c. Bekleidung
γγ) Einen ganz anderen Gesichtspunkt nun aber müssen wir aufstellen, wenn es sich fragt, ob die moderne, überhaupt jede andere als die antike Kleidung in allen Fällen durchaus solle verworfen werden. Diese Frage gewinnt besonders bei Porträtstatuen an Wichtigkeit, und wir wollen sie, da ihr Hauptinteresse ein Prinzip für die Gegenwart der Kunst berührt, hier etwas ausführlicher behandeln.
Wenn in unseren Tagen das Porträt eines seiner Zeit noch angehörigen Individuums gemacht werden soll so gehört dazu notwendig, daß auch die Bekleidung und äußere Umgebung aus dieser selbst individuellen Wirklichkeit genommen sei, denn eben weil es eine wirkliche Person ist, die hier den Gegenstand des Kunstwerks abgibt, wird gerade auch dies Äußerliche, wozu wesentlich die Kleidung gehört, in seiner Wirklichkeit und Treue das Notwendigste. Hauptsächlich ist dieser Forderung Folge zu leisten, wenn es darauf ankommt, bestimmte Charaktere, die in irgendeiner besonderen Sphäre groß und wirksam gewesen sind, ihrer Individualität nach vor Augen zu stellen. In einem Gemälde oder in Marmor erscheint das Individuum für die unmittelbare Anschauung in körperlicher Weise, d. h. in der Bedingtheit des Äußeren, und das Porträt über diese Bedingtheit hinausheben zu wollen wäre um so widersprechender, als das Individuum sodann etwas schlechthin in sich selbst Unwahres an ihm hätte, indem das Verdienst, das Eigentümliche und Ausgezeichnete wirklicher Menschen eben in ihrer Tätigkeit auf das Wirkliche, in ihrem Leben und Wirken in bestimmten Berufskreisen besteht. Soll uns diese individuelle Tätigkeit anschaulich werden, so muß die Umgebung nicht heterogen und störend sein. Ein berühmter General z. B. hat in Ansehung der unmittelbaren Umgebung unter Kanonen, Flinten, Pulverdampf als General existiert, und wenn wir ihn uns in seiner Tätigkeit vorstellen wollen, so denken wir daran, wie er seinen Adjutanten Order austeilt, Schlachtlinien ordnet, den Feind angreife usf. Und näher ist solch ein General nicht General überhaupt, sondern zeichnet sich besonders in einer bestimmten Waffengattung aus; er ist etwa Anführer der Infanterie oder ein tüchtiger Husar und dergleichen mehr. Zu diesem allen gehört nun auch seine eigentümliche, ebendiesen Umständen anpassende Kleidung. Ferner ist ein berühmter General - ein berühmter General, doch darum noch kein Gesetzgeber, kein Dichter, vielleicht nicht einmal ein religiöser Mann, regiert usf. hat er auch nicht, kurz, er ist keine Totalität, und diese allein ist idealischer, göttlicher Art. Denn die Göttlichkeit der idealen Skulpturgestalten ist gerade darin zu suchen, daß ihr Charakter und Individualität keinen besonderen Verhältnissen und Zweigen der Tätigkeit angehört, sondern diesem Geteiltsein entnommen oder, wenn die Vorstellung solcher Verhältnisse angeregt wird, so dargestellt ist, daß wir von diesen Individuen glauben müssen, sie seien alles in allem zu leisten imstande.
Deswegen bleibt es eine sehr oberflächliche Forderung, die Helden des Tages oder der jüngsten Vergangenheit, wenn ihre Heldenschaft beschränkterer Art ist, in idealer Kleidung darzustellen. Diese Forderung zeigt zwar einen Eifer für das Schöne der Kunst, aber einen Eifer, der unverständig ist und aus Liebe für die Antike übersieht, daß die Größe der Alten zugleich wesentlich in dem hohen Verstande alles dessen, was sie taten, liegt, indem sie zwar das, was an sich idealisch ist, dargestellt haben, dem aber, was es nicht ist, eine solche Form nicht haben aufdringen wollen. Ist der ganze Gehalt der Individuen nicht idealisch, so darf es auch nicht die Kleidung sein, und wie ein kräftiger, bestimmter, entschlossener General nicht deshalb schon ein Gesicht hat, das die Formen eines Mars vertrüge, so würden hier die Gewänder griechischer Götter dieselbe Mummerei sein, als wenn man einen bärtigen Mann in Mädchenkleider steckte.
Dessenunerachtet macht auch die moderne Kleidung wieder dadurch manche Schwierigkeit, daß sie der Mode unterworfen und schlechthin veränderlich ist. Denn es ist die Vernünftigkeit der Mode, daß sie über das Zeitliche das Recht, es immer von neuem wieder zu verändern, ausübt. Ein zugeschnittener Rock kommt bald wieder aus der Mode, und damit er gefalle, dazu gehört, daß er eben Mode sei. Wenn aber die Mode vorüber ist, hört auch die Gewöhnung auf, und was vor wenigen Jahren noch gefiel, wird sogleich lächerlich. Deshalb sind auch nur solche Bekleidungsarten für Statuen beizubehalten, welche den spezifischen Charakter einer Zeit in einem mehr dauernden Typus ausprägen; im allgemeinen aber ist es rätlich, einen Mittelweg zu finden, wie es unsere heutigen Künstler tun. Dennoch bleibt es im ganzen immer mißlich, Porträtstatuen, wenn sie nicht entweder klein sind oder es bei ihnen nur auf eine familiäre Darstellung abgesehen ist, moderne Kleider zu geben. Am besten machen sich deshalb bloße Büsten, die denn auch leichter ideal gehalten werden können, mit bloßem Halse und Brust, da hier der Kopf und Physiognomie die Hauptsache bleiben und das übrige nur ein gleichsam unbedeutendes Beiwesen ist. Bei großen Statuen dagegen, besonders wenn sie ruhig dastehen, sehen wir eben, weil sie in Ruhe sind, sogleich, was sie anhaben, und ganze Männerfiguren selbst in Porträtgemälden können sich in ihrer modernen Kleidung nur schwer über das Unbedeutende erheben. So sind z. B. Herder und Wieland vom alten Tischbein in ganzer Figur sitzend gemalt und von guten Künstlern in Kupfer gestochen. Man fühlt jedoch gleich, daß es ganz etwas Mattes, Ödes und Überflüssiges ist, ihre Hosen, Strümpfe und Schuhe zu sehen und vollends ihre gemächliche, selbstgefällige Haltung auf einem Sessel, wo sie die Hände behaglich über dem Magen zusammenlegen.
Anders aber verhält es sich mit Porträtstatuen von Individuen, die entweder der Zeit ihrer Wirksamkeit nach weit von uns abliegen oder überhaupt in sich selbst von idealer Größe sind. Denn das Alte ist gleichsam zeitlos geworden und in die unbestimmtere allgemeine Vorstellung zurückgetreten, so daß es bei dieser Loslösung von seiner partikulären Wirklichkeit auch in seiner Bekleidung einer idealen Darstellung fähig wird. Mehr noch gilt dies für Individuen, welche, durch ihre Selbständigkeit und innere Fülle der bloßen Beschränktheit eines besonderen Berufs und der Wirksamkeit nur in einer bestimmten Zeit entzogen, für sich selbst eine freie Totalität, eine Welt von Verhältnissen und Tätigkeiten ausmachen und deshalb auch in Ansehung der Bekleidung über die Familiarität des Alltäglichen in ihrer gewöhnlichen zeitlichen Äußerlichkeit hinweggehoben erscheinen müssen. Schon bei den Griechen finden sich Statuen des Achill und Alexander, bei denen die individuelleren Porträtzüge so fein sind, daß man in diesen Gestalten eher Götterjünglinge als Menschen zu erkennen glaubt. Bei dem genialen großherzigen Jüngling Alexander ist dies vollständig am Platz. In ähnlicher Weise steht nun aber auch Napoleon z. B. so hoch und ist ein so umfassender Geist, daß nichts hindert, ihn in idealer Kleidung hinzustellen, die selbst bei Friedrich dem Großen nicht unpassend sein würde, wenn es sich darum handelte, ihn in seiner ganzen Größe zu feiern. Zwar kommt auch hier wesentlich der Maßstab der Statuen in Betracht. Bei kleinen Figürchen, die etwas Familiäres haben, stören Napoleons dreieckiger kleiner Hut, die bekannte Uniform, die überein-andergeschlagenen Arme keineswegs, und wollen wir den großen Friedrich als »den ollen Fritz« vor uns sehen, so kann man ihn mit Hut und Stock wie auf Tabaksdosen vorstellen.