verbreitet. Die Jagas scheinen eine verbündete Räubernation, gleichsam ein künstliches Volk zu sein, das als ein Gemenge und Auswurf mehrerer Völker Freibeuter auf dem festen Lande macht und zu dem Ende in rohen grausamen Gewohnheiten lebt.72) Die Anziken sind Gebirgsvölker, vielleicht die Mogolen und Kalmucken dieser Gegend; wie manche glückliche und ruhige Nation aber mag am Fuß der MondGebirge wohnen! Europa ist nicht wert, ihr Glück zu sehen, da es sich an diesem Weltteil unverzeihlich versündigt hat und noch immer versündigt. Die ruhig handelnden Araber durchziehen das Land und haben weit umher Kolonien gepflanzt.