1. Indische Poesie
Als erstes Beispiel solcher pantheistischen Poesie können wir wiederum die indische anführen, welche neben ihrer Phantastik auch diese Seite glänzend ausgebildet hat.
Die Inder, wie wir sahen, haben zur obersten Gottheit die abstrakteste Allgemeinheit und Einheit, die sodann zwar zu bestimmten Göttern, dem Trimurti, Indra usw. fortgeht, das Bestimmte aber nicht festhält, sondern ebensosehr die unteren Götter wieder in die oberen sowie diese in Brahman zurückgehen läßt. Darin schon zeigt sich, daß dies Allgemeine die eine sich gleichbleibende Grundlage von allem ausmache; und wenn die Inder allerdings in ihrer Poesie das gedoppelte Streben zeigen, die einzelne Existenz, damit sie in ihrer Sinnlichkeit schon der allgemeinen Bedeutung gemäß erscheine, zu übertreiben oder umgekehrt gegen die eine Abstraktion alle Bestimmtheit auf ganz negative Weise fahrenzulassen, so kommt doch auf der anderen Seite auch bei ihnen die reinere Darstellungsweise des eben angedeuteten Pantheismus vor, welcher die Immanenz des Göttlichen in dem für die Anschauung vorhandenen und schwindenden Einzelnen heraushebt. Man könnte zwar in dieser Auffassungsweise mehr eine Ähnlichkeit mit jener unmittelbaren Einheit des reinen Gedankens und des Sinnlichen, welche wir bei den Parsen antrafen, wiederfinden wollen; bei den Parsen aber ist das Eine und Vortreffliche, für sich festgehalten, selbst ein Natürliches, das Licht; bei den Indern dagegen ist das Eine, Brahman, nur das gestaltlose Eine, das erst umgestaltet zur unendlichen Mannigfaltigkeit der Welterscheinungen die pantheistische Darstellungsweise veranlaßt.
So heißt es z. B. von Krischna (Bhagawadgita, Lect. VII, Sl. 4 ff.): „Erde, Wasser und Wind, Luft und Feuer, der Geist, Verstand und die Ichheit sind die acht Stücke meiner Wesenskraft; doch ein anderes an mir, ein höheres Wesen erkenne du, welches das Irdische belebt, die Welt trägt: in ihm haben alle Wesen den Ursprung; so wisse du, ich bin dieses ganzen Weltalls Ursprung und auch die Vernichtung; außer mir gibt es kein Höheres, an mir ist dieses All geknüpft wie am Faden die Perlenreihen, ich bin der Geschmack im Flüssigen, ich bin in der Sonne und im Monde Glanz, das mystische Wort in den heiligen Schriften, im Manne die Mannheit, der reine Geruch in der Erde, der Glanz in den Flammen, in allen Wesen das Leben, die Beschauung in den Büßenden, im Lebendigen die Lebenskraft, im Weisen die Weisheit, im Glänzenden der Glanz; welche Naturen wahrhaft sind, scheinbar und finster sind, sind aus mir, nicht bin ich in ihnen, sondern sie in mir. Durch die Täuschung dieser drei Eigenschaften ist alle Welt betört und verkennt mich, der unwandelbar ist; aber auch die göttliche Täuschung, die Maya, ist meine Täuschung, die schwer zu überschreiten; die mir folgen aber, schreiten über die Täuschung fort.« Hier ist solch eine substantielle Einheit aufs frappanteste ausgesprochen, sowohl in Rücksicht auf die Immanenz im Vorhandenen als auch in betreff auf das Hinwegschreiten über das Einzelne.
In ähnlicher Weise sagt Krischna von sich aus, er sei in allen unterschiedenen Existenzen immer das Vortrefflichste (Lect. VII, Sl. 21.): »Unter den Gestirnen bin ich die strahlende Sonne, unter den lunari-schen Zeichen der Mond, unter den heiligen Büchern das Buch der Hymnen, unter den Sinnen das Innere, Meru unter den Gipfeln der Berge, unter den Tieren der Löwe, unter den Buchstaben bin ich der Vokal A, unter den Jahreszeiten der blühende Frühling« usf.
Dieses Aufzählen nun aber des Vortrefflichsten sowie der bloße Wechsel der Gestalten, in denen nur immer wieder ein und dasselbe soll zur Anschauung gebracht werden, welch ein Reichtum der Phantasie sich zunächst auch darin auszubreiten scheint, bleibt dennoch eben dieser Gleichheit des Inhalts wegen höchst monoton und im ganzen leer und ermüdend.