2. Material der Skulptur
Indem wir durch die Individualität, welche das Grundprinzip der Skulptur abgibt, überhaupt zur Besonderung sowohl der Kreise des Göttlichen, Menschlichen und der Natur, aus denen die Plastik ihre Gegenstände hernimmt, als auch der Darstellungsweise in einzelnen Statuen, Gruppen und Reliefs fortgetrieben sind, so haben wir die gleiche Mannigfaltigkeit der Besonderung nun auch in dem Material aufzusuchen, dessen sich der Künstler zu seinen Darstellungen bedienen kann. Denn eine und die andere Art des Inhalts und der Auffassungsweise liegt der einen oder anderen Art des sinnlichen Materials näher und hat eine geheime Zuneigung und Zusammenstimmung mit demselben.
Als eine allgemeine Bemerkung will ich hier nur anführen, daß die Alten, wie sie in der Erfindung unübertrefflich waren, uns ebenso auch durch die erstaunliche Ausbildung und Geschicklichkeit in der technischen Ausführung in Verwunderung setzen. Beide Seiten sind in der Skulptur gleich schwer, weil ihre Mittel der Darstellung der inneren Vielseitigkeit entbehren, welche den übrigen zu Gebote steht. Die Architektur ist zwar noch ärmer, aber sie hat auch nicht die Aufgabe, den Geist selbst in seiner Lebendigkeit oder das Natürlich-Lebendige in der für sich unorganischen Materie gegenwärtig zu machen. Diese ausgebildete Geschicklichkeit in der durchgängig vollendeten Behandlung des Materials liegt jedoch im Begriffe des Ideals selbst, da es ein gänzliches Hereintreten ins Sinnliche und die Verschmelzung des Inneren mit seinem äußeren Dasein zum Prinzip hat. Dasselbe Prinzip macht sich deshalb auch da geltend, wo das Ideal zur Ausführung und Wirklichkeit gelangt. In dieser Rücksicht dürfen wir uns nicht wundern, wenn behauptet wird, daß die Künstler in den Zeiten der großen Kunstfertigkeit ihre Marmorwerke entweder ohne Modelle in Ton arbeiteten oder, wenn sie dergleichen hatten, doch weit freier und unbefangener dabei zu Werke gingen, »als in unseren Tagen geschieht, wo man strenggenommen nur Kopien in Marmor nach vorher in Ton gearbeiteten Originalen, Modelle genannt, liefert« (Winckelmann, Werke, Bd. V, S. 389, Anm.). Die alten Künstler erhielten sich dadurch die lebendige Begeisterung, welche bei Wiederholungen und Kopien mehr oder weniger immer verlorengeht, obschon es sich nicht leugnen läßt, daß hin und wieder einzelne fehlerhafte Teile selbst bei berühmten Kunstwerken vorkommen, als z. B. Augen, die nicht gleich groß sind, Ohren, von denen das eine niedriger oder höher steht als das andere, Füße von etwas ungleicher Länge, und was dergleichen mehr ist. Sie hielten nicht auf die jedesmal strengste Abzirklung in solchen Dingen, wie es die gewöhnliche, aber sich sehr gründlich dünkende Mittelmäßigkeit der Produktion und Kunstrichterschaft, die kein anderes Verdienst hat, zu tun pflegt.
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