X.4. Asiatische Traditionen über die Schöpfung der Erde und den Ursprung des Menschengeschlechtes


Aber wo fangen wir in diesem wüsten Walde an, in dem soviel trügerische Stimmen und Irrlichte hie- und dahin locken und fahren? Ich habe nicht Lust zu der Bibliothek von Träumen, die über diesen Punkt das Menschengedächtnis drückt, nur eine Silbe hinzuzutun und unterscheide also, soviel ich kann, die Mutmaßung der Völker oder die Hypothesen ihrer Weisen von Tatsachen der Tradition sowie bei dieser die Grade ihrer Gewißheit und ihre Zeiten. Das letzte Volk Asiens, das sich des höchsten Altertums rühmt, die Sineser, haben nichts historisch Gewisses, das über das 722. Jahr vor unserer Zeitrechnung hinausginge. Die Reiche des Fohi und Hoangti sind Mythologie, und was vor Fohi hergeht, das Zeitalter der Geister oder der personifizierten Elemente, wird von den Sinesen selbst als dichtende Allegorie betrachtet. Ihr ältestes Buch166, das 176 Jahr vor Christi Geburt wiedergefunden oder vielmehr aus zwei, dem Bücherbrande entronnenen Exemplaren ergänzt wurde, enthält weder Kosmogonie noch der Nation Anfang Yao regiert schon in demselben mit den Bergen seines Reichs, den Großen; nur einen Befehl kostet es ihm, so werden Gestirne beobachtet, Wasser abgeleitet, Zeiten geordnet; Opfer und Geschäfte sind alle schon in festgestellter Ordnung. Es bliebe uns also nur die sinesische Metaphysik des großen ersten Y übrig167, wie aus 1 und 2 die 4 und 8 entstanden, wie nach Eröffnung des Himmels Puanku und die drei Hoangs als Wundergestalten regiert haben, bis erst mit dem ersten Stifter der Gesetze Gin-Hoang, der auf dem Berge Hingma geboren war und Erd und Wasser in 9 Teile teilte, die menschlichere Geschichte anfinge. Und dennoch geht die Mythologie dieser Art noch viele Geschlechter hinunter, so daß vom Ursprünglichen wohl nichts auf sie zu gründen wäre, als etwa daß sie den Wohnsitz dieser Könige und ihrer Wundergestalten auf die hohen asiatischen Berge setzt, die für heilig gehalten und mit der ganzen ältesten Fabelsage beehrt wurden. Ein großer Berg mitten auf der Erde ist ihnen selbst in den Namen dieser alten Fabelwesen, die sie Könige nennen, sehr gefeiert.

Steigen wir nach Tibet hinauf, so finden wir die Lagerung der Erde rings um einen höchsten Berg in der Mitte noch ausgezeichneter, da sich die ganze Mythologie dieses geistlichen Reichs darauf gründet. Fürchterlich beschreiben sie seine Höhe und Umfang; Ungeheuer und Riesen sind Wächter an seinem Rande, sieben Meere und sieben Goldberge rings um ihn her. Auf seinem Gipfel wohnen die Lahen und in verschiednen niedrigern Stufen andere Wesen. Durch Aeonen von Weltaltern sanken jene Beschauer des Himmels immer in gröbere Körper, endlich in die Menschengestalt, in der ein häßliches Affenpaar ihre Eltern waren; auch der Ursprung der Tiere wird aus herabgestoßenen Lahen erklärt.168 Eine harte Mythologie, die die Welt bergab in die Meere baut, diese mit Ungeheuern umpflanzt und das ganze System der Wesen zuletzt einem Ungeheuer, der ewigen Notwendigkeit, in den Rachen gibt. Auch diese entehrende Tradition indessen, die den Menschen vom Affen herleitet, ist mit spätern Ausbildungen so verwebt, daß viel dazu gehörte, sie als eine reine Ursage der Vorwelt zu betrachten.

Schätzbar wäre es, wenn wir vom alten Volk der Hindus ihre älteste Tradition besäßen. Außerdem aber, daß die erste Sekte des Brahma von den Anhängern Wischnu und Schiwens längst vertilgt ist, haben wir an dem, was Europäer von ihren Geheimnissen bisher erfuhren, offenbar nur junge Sagen, die entweder Mythologie für das Volk oder auslegende Lehrgebäude ihrer Weisen sind. Auch nach Provinzen gehen sie märchenhaft auseinander, so daß wir, wie auf die eigentliche Sanskritsprache, so auch auf den wahren Wedam der Indier wahrscheinlich noch lange zu warten und dennoch auch in ihm von ihrer ältesten Tradition wenig zu erwarten haben, da sie den ersten Teil desselben selbst für verloren achten. Indessen blicht auch durch manches spätere Märchen ein Goldkorn historischer Ursage hervor. Der Ganges z. B. ist in ganz Indien heilig und fließt unmittelbar von den heiligen Bergen, den Füßen des Weltschöpfers Brahma. In der achten Verwandlung erschien Wischnu als Prassarama: noch bedeckte das Wasser alles Land bis zum Gebirge Gate; er bat den Gott des Meers, daß er ihm Raum verschaffen und das Meer zurückziehen machte, so weit, wenn er schösse, sein Pfeil reichte. Der Gott versprach und Prassarama schoß; wie weit der Pfeil flog, wurde das Land trocken, die malabarische Küste. Offenbar sagt uns, wie auch Sonnerat anmerkt, die Erzählung, daß das Meer einst bis zum Berge Gate gestanden habe und die malabarische Küste jüngeres Land sei. Andere Sagen indischer Völker erzählen den Ursprung der Erde aus dem Wasser auf andere Weise. Whistnu schwamm auf einem Blatt; der erste Mensch entsprang aus ihm als eine Blume. Auf der Oberfläche der Wasserwogen schwamm ein Ei, das Brahma zur Reife brachte, aus dessen Häuten die Luft und der Himmel wurde, wie aus seinem Inhalt Geschöpfe, Tiere und Menschen. Doch man muß diese Sagen im Märchenton der kindlichen Indier selbst lesen.169

Das System Zoroasters170 ist offenbar schon ein philosophisches Lehrgebäude, das, wenn es auch mit den Sagen anderer Sekten nicht vermischt wäre, dennoch schwerlich für eine Urtradition gelten könnte; Spuren von dieser indes sind allerdings in ihm kennbar. Der große Berg Albordj in Mitte der Erde erscheint wieder und streckt sich mit seinen NebenGebirgen rings um sie. Um ihn geht die Sonne; von ihm rinnen die Ströme, Meere und Länder sind von ihm aus verteilt. Die Gestalten der Dinge existierten zuerst in Urbildern, in Keimen, und wie alle Mythologien des höhern Asiens an Ungeheuern der Urwelt reich sind, so hat auch diese den großen Stier Kayamorts, aus dessen Leichnam alle Geschöpfe der Erde wurden. Oben auf diesem Berge ist, wie dort auf dem Berge der Lahen, das Paradies, der Sitz der seligen Geister und verklärten Menschen, sowie der Urquell der Ströme, das Wasser des Lebens. Übrigens ist das Licht, das die Finsternis scheidet, sie zertrennet und überwindet, das die Erde fruchtbar macht und alle Geschöpfe beseligt, offenbar der erste physische Grund des ganzen Lichtsystems der Parsen, welche eine Idee sie auf gottesdienstliche, moralische und politische Weise tausendfach anwandten.

Je tiefer wir westlich den Berg Asiens hinunterwandern, desto kürzer werden die Zeitalter der Sagen der Urwelt. Man sieht ihnen allen schon eine spätere Abkunft, die Anwendung fremder Traditionen aus höheren Erdstrichen auf niedrigere Länder an. In Lokalbestimmungen werden sie immer unpassender, dafür aber gewinnen sie im System selbst an Ründe und Klarheit, weil sich nur hie und da noch ein Bruchstück der alten Fabel, und auch dies überall in einem neuern Nationalgewande, zeigt. Ich wundre mich daher, wie man auf der einen Seite den Sanchoniathon ganz zu einem Betrüger und auf der andern zum ersten Propheten der Urwelt habe machen können, da ihm zu dieser schon die physische Lage seines Landes den Zugang versagte. Daß der Anfang dieses Alls eine finstre Luft, ein dunkles trübes Chaos gewesen, daß dieses grenzen- und gestaltlos von unendlichen Zeiten her im wüsten Raum geschwebt, bis der webende Geist mit seinen eignen Prinzipien in Liebe verfiel und aus ihrer Vermischung ein Anfang der Schöpfung wurde - diese Mythologie ist eine so alte und den verschiedensten Völkern gemeine Vorstellungsart gewesen, daß dem Phönicier hiebei wenig zu erdichten übrigblieb. Beinahe jedes Volk Asiens, die Ägypter und Griechen mit eingeschlossen, erzählte die Tradition vom Chaos oder vom bebrüteten Ei auf seine Weise; warum konnten sich nicht also auch in einem phönicischen Tempel geschriebene Traditionen dieser Art finden? Daß die ersten Samen der Geschöpfe in einem Schlamm gelegen und die ersten mit Verstand begabten Wesen eine Art Wundergestalten, Spiegel des Himmels (Zophasemim) gewesen, die nachher, durch den Knall des Donners erweckt, aufwachten und die mancherlei Geschöpfe aus ihrer Wundergestalt hervorbrachten, ist ebenfalls eine weitherrschende, hier nur verkürzte Sage, die mit andern Ausbildungen über die medischen und tibetanischen Gebirge bis nach Indien und Sina hinauf und bis nach Phrygien und Thracien hinab reicht; denn noch in der hesiodischen und orphischen Mythologie finden sich von ihr Reste. Wenn man nun aber vom Winde Kolpias, d. i. der Stimme des Hauches Gottes, und seinem Weibe, der Nacht, von ihren Söhnen, dem Erstgebornen und dem Aeon, von ihren Enkeln, Geschlecht und Gattung, von ihren Urenkeln, Licht, Feuer und Flamme, von ihren Ur-Urenkeln, den Bergen Cassius, Libanus, Antilibanus u. f. lange Genealogien liest und diesen allegorischen Namen die Erfindungen des Menschengeschlechts zugeschrieben findet, so gehört ein geduldiges Vorurteil dazu, in dieser mißverstandnen Verwirrung alter Sagen, die der Zusammensetzer wahrscheinlich als Namen vor sich fand und aus denen er Personen machte, eine Philosophie der Welt und eine älteste Menschengeschichte zu finden.

Tiefer hinab ins schwarze Ägypten wollen wir uns um Traditionen der Urwelt nicht bemühen. In den Namen ihrer ältesten Götter sind unleugbare Reste einer schwesterlichen Tradition mit den Phöniciern; denn die alte Nacht, der Geist, der Weltschöpfer, der Schlamm, worin die Samen der Dinge lagen, kommen hier wieder. Da aber alles, was wir von der ältesten Mythologie Ägyptens wissen, spät, ungewiß und dunkel, überdem jede mythologische Vorstellungsart dieses Landes ganz klimatisiert ist, so gehört es nicht zu unserm Zweck, unter diesen Götzengestalten oder weiterhin in den Negermärchen nach Sagen der Urwelt zu graben, die zu einer Philosophie der ältesten Menschengeschichte den Grund gäben.

Auch historisch also bleibt uns auf der weiten Erde nichts als die schriftliche Tradition übrig, die wir die mosaische zu nennen pflegen. Ohn alles Vorurteil, also auch ohne die mindeste Meinung darüber, welches Ursprungs sie sei, wissen wir, daß sie über 3000 Jahr alt und überhaupt das älteste Buch sei, das unser junges Menschengeschlecht aufweist. Ihr Anblick soll es uns sagen, was diese kurzen, einfältigen Blätter sein wollen und können, indem wir sie nicht als Geschichte, sondern als Tradition oder als eine alte Philosophie der Menschengeschichte ansehn, die ich deswegen auch sogleich von ihrem morgenländischen poetischen Schmuck entkleide.


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