2. Mohammedanische Poesie
In höherer und subjektiv freierer Weise zweitens ist der orientalische Pantheismus im Mohammedanismus besonders von den Persern ausgebildet worden.
Hier tritt nun hauptsächlich von selten des dichtenden Subjekts ein eigentümliches Verhältnis ein.
a) Indem sich nämlich der Dichter das Göttliche in allem zu erblicken sehnt und es wirklich erblickt, gibt er nun auch sein eigenes Selbst dagegen auf, faßt aber ebensosehr die Immanenz des Göttlichen in seinem so erweiterten und befreiten Inneren auf, und dadurch erwächst ihm jene heitere Innigkeit, jenes freie Glück, jene schwelgerische Seligkeit, welche dem Orientalen eigen ist, der sich bei der Lossagung von der eigenen Partikularität durchweg in das Ewige und Absolute versenkt und in allem das Bild und die Gegenwart des Göttlichen erkennt und empfindet. Solch ein Sichdurchdringen vom Göttlichen und beseligtes trunkenes Leben in Gott streift an die Mystik an. Vor allem ist in dieser Beziehung Dschelad ed-Din Rumi zu rühmen, von dem Rückert uns die schönsten Proben in seiner bewunderungswürdigen Gewalt über den Ausdruck geliefert hat, welche ihm aufs kunstreichste und freieste mit Worten und Reimen, wie es die Perser gleichfalls tun, zu spielen erlaubt. Die Liebe zu Gott, mit dem der Mensch sein Selbst durch die schrankenloseste Hingebung identifiziert und ihn, den Einen, nun in allen Welträumen erschaut, alles und jedes auf ihn bezieht und zu ihm zurückführt, macht hier den Mittelpunkt aus, der sich aufs weiteste nach allen Seiten und Regionen hin expandiert.
b) Wenn nun ferner in der eigentlichen Erhabenheit, wie es sich sogleich zeigen wird, die besten Gegenstände und herrlichsten Gestaltungen nur als ein bloßer Schmuck Gottes gebraucht werden und zur Verkündigung der Pracht und Verherrlichung des Einen dienen, indem sie nur vor unsere Augen gestellt sind, um ihn als Herrn aller Kreaturen zu feiern, so erhebt dagegen im Pantheismus die Immanenz des Göttlichen in den Gegenständen das weltliche, natürliche und menschliche Dasein selber zur eigenen, selbständigeren Herrlichkeit. Das Selbstleben des Geistigen in den Naturerscheinungen und in den menschlichen Verhältnissen belebt und begeistigt dieselben in ihnen selber und begründet wiederum ein eigentümliches Verhältnis der subjektiven Empfindung und Seele des Dichters zu den Gegenständen, die er besingt. Erfüllt von dieser beseelten Herrlichkeit, ist das Gemüt in sich selber ruhig, unabhängig, frei, selbständig, weit und groß; und bei dieser affirmativen Identität mit sich imaginiert und lebt es sich nun auch zu der gleichen ruhigen Einheit in die Seele der Dinge hinein und verwächst mit den Gegenständen der Natur und ihrer Pracht, mit der Geliebten, dem Schenken, überhaupt mit allem, was des Lobes und der Liebe wert ist, zur seligsten, frohsten Innigkeit.
Die okzidentalische, romantische Innigkeit des Gemüts zeigt zwar ein ähnliches Sicheinleben, aber ist im ganzen besonders im Norden mehr unglückselig, unfrei und sehnsüchtig oder bleibt doch subjektiver in sich selbst beschlossen und wird dadurch selbstsüchtig und empfindsam.
Solche gedrückte, trübe Innigkeit spricht sich besonders in den Volksliedern barbarischer Völker aus. Die freie glückliche Innigkeit dagegen ist den Orientalen, hauptsächlich den mohammedanischen Persern eigen, die offen und froh ihr ganzes Selbst wie an Gott so auch allem Preiswürdigen hingeben, doch in dieser Hingebung gerade die freie Substantialität erhalten, die sie sich auch im Verhältnis zu der umgebenden Welt zu bewahren wissen. So sehen wir in der Glut der Leidenschaft die expansivste Seligkeit und Parrhesie des Gefühls, durch welche bei dem unerschöpflichen Reichtum an glänzenden und prächtigen Bildern der stete Ton der Freude, der Schönheit und des Glückes klingt. Wenn der Morgenländer leidet und unglücklich ist, so nimmt er es als unabänderlichen Spruch des Schicksals hin und bleibt dabei sicher in sich, ohne Gedrücktheit, Empfindsamkeit oder verdrießlichen Trübsinn. In Hafis' Gedichten finden wir Klage und Jammer genug über die Geliebte, den Schenken usf., aber auch im Schmerze bleibt er gleich sorgenlos als im Glück. So sagt er z. B. einmal:
Aus Dank, weil dich die Gegenwart
Des Freunds erhellt,
Verbrenn der Kerze gleich im Weh
Und sei vergnügt.
Die Kerze lehrt lachen und weinen, sie lacht heiteren Glanzes durch die Flamme, wenn sie zugleich in heißen Tränen zerschmilzt; in ihrem Verbrennen verbreitet sie den heiteren Glanz. Dies ist auch der allgemeine Charakter dieser ganzen Poesie.
Um einige speziellere Bilder anzuführen, so haben es die Perser viel mit Blumen und Edelsteinen, vornehmlich aber mit der Rose und Nachtigall zu tun. Besonders geläufig ist es ihnen, die Nachtigall als Bräutigam der Rose darzustellen. Diese Beseelung der Rose und Liebe der Nachtigall kommt z. B. bei Hafis häufig vor. »Aus Dank, Rose, daß du die Sultanin der Schönheit bist«, sagt er, »gewähr es, nicht stolz zu sein gegen die Liebe der Nachtigall.« Er selber spricht von der Nachtigall seines eigenen Gemüts. Sprechen wir dagegen in unseren Gedichten von Rosen, Nachtigallen, Wein, so geschieht es in ganz anderem, prosaischerem Sinn; uns dient die Rose als Schmuck: »bekränzt mit Rosen« usf., oder wir hören die Nachtigall und empfinden ihr nach, trinken den Wein und nennen ihn Sorgenbrecher. Bei den Persern aber ist die Rose kein Bild oder bloßer Schmuck, kein Symbol, sondern sie selbst erscheint dem Dichter als beseelt, als liebende Braut, und er vertieft sich mit seinem Geist in die Seele der Rose.
Denselben Charakter eines glänzenden Pantheismus zeigen auch noch die neuesten persischen Gedichte. Herr von Hammer*) z. B. hat über ein Gedicht Nachricht erteilt, das unter sonstigen Geschenken des Schahs im Jahre 1819 dem Kaiser Franz ist übersendet worden. Es enthält in 33 000 Distichen die Taten des Schahs, der dem Hofpoeten seinen eigenen Namen gegeben hat.
c) Auch Goethe ist, seinen trüberen Jugendgedichten und ihrer konzentrierten Empfindung gegenüber, im späteren Alter von dieser weiten, kummerlosen Heiterkeit ergriffen worden und hat sich als Greis noch, durchdrungen vom Hauch des Morgenlandes, in der poetischen Glut des Blutes voll unermeßlicher Seligkeit zu dieser Freiheit des Gefühls hinübergewendet, welche selbst in der Polemik die schönste Unbekümmertheit nicht verliert. Die Lieder seines Westöstlichen Divans sind weder spielend noch unbedeutende gesellschaftliche Artigkeiten, sondern aus solch einer freien, hingebenden Empfindung hervorgegangen. Er selber nennt sie in einem Lied an Suleika**):
Dichtrische Perlen,
Die mir deiner Leidenschaft
Gewaltige Brandung
Warf an des Lebens
Verödeten Strand aus.
Mit spitzen Fingern
Zierlich gelesen,
Durchreiht mit juwelenem
Goldschmuck,
nimm sie, ruft er der Geliebten zu,
Nimm sie an deinen Hals,
An deinen Busen!
Die Regentropfen Allahs,
Gereift in bescheidener Muschel.
Zu solchen Gedichten bedurfte es eines zur größten Breite erweiterten, in allen Stürmen selbstgewissen Sinnes, einer Tiefe und Jugendlichkeit des Gemüts und
Einer Welt von Lebenstrieben,
Die in ihrer Fülle Drang
Ahneten schon Bulbuls Lieben,
Seelerregenden Gesang.***)
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*) Joseph von Hammer-Purgstall, 1774-1856, Orientalist
**) Buch Suleika, »Die schön geschriebenen ...«
***) Buch des Timur, »An Suleika«