a. Das griechische Profil
Was nun näher die Gestalt des Auges in idealen Skulpturwerken angeht, so ist es seiner Form nach groß, offen, oval, seiner Stellung nach gegen die Linie der Stirn und Nase im rechten Winkel und tiefliegend. - Die Größe des Auges rechnet schon Winckelmann (Winckelmann, Werke, Bd. IV, 5. Buch, Kap. 5, § 20, S. 198*)) so zur Schönheit, wie ein großes Licht schöner sei als ein kleines. »Die Größe aber«, fährt er fort, »ist dem Augenknochen oder dessen Kasten gemäß und äußert sich in dem Schnitt und in der Öffnung der Augenlider, von denen das obere gegen den inneren Winkel einen runderen Bogen als das untere an schönen Augen beschreibt.« Bei Profilköpfen von erhabener Arbeit bildet der Augapfel selbst ein Profil und erhält gerade durch diese abgeschnittene Öffnung eine Großartigkeit und einen offenen Blick, dessen Licht zugleich, nach Winckelmanns Bemerkung, auf Münzen durch einen erhabenen Punkt auf dem Augapfel sichtbar gemacht ist. Doch sind nicht alle großen Augen schön, denn sie werden es einerseits erst durch den Schwung der Augenlider, andererseits durch die tiefere Lage. Das Auge nämlich darf sich nicht vordrängen und in die Äußerlichkeit gleichsam herauswerfen, denn eben dies Verhältnis zur Außenwelt ist für das Ideal entfernt und mit dem Sichzurückziehen auf sich, auf das substantielle Insichsein des Individuums vertauscht. Das Vorliegen der Augen aber mahnt sogleich daran, daß der Augapfel bald herausgetrieben, bald wieder zurückgezogen wird und besonders beim Glotzen nur anzeigt, der Mensch sei aus sich heraus, entweder in Gedankenlosigkeit hinstierend oder ganz ebenso geistlos in den Anblick irgendeines sinnlichen Gegenstandes versenkt. In dem Skulpturideal der Alten liegt das Auge sogar tiefer als in der Natur (Winckelmann, I. c., § 21). Winckelmann gibt hierfür den Grund an, daß bei größeren Statuen, welche dem Blick des Beschauers ferner standen, das Auge ohne diese tiefere Lage, da außerdem der Augapfel mehrenteils glatt war, ohne Bedeutung und gleichsam erstorben gewesen sein würde, wenn nicht eben durch Erhabenheit der Augenknochen das dadurch vermehrte Spiel des Lichts und Schattens das Auge wirksamer gemacht hätte. Doch hat diese Vertiefung des Auges noch eine andere Bedeutung. Tritt nämlich die Stirn dadurch weiter hervor als in der Natur, so überwiegt der sinnende Teil des Gesichts und der geistige Ausdruck springt schärfer heraus, während nun auch der verstärkte Schatten in den Augenhöhlen seinerseits selbst eine Tiefe und unzerstreute Innerlichkeit zu empfinden gibt, ein Erblinden nach außen und eine Zurückgezogenheit auf das Wesentliche der Individualität, deren Tiefe sich über die ganze Gestalt ergießt. Auch auf den Münzen aus bester Zeit liegen die Augen tief, und die Augenknochen sind erhöht. Dagegen werden die Augenbrauen nicht durch einen breiteren Bogen kleiner Härchen ausgedrückt, sondern nur durch die schneidende Schärfe der Augenknochen angedeutet, welche, ohne die Stirn in ihrer fortlaufenden Form - wie dies die Brauen durch ihre Farbe und relative Erhabenheit tun - zu unterbrechen, sich wie ein elliptischer Kranz um die Augen hinziehen. Die höhere und dadurch selbständigere Wölbung der Augenbrauen ist nie für schön gehalten worden.
Von den Ohren drittens sagt Winckelmann (I. c., § 29), daß die Alten auf deren Ausarbeitung den größten Fleiß verwendeten, so daß z. B. bei geschnittenen Steinen die geringe Sorgfalt in der Ausführung des Ohrs ein untrügliches Kennzeichen für die Unechtheit des Kunstwerks sei. Besonders Porträtstatuen gäben oft die eigentümlich individuelle Gestalt des Ohres wieder. Man könne deshalb aus der Form des Ohrs häufig die dargestellte Person selbst, wenn dieselbe bekannt sei, erraten und aus einem Ohre mit einer ungewöhnlich großen inneren Öffnung z. B. auf einen Marcus Aurelius schließen. Ja das Unförmliche selbst hätten die Alten angedeutet. - Als eine eigene Art von Ohren an idealen Köpfen, an einigen des Herkules z. B., führt Winckelmann plattgeschlagene und an den knorpeligen Flügeln geschwollene Ohren an. Sie deuten auf Ringer und Pankratiasten, wie denn auch Herkules (1. c., § 34) in den Spielen dem Pelops zu Ehren zu Elis den Preis als Pankratiast davontrug.
ββ) In Rücksicht auf den Teil des Gesichts, welcher sich von selten der natürlichen Funktion mehr auf das Praktische der Sinne bezieht, haben wir zweitens noch von der bestimmteren Form der Nase, des Mundes und des Kinns zu sprechen.
Die Verschiedenheit in der Form der Nase gibt dem Gesicht die mannigfachste Gestalt und die vielseitigsten Unterschiede des Ausdrucks. Eine scharfe Nase mit dünnen Flügeln sind wir z. B. mit einem scharfen Verstande in Zusammenhang zu bringen gewohnt, während uns eine breite und herabhängende oder tierisch aufgestülpte auf Sinnlichkeit, Dummheit und Brutalität überhaupt deutet. Sowohl von solchen Extremen als auch von deren partikulären Mittelstufen in Form und Ausdruck hat aber die Skulptur sich frei zu halten und vermeidet deshalb, wie wir bereits beim griechischen Profil sahen, nicht nur die Abtrennung von der Stirn, sondern auch das Herauf- und Herunterbiegen, die scharfe Spitze und breitere Rundung, die Hebung in der Mitte und Senkung nach der Stirn und dem Munde, überhaupt die Schärfe und Dicke der Nase, indem sie an die Stelle dieser vielfältigen Modifikationen gleichsam eine indifferente, wenn auch immer noch von Individualität leise belebte Form setzt.
Nächst dem Auge gehört der Mund zu dem schönsten Teile des Gesichts, wenn er nicht seiner natürlichen Zweckmäßigkeit, zum Werkzeug für das Essen und Trinken zu dienen, sondern seiner geistigen Bedeutsamkeit nach gestaltet ist. In dieser Beziehung steht er in Mannigfaltigkeit und Reichtum des Ausdrucks nur dem Auge nach, obschon er die feinsten Nuancen des Spottes, der Verachtung, des Neides, die ganze Gradation der Schmerzen und der Freude durch die leisesten Bewegungen und das regsamste Spiel derselben lebendig darzustellen vermag und ebenso in seiner ruhenden Gestalt Liebreiz, Ernst, Sinnlichkeit, Sprödigkeit, Hingebung usf. bezeichnet. Für die partikulären Nuancen nun aber des geistigen Ausdrucks gebraucht ihn die Skulptur weniger und hat vornehmlich das bloß Sinnliche, das auf Naturbedürfnisse hindeutet, aus der Gestalt und dem Schnitt der Lippen zu entfernen. Sie bildet deshalb den Mund überhaupt weder übervoll noch karg, denn allzu dünne Lippen deuten auch auf Kargheit des Empfindens; die Unterlippe voller als die obere, was auch bei Schiller der Fall war, in dessen Bildung des Mundes jene Bedeutsamkeit und Fülle des Gemüts zu lesen war. Diese idealere Form der Lippen gibt dem tierischen Maul gegenüber den Anblick einer gewissen Bedürfnislosigkeit, während man beim Tier, wenn der obere Teil sich vordrängt, sogleich an das Losfahren auf die Speise und das Ergreifen derselben erinnert wird. Beim Menschen ist der Mund, der geistigen Beziehung nach, hauptsächlich der Sitz der Rede, das Organ für die freie Mitteilung des bewußten Inneren, wie das Auge der Ausdruck der empfindenden Seele. Die Ideale der Skulptur nun haben ferner die Lippen nicht fest geschlossen, sondern bei den Werken aus der Blütezeit der Kunst (Winckelmann, I. c., § 25, S. 206) steht der Mund etwas offen, ohne jedoch die Zähne sichtbar zu machen, die mit dem Ausdruck des Geistigen nichts zu schaffen haben. Man kann dies dadurch erklären, daß bei der Tätigkeit der Sinne, besonders beim strengen, festen Hinblicken auf bestimmte Gegenstände, der Mund sich schließt, bei dem blicklosen freien Versunkensein dagegen leise sich öffnet und die Mundwinkel sich nur um ein weniges herunterneigen. Das Kinn endlich drittens vervollständigt in seiner idealen Gestalt den geistigen Ausdruck des Mundes, wenn es nicht wie beim Tier ganz fehlt oder wie in den ägyptischen Skulpturwerken zurückgedrängt und mager bleibt, sondern tiefer selbst als gewöhnlich heruntergezogen ist und nun in der rundlichen Völligkeit seiner gewölbten Form, besonders bei kürzeren Unterlippen, noch mehr Großheit erhält. Ein volles Kinn nämlich bringt den Eindruck einer gewissen Sattheit und Ruhe hervor. Alte rührige Weiber dagegen wackeln mit dem dürren Kinn und mageren Muskeln, und Goethe z. B. vergleicht die Kiefer mit zwei Zangen, die greifen wollen. All diese Unruhe geht bei einem vollen Kinn verloren. Das Grübchen jedoch, das man jetzt für etwas Schönes hält, ist als ein zufälliger Liebreiz nichts zur Schönheit selbst wesentlich Gehöriges; statt dessen aber gilt ein großes rundes Kinn für ein untrügliches Merkmal antiker Köpfe. Bei der Mediceischen Venus z. B. ist es kleiner, doch hat man ausgefunden, daß es gelitten habe.
γγ) Zum Schluß bleibt uns jetzt nur noch vom Haar zu sprechen übrig. Das Haar überhaupt hat mehr den Charakter eines vegetabilischen als eines animalischen Gebildes und beweist weniger die Stärke des Organismus, als es vielmehr ein Zeichen der Schwäche ist. Die Barbaren lassen die Haare platt hängen oder tragen sie rund abgeschnitten, nicht wallend oder gelockt. Die Alten dagegen wendeten in ihren idealen Skulpturwerken auf die Ausarbeitung des Haares große Sorgfalt, worin die Neueren weniger fleißig und geschickt sind. Freilich ließen auch die Alten, wenn sie in allzu hartem Stein arbeiteten, das Haupthaar nicht in frei hängenden Locken wallen, sondern stellten es (Winckelmann, I. c., § 37, S. 218) wie kurz geschnitten und hernach fein gekämmt dar. Bei Statuen aus Marmor aber sind in der guten Zeit die Haare lockig und groß bei männlichen Köpfen gehalten, und bei weiblichen, wo die Haare hinaufgestrichen und oben zusammengebunden dargestellt wurden, sieht man sie wenigstens, wie Winckelmann sagt, schlangenweise und mit nachdrücklichen Vertiefungen gezogen, um ihnen Mannigfaltigkeit nebst Licht und Schatten zu geben, was durch niedrige Furchen nicht geschehen kann. Außerdem ist bei den besonderen Göttern der Wurf und die Anordnung des Haars verschieden. In ähnlicher Weise macht auch die christliche Malerei Christus durch eine bestimmte Art des Scheitels und der Locken kenntlich, nach welchem Vorbilde sich denn Jetzigerzeit manche auch ein Aussehen wie Herr Christus geben.
γ) Diese besonderen Teile nun haben sich der Form nach zum Kopf, als einem Ganzen, zusammenzuschließen. Die schöne Gestalt wird hier durch eine Linie bestimmt, welche dem Eirund am nächsten kommt und alles Scharfe, Spitze, Winklige dadurch zur Harmonie und einem fortlaufenden milden Zusammenhange der Form auflöst, ohne doch bloß regelmäßig und abstrakt-symmetrisch zu sein oder in die vielseitige Verschiedenheit der Linien und ihrer Wendung und Biegung wie bei den übrigen Körperteilen auszulaufen. Zur Bildung dieses in sich zurückkehrenden Ovals gehört besonders für den vorderen Anblick des Gesichts der schöne freie Schwung vom Kinn zum Ohr sowie die schon erwähnte Linie, welche die Stirn die Augenknochen entlang beschreibt; ebenso der Bogen über das Profil von der Stirn über die Spitze der Nase zum Kinn herunter und die schöne Wölbung des Hinterkopfs zum Nacken.
Soviel wollte ich von der idealen Gestalt des Kopfs, ohne mich in das weitere Detail einzulassen, anführen.
_______________
*) Werke, 9 Bde., Dresden 1808-20