3. Vollständige Symbolik: Memnonen, Isis und Osiris, Sphinx


Überhaupt ist in Ägypten fast jede Gestalt Symbol und Hieroglyphe, nicht sich selber bedeutend, sondern auf ein Anderes, mit dem sie Verwandtschaft und dadurch Bezüglichkeit hat, hinweisend. Die eigentlichen Symbole kommen jedoch vollständig erst zustande, wenn dieser Bezug gründlicher und tiefer Art ist. Ich will in dieser Beziehung nur folgender häufig wiederkehrender Anschauungen kurz Erwähnung tun.

a) Wie auf der einen Seite der ägyptische Aberglaube in der Tiergestalt eine geheime Innerlichkeit ahnt, so finden wir auf der anderen die Menschengestalt in der Weise dargestellt, daß sie das Innere der Subjektivität noch außerhalb ihrer hat und sich deshalb zur freien Schönheit nicht zu entfalten vermag. Besonders merkwürdig sind jene kolossalen Memnonen, welche, in sich beruhend, bewegungslos, die Arme an den Leib geschlossen, die Füße dicht aneinander, starr, steif und unlebendig, der Sonne entgegengestellt sind, um von ihr den Strahl zu erwarten, der sie berühre, beseele und tönen mache. Herodot wenigstens erzählt, daß die Memnonen beim Sonnenaufgang einen Klang von sich gäben. Die höhere Kritik hat dies zwar bezweifelt, das Faktum jedoch des Tönens ist neuerdings wieder von Franzosen und Engländern bestätigt worden, und wenn der Klang nicht durch sonstige Vorrichtungen hervorgebracht wird, so läßt er sich so erklären, daß, wie es Mineralien gibt, welche im Wasser knistern, der Ton jener Steinbilder von dem Tau und der Morgenkühle und den sodann darauffallenden Sonnenstrahlen herkommt, insofern dadurch kleine Risse entstehen, die wieder verschwinden. Als Symbol aber ist diesen Kolossen die Bedeutung zu geben, daß sie die geistige Seele nicht frei in sich selber haben und zur Belebung daher, statt sie aus dem Innern entnehmen zu können, welches Maß und Schönheit in sich trägt, von außen des Lichts bedürfen, das erst den Ton der Seele aus ihnen herauslockt. Die menschliche Stimme dagegen tönt aus der eigenen Empfindung und dem eigenen Geiste ohne äußeren Anstoß, wie die Höhe der Kunst überhaupt darin besteht, das Innere sich aus sich selber gestalten zu lassen. Das Innere aber der menschlichen Gestalt ist in Ägypten noch stumm und in seiner Beseelung nur das natürliche Moment berücksichtigt.

b) Eine weitere symbolische Vorstellungsweise ist Isis und Osiris. Osiris wird gezeugt, geboren und durch Typhon umgebracht, Isis aber sucht die zerstreuten Gebeine, findet, sammelt und begräbt sie. Diese Geschichte des Gottes hat nun zunächst bloße Naturbedeutungen zu ihrem Inhalt. Einerseits ist Osiris die Sonne und seine Geschichte ein Symbol für ihren Jahreslauf, andererseits bedeutet er das Steigen und Sinken des Nils, der ganz Ägypten Fruchtbarkeit bringen muß. Denn in Ägypten fehlt es oft Jahre hindurch an Regen, und der Nil erst bewässert das Land durch seine Überschwemmungen. Zur Zeit des Winters fließt er seicht innerhalb seines Bettes hin, dann aber (Herodot, II, 19) von der Sommersonnenwende an beginnt er hundert Tage lang anzuschwellen, entsteigt den Ufern und strömt weit über das Land. Endlich trocknet das Wasser durch die Hitze und heißen Winde der Wüste wieder auf und tritt in sein Strombett zurück. Dann werden die Äcker mit leichter Mühe bestellt, die üppigste Vegetation dringt hervor, alles keimt und reift. Sonne und Nil, ihr Schwachwerden und Erstarken sind die Naturmächte des ägyptischen Bodens, welche der Ägypter sich in der menschlich gestalteten Geschichte der Isis und des Osiris symbolisch veranschaulicht. Hierher gehört denn auch noch die symbolische Darstellung des Tierkreises, der mit dem Jahreslauf zusammenhängt wie die Zahl der zwölf Götter mit den Monaten. Umgekehrt aber bedeutet Osiris auch wieder das Menschliche selber; er wird als Begründer des Feldbaus, der Teilung der Äcker, des Eigentums, der Gesetze heiliggehalten, und seine Verehrung bezieht sich deshalb ebensosehr auf menschliche geistige Tätigkeiten, welche mit dem Sittlichen und Rechtlichen in der engsten Gemeinschaft stehen. Ebenso ist er der Richter der Toten und gewinnt dadurch eine von dem bloßen Naturleben sich ganz loslösende Bedeutung, in welcher das Symbolische aufzuhören anfängt, da hier das Innere und Geistige selber Inhalt der menschlichen Gestalt wird, die hiermit ihr eigenes Inneres darzustellen anfängt. Dieser geistige Prozeß aber nimmt sich ebensosehr wieder das äußerliche Naturleben zu seinem Gehalt und macht denselben in äußerlicherweise kenntlich: in den Tempeln z. B. in der Anzahl der Treppen, Stufen, Säulen, in den Labyrinthen in der Verschiedenartigkeit der Gänge, Windungen und Kammern. Osiris ist in dieser Weise sowohl das natürliche als auch das geistige Leben in den unterschiedenen Momenten seines Prozesses und seiner Wandlungen, und die symbolischen Gestalten werden teils Symbole für die Naturelemente, teils sind die Naturzustände selbst nur wieder Symbole der geistigen Tätigkeiten und deren Veränderung. Deshalb bleibt denn auch die menschliche Gestalt hier keine bloße Personifikation, weil hier das Natürliche, obschon es einerseits als die eigentliche Bedeutung erscheint, andererseits wieder selber nur zum Symbol des Geistes wird und überhaupt in diesem Kreise, wo sich das Innere aus der Naturanschauung herausdrängt, unterzuordnen ist. Doch erhält die menschliche Körperform zwar eine ganz andere Ausbildung und zeigt dadurch bereits das Streben, in das Innerliche und Geistige hinabzusteigen; dies Bemühen aber erreicht sein eigentliches Ziel, die Freiheit des Geistigen in sich, nur erst in mangelhafter Weise. Die Gestalten bleiben kolossal, ernst, versteint; Beine ohne Freiheit und heitere Klarheit, Arme und Haupt dem übrigen Körper eng und fest ohne Grazie und lebendige Bewegung angeschlossen. Erst dem Dädalus wird die Kunst zugeschrieben, die Arme und Füße losgelöst und dem Körper Bewegung gegeben zu haben.

Durch jene Wechselsymbolik nun ist das Symbol in Ägypten zugleich ein Ganzes von Symbolen, so daß, was einmal als Bedeutung auftritt, auch wieder als Symbol eines verwandten Gebietes benutzt wird. Diese vieldeutige Verknüpfung des Symbolischen, das Bedeutung und Gestalt durcheinanderschlingt, Mannigfaches in der Tat anzeigt oder darauf anspielt und dadurch der inneren Subjektivität schon zuläuft, welche allein sich nach vielen Richtungen hinzuwenden vermag, ist der Vorzug dieser Gebilde, obgleich die Erklärung derselben der Vieldeutigkeit wegen allerdings erschwert wird.

Solche Bedeutung, in deren Entzifferung man freilich heutigentags oft zu weit geht, weil fast alle Gestalten sich in der Tat unmittelbar als Symbole geben, könnte nun - in derselben Art, wie wir sie uns zu erklären suchen - auch für die ägyptische Anschauung selbst als Bedeutung klar und verständlich gewesen sein. Aber die ägyptischen Symbole enthalten, wie wir gleich anfangs sahen, implizit viel, explizit nicht. Es sind Arbeiten, mit dem Versuche unternommen, sich selber klarzuwerden, doch sie bleiben bei dem Ringen nach dem an und für sich Deutlichen stehen. In diesem Sinne sehen wir es den ägyptischen Kunstwerken an, daß sie Rätsel enthalten, für welche zum Teil nicht nur uns, sondern am meisten denen, die sie sich selber aufgaben, die rechte Entzifferung nicht gelingt.

c) Die Werke der ägyptischen Kunst in ihrer geheimnisvollen Symbolik sind deshalb Rätsel, das objektive Rätsel selbst. Als Symbol für diese eigentliche Bedeutung des ägyptischen Geistes können wir die Sphinx bezeichnen. Sie ist das Symbol gleichsam des Symbolischen selber. In zahlloser Menge, zu Hunderten in Reihen aufgestellt, finden sich Sphinxgestalten in Ägypten vor, aus dem härtesten Gestein, poliert, mit Hieroglyphen bedeckt, bei Kairo in so kolossaler Größe, daß die Löwenklauen allein die Höhe eines Mannes betragen. Es sind liegende Tierleiber, an denen als Oberteil der menschliche Körper sich herausringt, hin und wieder ein Widderkopf, sonst aber größtenteils ein weibliches Haupt. Aus der dumpfen Stärke und Kraft des Tierischen will der menschliche Geist sich hervordrängen, ohne zur vollendeten Darstellung seiner eigenen Freiheit und bewegten Gestalt zu kommen, da er noch vermischt und vergesellschaftet mit dem Anderen seiner selber bleiben muß. Dieser Drang nach selbstbewußter Geistigkeit, die sich nicht aus sich in der ihr allein gemäßen Realität erfaßt, sondern nur in dem ihr Verwandten anschaut und in dem ihr ebenso Fremden zum Bewußtsein bringt, ist das Symbolische überhaupt, das auf dieser Spitze zum Rätsel wird.

In diesem Sinne ist es, daß die Sphinx in dem griechischen Mythos, den wir selbst wieder symbolisch deuten können, als das Rätsel aufgebende Ungeheuer erscheint. Die Sphinx stellte die bekannte rätselhafte Frage: wer ist es, der morgens auf vier Beinen geht, mittags auf zweien und abends auf dreien? Ödipus fand das einfache Entzifferungswort, daß es der Mensch sei, und stürzte die Sphinx vom Felsen. Die Enträtselung des Symbols liegt in der anundfürsichseienden Bedeutung, dem Geist, wie die berühmte griechische Aufschrift dem Menschen zuruft: Erkenne dich selbst! Das Licht des Bewußtseins ist die Klarheit, welche ihren konkreten Inhalt hell durch die ihm selbst angehörige gemäße Gestalt hindurchscheinen läßt und in ihrem Dasein nur sich selber offenbar macht.


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